Angola: Bürgerrechtler warnen vor "Angriff auf Demokratie"
28. Juni 2024"Herr Präsident, wenn Sie wirklich ein demokratisches und lebenswertes Land für alle Angolaner wollen, können Sie nicht so weitermachen wie bisher! Kehren Sie um, Sie sind auf dem falschen Weg!"
Diesen öffentlichen Appel richtet Florindo Chivucute, Vorsitzender der in der US-Hauptstadt Washington ansässigen Nichtregierungsorganisation "Friends of Angola" (FoA), direkt an Angolas Staats- und Regierungschef João Lourenço.
Chivucute ist Aktivist und Blogger und hat in den USA Konfliktanalyse und Konfliktlösung studiert. Im DW-Interview äußert er sich besorgt über den Zustand der angolanischen Demokratie.
Chivucute fordert vom Präsidenten eine "sofortige Abkehr von der Politik der Unterdrückung der demokratischen Grundrechte". Als ersten Schritt fordert der Bürgerrechtler, dass alle politischen Gefangenen in dem südwestafrikanischen Land unverzüglich freigelassen werden.
Willkürliche Verfolgung von Oppositionellen
Ein Appell, der ungehört verhallen dürfte. Denn die Regierung bestreitet, dass es überhaupt politische Gefangene in Angola gibt. Menschenrechtsorganisationen beklagen jedoch seit langem, dass Bürger, die sich kritisch gegen die Regierungspolitik in Angola äußern, diskriminiert, unterdrückt oder gar verfolgt würden.
Einer der prominentesten Fälle betrifft vier junge Aktivisten: Adolfo Campos, Tanaice Neutro, Gildo das Ruas und Abraão Pensador wurden vor neun Monaten zu jeweils zwei Jahren und fünf Monaten Haftstrafe wegen Aufruhrs und Beleidigung des Präsidenten verurteilt. Ihr Vergehen: Sie hatten an einer Demonstration teilgenommen, um sich mit Motorradtaxifahrern zu solidarisieren, die gegen hohe Benzinpreise protestierten. Seit ihrer Verurteilung sitzen sie im Gefängnis, wo sie angeblich auch misshandelt werden.
Familienangehörige und verschiedene zivilgesellschaftliche Organisationen betrachten das Urteil als "politisch motiviert". Derzeit läuft im Land eine öffentliche Petition für die Freilassung der vier Männer. "Wir warten darauf, dass das Berufungsgericht zugunsten der Freilassung der politischen Gefangenen entscheidet. Und dass diejenigen zur Verantwortung gezogen werden, die die Aktivisten willkürlich verhaftet und verurteilt haben", sagt Rapper Jaime MC von der Bürgerbewegung "Mudei" ("Verändern"), die die Petition mitinitiiert hat.
Simão Cativa ist ein Aktivist, der die Gefangenen in der Justizvollzugsanstalt Calomboloca bei Luanda vor kurzem besuchte. Er sagte der Deutschen Welle, der Gesundheitszustand von Tanaice Neutro sei kritisch. Das ist ein Musiker, der mit bürgerlichem Namen Gilson da Silva Morreira heißt. Sein Mithäftling Adolfo Campos habe Augenprobleme und benötige dringend eine Operation. Dennoch bekämen beide keine angemessene medizinische Hilfe, so Cativa.
"Das sind keine Einzelfälle. Uns sind ähnliche Fälle überall im Land bekannt", sagt Florindo Chivucute von den "Friends of Angola". Willkürliche Verhaftungen hätten seit Beginn der zweiten Amtszeit von Präsident Lourenço im September 2022 erheblich zugenommen. Am vergangenen Samstag (22.Juni) wurden erneut zehn junge Leute am Rande einer Demonstration für die Freilassung politischer Gefangener festgenommen.
Behinderung von Nichtregierungsorganisationen
"Damit nicht genug: Die Regierung verstärkt den Druck auf Nichtregierungsorganisationen, die Fälle politischer Verfolgung dokumentieren", sagt Florindo Chivucute. Die Regierung habe vor über einem Jahr ein neues "Statut für Nichtregierungsorganisationen" beschlossen, das im Parlament in erster Lesung angenommen worden sei.
Die meisten Nichtregierungsorganisationen fühlen sich von diesem Gesetzesvorhaben bedroht und laufen bereits seit Monaten Sturm dagegen. Es bestehe die Gefahr, dass damit "unbequeme Stimmen von unbequemen Organisationen und Vereinen" zum Schweigen gebracht werden.
Präsident Lourenços Partei, die Volksbewegung zur Befreiung Angolas (MPLA), hat mit ihrer absoluten Mehrheit im Parlament in Luanda ein Gesetz auf den Weg gebracht, wonach die Organisationen künftig detaillierte Berichte über ihre Einnahmequellen vorlegen müssen. Eine direkt der Regierung unterstellte Behörde soll die Finanzen der Nichtregierungsorganisationen kontrollieren, angeblich um "Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung" zu verhindern. Bloße Verdachtsmomente könnten zur Aussetzung der Aktivitäten der Organisationen führen, so die Kritiker.
"Das ist eine unzumutbare Einmischung in unsere Arbeit", kommentiert der Rapper Jaime MC von der Bürgerbewegung Mudei. "Es ist ein Gesetz, das eindeutig gegen den Geist der Demokratie in Angola verstößt."
Noch ist das Gesetz nicht endgültig beschlossen. Die meisten Nichtregierungsorganisationen befürchten aber, dass das nur eine Frage der Zeit ist. "Wehret den Anfängen", sagt Jaime MC. "Wir müssen verhindern, dass die Regierung der Zivilgesellschaft den Mund verbietet. Die Nichtregierungsorganisationen sind wichtig, um unterdrückten Bürgern, wie den politischen Gefangenen, eine Stimme zu geben."
Umbau des Staates im Sinne der Regierungspartei
"Die angolanische Regierung agiert allzu oft im Sinne der Interessen der Regierungspartei und nicht im Sinne der Interessen der Bevölkerung", sagt Guilherme Neves von der angolanischen Menschenrechtsorganisation "Mãos Livres". Immer unverblümter versuche Lourenços Regierung alle staatlichen Instanzen in den Dienst der MPLA zu stellen. Das gelte fürs Schulwesen, für die Presseorgane und auch für sämtliche Staatsunternehmen.
Und jetzt wollen sie auch die Verwaltungseinheiten des Landes in ihrem Sinne umbauen, so Menschenrechtler Neves. Ein Beispiel dafür sei die geplante Aufteilung bestimmter Provinzen im Land.
Tatsächlich empfahl das Zentralkomitee der MPLA am 21. Juni seinen Parlamentsabgeordneten, sich im Rahmen einer Verwaltungsreform unter anderem für die Teilung der Hauptstadtprovinz Luanda an der Küste des Atlantiks einzusetzen. Aus Sicht von Kritikern ist das ein Versuch, die dort recht erfolgreiche Oppositionspartei UNITA auszubremsen.
Jurastudent Simão Formiga sieht keinen Bedarf, Luanda zu teilen, da die Provinz aus demografischer Sicht nicht besonders groß sei: "Ich sehe darin eine Strategie der Staatspartei, die Kommunalwahlen 2025 zu ihrem Gunsten zu beeinflussen", so Formiga im DW-Gespräch.
Oppositionsführer Adalberto Costa Júnior von der größten Oppositionspartei UNITA, ist derselben Meinung: "Die Teilung Luandas soll nur verhindern, dass die UNITA bei den nächsten Regionalwahlen gewinnt. Ich sehe keinen anderen Grund für den Vorstoß der Regierungspartei", so Costa Júnior bei einer öffentlichen Veranstaltung seiner Partei am vergangenen Wochenende.
Bei der Parlamentswahl 2022 unterlag Lourenço MPLA deutlich der Opposition im Großraum Luanda. Die UNITA lag in der gleichnamigen Provinz Luanda mit 62,25 Prozent der Stimmen vorne.
Die meisten Stimmen für die Opposition kamen aus den Bezirken Cacuaco und Viana, zwei Vororten der Hauptstadt. Dies sind genau die beiden Bezirke, die gemäß dem neuen Plan der MPLA, zusammen mit den Gemeinden Ícolo, Bengo und Quiçama aus der Provinz Luanda ausgegliedert werden sollen, um die neue Provinz "Ícolo-Bengo" zu bilden.
Der Politikwissenschaftler David Sambongo beschreibt die Strategie der Regierungspartei im DW-Interview so: "Die UNITA-Hochburgen - namentlich die Bezirke Cacuaco und Viana - sollen aus der wichtigen Provinz Luanda, die auch die Hauptstadt umfasst, ausgegliedert werden. Damit soll eine mögliche Niederlage der MPLA bei den nächsten Kommunalwahlen möglichst abgeschwächt werden."
Schritt für Schritt würden Präsident João Lourenço und seine MPLA versuchen, Kritikern und Oppositionellen "das Leben schwer zu machen", und gleichzeitig ihre eigenen Interessen im Staat durchzusetzen, fasst der angolanische Politikwissenschaftler das Vorgehen der Regierungspartei zusammen. Das habe nur wenig mit Demokratie zu tun.
Mitarbeit: Borralho Ndomba (Luanda)