"Stimmung von Fatalismus bis Optimismus"
28. März 2017Deutsche Welle: Vor dem Referendum haben Sie dem Brexit noch mit gemischten Gefühlen entgegengeblickt. Wie geht es Ihnen jetzt?
Angela Kaya: Ich bin sehr gespannt, was jetzt passiert. Wir leben in einer Phase der Ungewissheit. Wir rechnen mit einem harten Ausstieg mit harten Verhandlungen. Aber wir wissen nicht, ob es dafür einen Masterplan gibt. Es mag Pläne geben, aber die kennen wir nicht. Theresa May (britische Premierministerin, Anm.d.R.) will sie nicht veröffentlichen. Dabei sind wir abhängig davon, zu erfahren, was passiert. So wie mir geht es allen anderen: Hoffentlich geht es bald los, hoffentlich konkretisieren sich die Dinge, die man wissen muss, um weiter zu arbeiten.
Beobachten Sie Veränderungen im kulturellen Klima Großbritanniens?
Ja. Jeder - sei es in der Wirtschaft, in der Politik, im Sport, in Kultur und Bildung - ist gespalten. Wir haben Partner, die sagen, es gelingt uns gut ohne die europäischen Subventionen. Andere sind sehr pessimistisch. Wir leben ja schon jetzt im Bildungsbereich mit massiven Kürzungen. Das Schulwesen wird beschnitten. Es gibt weniger Lehrkräfte an den Schulen. Vermutlich sparen die Schulen zunächst dort, wo es am wenigsten wehtut - beim Fremdsprachenunterricht und bei den Künsten. Es gibt sehr gemischte Einschätzungen, wie man damit fertig wird.
Ist der Brexit immer noch Gesprächsthema in der Londoner Kunst- und Kulturszene?
Ja, unbedingt. Wobei der Pragmatismus, der unsere Partner auszeichnet, auch hier Raum greift - verbunden mit diesem berühmten britischen Humor. Ich war kürzlich bei einer Ausstellungseröffnung im Victoria & Albert Museum. Es sprach Tristram Hunt, der neue Direktor. In der Ausstellung ging es um Europa und europäische Theatergeschichte. Hunt hat das meisterhaft gemacht: Er nahm ständig Bezug auf den 29.3., den Tag, an dem die Regierung den Austritt erklären wird. Aber Hunt brachte die Menschen zum Lachen. Er trug das Thema Europa vehement vor, sehr positiv, ließ aber gleichzeitig immer Dinge einfließen wie: "Schauen Sie, dass Sie noch einmal ein europäisches Theater von innen sehen, auf dem Kontinent, bevor es zu spät ist!" (lacht)
Würden Sie sagen, der Brexit hat die britische Kulturszene gespalten?
Nein, das glaube ich nicht. Der Brexit hat Bewegung und Dynamik ausgelöst. Das wird noch weitergehen. Es gibt unterschiedliche Einschätzungen, von Fatalismus bis zu Optimismus. Es gibt auch Institutionen und einzelne Akteure, die sagen: "Das ist die Chance. Jetzt, da alles schlechter zu werden scheint, müssen wir uns positionieren und aus der Not eine Tugend machen." Andere dagegen sagen: "Wir sind so verwoben mit dem europäischen Kulturbetrieb, dass wir uns gar nicht vorstellen können, wie es weiter geht."
Ihr Job ist es, kulturelle Zusammenarbeit zu organisieren. Was lässt der Brexit da erwarten?
Das können wir noch nicht absehen, aber ich bin zuversichtlich, dass die Zusammenarbeit weitergeht. Man wird Wege finden. Ich weiß nicht, ob es bilaterale Verträge geben wird oder Verträge des Landes mit der Europäischen Union zu bestimmten Kultur oder Bildungsaspekten. Möglich ist das.
London jedenfalls bleibt stark, das wissen die Londoner auch. Aber was in der Provinz passiert, weiß ich nicht. Ich habe mit einigen Festivaldirektoren gesprochen und gefragt, wie sie das einschätzen. Die behaupten zum großen Teil, die Finanzierung ihrer Festivals habe schon immer auf mehreren Säulen gestanden. Sorgen machten sie sich mehr um die europäische Internationalisierung, die nachlassen könnte.
Was bedeutet der Brexit für Ihre Arbeit, für das Goethe-Institut in London?
Zunächst gar nichts. Wir sind ja eine von der deutschen Bundesregierung finanzierte Institution. Wir sind nicht in dem Maße auf europäische Mittel angewiesen. Wir können auch weiterhin europäische Projekte hier im Vereinigten Königreich durchführen, aus den unterschiedlichen Töpfen, die es für Kultur- und Bildungsarbeit ja gibt. Nur: In Zukunft kann es sein, dass wir die britischen Partner nicht mehr selbstverständlich an Bord haben - was man natürlich will, wenn man hier europäisch arbeitet.
Im Augenblick ist alles wie gehabt. Wir arbeiten wie bisher. Aber wir stellen uns programmatisch auf die Zeit der Bexit-Phase ein.
Wird der Brexit Ihre Arbeit als Kulturvermittler erschweren?
Nicht konkret. Vielleicht am ehesten bei der Bildung und dem Wert von Fremdsprachen. Schon seit Jahren lässt die Bereitschaft der Briten nach, Fremdsprachen zu lernen. Das gilt nicht nur für Deutsch, sondern für alle europäischen Fremdsprachen. Wir wissen nicht, wie sich das weiter entwickelt.
Es kann sein, dass der Wert von Fremdsprachen jetzt steigt, weil die Notwendigkeit, zu kommunizieren, wächst. Es kann aber auch sein, dass er weiter sinkt. Wir überlegen, wie wir Schulen gemeinsam mit dem British Council, gemeinsam mit der Botschaft stärken können, um das Erlernen einer Fremdsprache, in diesem Fall Deutsch, zu sichern. Da sind wir am aktivsten im Augenblick.
Sie haben vor dem Brexit-Referendum gesagt, wir hoffen, dass sich die europäische Arbeit fortsetzen lässt. Sind sie inzwischen optimistischer?
An uns soll es nicht scheitern. Die, mit denen wir in der Vergangenheit überwiegend gearbeitet haben, können ohnehin als europafreundlich und offen gelten. Wir verstehen uns. Aber wenn wir auf das zurückliegende Abstimmungsergebnis schauen, dann sind da diese berühmten 52 Prozent, die Nein zur EU gesagt haben. Sie wohnen eher in strukturell vernachlässigten Gegenden, haben keine Perspektiven bei Bildungschancen und Teilhabe. Ob wir sie ausreichend erreichen? Ich glaube nicht. Diese Menschen müssen wir ansprechen und anregen, Europa etwas abzugewinnen. Das ist sicherlich die allergrößte Herausforderung und vielleicht die eigentliche europäische Herausforderung für ein Goethe-Institut.
Angela Kaya leitet das Goethe-Institut in London und koordiniert die Goethe-Institute in der Region Nordwesteuropa. Mit ihr sprach Stefan Dege.