Gefürchtet, aber auch bewundert
28. Dezember 2013Beliebt? Nein, beliebt ist Angela Merkel in Europa nicht. Vor allem nicht in den südeuropäischen Krisenländern. Dort gilt die CDU-Politikerin als die Hauptverantwortliche für die rigiden Sparauflagen der Geldgeber-Troika, die sich aus der EU-Kommission, der Europäischen Zentralbank und dem Internationalen Währungsfonds zusammensetzt. Schließlich waren es die Deutschen, allen voran die Bundeskanzlerin, die sich 2010 monatelang gegen direkte Hilfszahlungen gestemmt hatten, obwohl der griechische Ministerpräsidenten Giorgos Papandreou für sein Land einen Staatsbankrott angekündigt hatte.
Als es nicht mehr anders ging, wurde aus der strikten Weigerung die notgedrungene Bereitschaft zur Hilfsleistung - aber nur unter harten Auflagen, denen die Kanzlerin ihren Stempel aufdrückte. "Natürlich wollen wir den Euro und natürlich wollen wir nicht, dass einer sozusagen Pleite macht und wir dann alle mitgezogen werden", argumentiert Merkel bis heute. "Ja, Deutschland hilft, aber Deutschland hilft nur dann, wenn die anderen sich auch wirklich anstrengen."
Deutsches Diktat?
Anstrengen, das heißt für die konservative Merkel: rigoros sparen und drastisch reformieren. Die Kanzlerin, aber auch andere deutsche Regierungspolitiker machten nie einen Hehl daraus, dass sie die eigene Wirtschaft und Verwaltung als beispielhaft für alle EU-Länder und vor allem für die europäischen Krisenländer ansehen. "Wir haben gezeigt, dass wir es können - und das in einer schweren Zeit. Und Deutschland steht stark da. Deutschland ist Wachstumsmotor, Deutschland ist Stabilitätsanker", fasste Angela Merkel das deutsche Rollenverständnis noch im Sommer dieses Jahres zusammen.
Eine Haltung, die die Bürger in Griechenland, Spanien, Portugal und Zypern lange auf die Barrikaden getrieben hat. Wütend demonstrierten sie gegen "deutsches Hegemoniestreben", als dem Spardiktat zahllose Sozialprogramme und hunderttausende Jobs zum Opfer fielen. Auf Anti-Merkel-Plakaten wurde die Kanzlerin von Demonstranten als gnadenlos und unnachgiebig dargestellt und als Diktatorin verunglimpft. Mehr als einmal musste sich Merkel sogar den Vergleich mit Adolf Hitler gefallen lassen.
Wieso klappt das bei den Deutschen?
Am Druck auf die Krisenländer änderte das nichts. "Deutschland wird auf Dauer nur stark sein, wenn auch Europa stark ist", rechtfertigt Merkel ihre harte Haltung. Unter dem Druck vieler EU-Partner musste aber selbst sie schließlich einsehen, dass ein Land auch "kaputt gespart" werden kann, dass begleitend unbedingt etwas für das Wachstum getan werden und die Konjunktur angekurbelt werden muss. 2012 brachte die EU einen Wachstums- und Beschäftigungspakt auf den Weg, in dessen Rahmen auch die Mittel bei der Europäischen Investitionsbank um zehn Milliarden Euro aufgestockt wurden.
Viele Bürger in den europäischen Krisenländern sind bis heute trotzdem schlecht auf die Bundeskanzlerin zu sprechen, und auch auf Regierungsebene hat sich so manches bilaterale Verhältnis deutlich abgekühlt. Deutschland wird aber auch dafür beneidet, dass es so vergleichsweise glimpflich durch die Finanz- und Wirtschaftskrise gekommen ist. Schon 2009 ging es in der größten Volkswirtschaft der EU wieder aufwärts. Heute steht das Land in Europa mit Abstand am besten da. Auf die Frage nach dem Warum werden oft die Arbeitsmarktreformen der Agenda 2010 angeführt. Ohne sie, so wird argumentiert, hätte die Wirtschaft nicht so robust durch die Krise kommen können.
Die Krisen-Kanzlerin
Nicht wenige im In- und Ausland bewundern aber auch Angela Merkel für ihr Krisenmanagement. Wie ein roter Faden zieht sich der Begriff Krise durch ihre bisherigen Amtszeiten als Bundeskanzlerin. 2005 wurde sie Chefin einer großen Koalition aus CDU, CSU und SPD. Knapp zwei Jahre regierte sie, als die Bankenkrise mit der Pleite der IKB-Bank auch in Deutschland Fahrt aufnahm. Es folgten die europäische Schuldenkrise und mit ihr die Krise des Euro.
Die wird sie auch in ihrer dritten Regierungszeit weiter beschäftigen, soviel ist klar. "Wir dürfen keine Sekunde nachlässig werden, nur weil der Euro nicht mehr jeden Tag die Schlagzeilen beherrscht", mahnt Merkel immer wieder. So erfreulich die Fortschritte auf dem Weg zu mehr Stabilität und Wachstum auch seien, so sehr müssten sich die Europäer darüber im Klaren sein, dass der Aufschwung alles andere als schon garantiert sei, sagte sie kürzlich in einer europapolitischen Regierungserklärung.
"Die Ursachen reichen von einer übermäßigen Verschuldung einzelner europäischer Staaten über Defizite bei der Wettbewerbsfähigkeit, wirtschaftliche Ungleichgewichte und natürlich gravierende Fehlentwicklungen auf den Finanzmärkten bis hin zu Konstruktionsmängeln der gesamten Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion", so lautet ihre Analyse.
Mehr Macht für Brüssel
Es sind vor allem diese "Konstruktionsmängel", die Merkel in ihrer dritten Amtszeit abbauen will. "Wir müssen durch Vorsorgepolitik die Ursachen beseitigen, die zu dieser Situation der Europäischen Union und des Euro-Raums geführt haben." Vorsorge geht nach Ansicht der Kanzlerin über die bislang beschlossenen Maßnahmen wie eine Bankenaufsicht weit hinaus. Sie möchte aus der EU eine echte Wirtschaftsunion machen. Doch dazu müsste die EU-Kommission in Brüssel mehr Macht erhalten. Beispielsweise, um nationale Strukturreformen zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit verbindlich einfordern zu können und mehr Kontrolle über die Haushalte der 28 Mitgliedstaaten zu erhalten.
Merkel weiß, dass das ohne eine Änderung der EU-Verträge nicht möglich ist. "Es gibt in Europa die Situation, dass jeder sagt: Wir können alles weiterentwickeln, nur die Verträge dürfen wir nicht ändern. Ich glaube, so wird man ein wirklich funktionsfähiges Europa nicht entwickeln können", mahnt die Kanzlerin. Doch der Widerstand in der EU ist und bleibt groß. Das zeigte sich erneut deutlich auf dem letzten EU-Gipfel kurz vor Weihnachten. Die Entscheidung über verbindliche Reformverträge für die Wirtschafts- und Bildungspolitik wurde erneut verschoben, von Juni auf Oktober 2014.
Offiziell wird die bevorstehende Europawahl als Grund für die Verschiebung genannt. Doch Angela Merkel weiß, dass es einfach mehr Zeit und noch viel Überzeugungsarbeit brauchen wird, um die Mitgliedsländer von den nötigen weitreichenden Reformen etwa in der Wirtschafts-, Forschungs- oder Bildungspolitik zu überzeugen. Man komme nur "Millimeter für Millimeter" voran, räumte die Kanzlerin ein.
Mehr Lob, weniger Tadel
Ihre Ziele verfolgt Merkel weiterhin hartnäckig. Gleichzeitig bemüht sie sich aber seit geraumer Zeit, ihr abgekühltes Verhältnis zu den Krisenländern zu verbessern. Lob statt Härte, so lautet jetzt das politische Credo. Strenge wird nur noch in Ausnahmefällen demonstriert. Unermüdlich verweist sie auf erste Erfolge der Spar- und Reformpolitik. "Mit Irland und Spanien haben wir zwei Länder, die Früchte ihres Reformkurses ernten können: Sie können die europäischen Hilfsprogramme verlassen. Das zeigt, dass in diesen Ländern wirklich viel passiert ist. Ich kann hierzu nur gratulieren", so Merkel kürzlich.
Auch für den griechische Ministerpräsidenten Antonis Samaras fand die Deutsche im November dieses Jahres nur lobende Worte. Dabei stand Samaras Besuch in Berlin unter keinem guten Stern. Ein Streit mit den Kontrolleuren der Troika über den Haushalt 2014 blockierte die Auszahlung einer weiteren Tranche des laufenden Hilfskredits. Die Prüfer hatten einen Fehlbetrag von bis zu 1,5 Milliarden Euro ausgemacht.
Statt auf die Kritik einzuschwenken, wie es Merkel früher getan hätte, spielte die Bundeskanzlerin den Streit im Beisein Samaras herunter. Man werde die Fragen mit der Troika klären können. "Wir reden jetzt nicht über die Frage, dass da irgendwelche totalen Löcher sind." Das sei ein "unglaublicher Fortschritt" gegenüber den früheren Diskussionen. Geradezu demonstrativ lobte Merkel die griechische Reformpolitik. "Ich unterstreiche, dass Licht am Ende des Tunnels zu sehen ist. Griechenland steht zu seinen Verpflichtungen. Ich habe keinen Zweifel daran."
Neuer Schulterschluss mit Frankreich
Nachholbedarf gibt es auch im deutsch-französischen Verhältnis. Das war während der Amtszeit des konservativen französischen Präsidenten Nicholas Sarkozy meist eng und freundschaftlich. Mit dem Sozialisten Francois Hollande hingegen fand Merkel lange keine gemeinsame Linie. Das soll sich nun offenbar zum Besseren wenden. "Wir können jetzt eine neue Etappe beginnen", sagte die Bundeskanzlerin, die unmittelbar nach ihrer Wiederwahl – wie es Tradition ist – ihren ersten Auslandsbesuch in Frankreich machte.
Aufbruchsstimmung verbreitet auch Präsident Hollande. Er begrüßte Merkel, aber auch den sie begleitenden neuen Außenminister, den SPD-Politiker Frank-Walter Steinmeier, betont herzlich. Offenbar hofft man in der französischen Linksregierung, dass die Zusammenarbeit der CDU/CSU mit den Sozialdemokraten in der großen Koalition Einfluss auch auf die deutsche Europapolitik haben wird. "Wir brauchen Regeln, wir brauchen Disziplin, wir brauchen aber auch Perspektiven für Wachstum, die auf der Binnennachfrage, aber auch auf der Wettbewerbsfähigkeit beruhen", sagte Hollande. Angela Merkel widersprach im nicht.