Angela Merkel erhält höchsten deutschen Orden
17. April 2023Mehr als 260.000 Personen haben in Deutschland bisher einen Verdienstorden erhalten. Angela Merkel ist jedoch erst die dritte Person, die die höchste Stufe des Verdienstordens für deutsche Staatsbürger erhält: das Großkreuz. Es ist die bedeutendste Auszeichnung, die seit 1951 an "Deutsche und Ausländer für Leistungen auf politischem, wirtschaftlichem, sozialem oder geistigem Gebiet verliehen wird", so das Bundespräsidialamt.
Ihre beiden Vorgänger waren ebenfalls Bundeskanzler und gehörten der gleichen konservativen Partei an wie Merkel, der Christlich-Demokratischen Union. Konrad Adenauer, der erste Regierungschef der Bundesrepublik Deutschland, erhielt 1954 das Großkreuz für die wirtschaftliche und politische Integration der Bundesrepublik in Westeuropa. Helmut Kohl, der die deutsche Wiedervereinigung in die Wege leitete und entscheidend die Einführung des Euro als neue Währung anstatt der D-Mark forcierte, wurde 1998 geehrt.
"Ära der verlorenen 16 Jahre"?
Albrecht von Lucke, Politikwissenschaftler und Redakteur der renommierten politischen Monatszeitschrift "Blätter für deutsche und internationale Politik", sagt gegenüber der DW, dass sowohl Adenauer als auch Kohl in der deutschen Nachkriegsgeschichte gezwungen waren, "mutige" politische Entscheidungen zu treffen - unabhängig von den eigenen politischen Ansichten oder den Folgen ihrer Entscheidungen.
Merkel dagegen sei diesem Anspruch nicht gerecht geworden, ihre Regierungszeit sei eine "Ära der 16 verlorenen Jahre". Von Lucke weiter: "Wir fangen gerade erst an zu sehen, wie problematisch das Erbe von Angela Merkel ist. Ihr jetzt eine solche Auszeichnung zu geben ist völlig verfrüht und nicht die richtige Auszeichnung. Es ist immer noch nicht klar, was ihre Verdienste und was ihre Versäumnisse sind."
Kritik an Klimaschutz- und Russlandpolitik
In der Kritik steht zum einen die Klimaschutzpolitik Merkels, in Zeiten einer sich dramatisch verschärfenden Klimakrise. Einst als "Klimakanzlerin" tituliert, hatte Deutschland unter Merkel seine eigenen Ziele zur Reduzierung der Treibhausgasemissionen häufig verfehlt.
Vor allem aber wird der früheren Kanzlerin ihre Politik gegenüber Russland angelastet. Nach dem russischen Angriff auf die Ukraine im Februar 2022, der kurz nach Merkels Ausscheiden aus dem Amt begann, mehren sich die kritischen Stimmen, die frühere Kanzlerin sei zu nachgiebig gegenüber Moskau gewesen. Außerdem sei sie die Hauptverantwortliche für die zunehmende Energieabhängigkeit Deutschlands von Russland.
In einem seltenen öffentlichen Auftritt im vergangenen Jahr verurteilte Merkel den Krieg Russlands in der Ukraine, verteidigte aber ihre diplomatischen Bemühungen und wollte keine außenpolitischen Fehler erkennen. "Ich werde mich deshalb nicht entschuldigen", sagte sie zu ihrer Russlandpolitik vor einem Publikum in Berlin.
Starke Kanzlerin in Zeiten des Umbruchs
Befürworter von Merkels Politik weisen indes darauf hin, dass sich ihre Russland-Politik nicht wesentlich von der anderer Bundeskanzler unterschieden habe, egal welcher Partei. Deutschland habe lange Zeit engere wirtschaftliche, energiepolitische und kulturelle Beziehungen zu Russland gepflegt als viele seiner europäischen Verbündeten, oft auch zum Unmut jener Staaten.
Während einige ihre Zeit als Bundeskanzlerin also als verpasste Chance betrachten, zollen andere ihr Anerkennung dafür, dass sie in einer Zeit des Umbruchs den Status quo verteidigt habe. "Sie hat es geschafft, die EU in turbulenten Zeiten zusammenzuhalten und zu stärken", sagt Lucas Schramm, Politikwissenschaftler an der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität, gegenüber der DW.
Nach langer Zeit wieder in der Öffentlichkeit
So hatte Angela Merkel während ihrer Amtszeit gleich mit drei riesigen Herausforderungen für die Europäische Union zu kämpfen: mit der Banken-, der Schulden- und der Flüchtlingskrise. Zudem verließ Großbritannien die EU, während die Vereinigten Staaten unter Präsident Donald Trump offen feindselig gegenüber Brüssel auftraten. "Viele Staats- und Regierungschefs haben kürzlich gesagt, dass Merkel wegen ihrer Autorität bei den Gipfeltreffen des Europäischen Rates vermisst wird", sagte Schramm.
Die Debatte über Merkels Hinterlassenschaft ist noch lange nicht zu Ende. Ob verdient oder verfrüht, die Entscheidung, ihr den Verdienstorden zu verleihen, bringt die Kanzlerin im Ruhestand zumindest zurück ins Rampenlicht der Öffentlichkeit. Ein Ort, den sie während ihrer Amtszeit zu meiden versuchte. Und dem sie seit ihrer Rückkehr ins Privatleben weitgehend ferngeblieben ist.