Angriffe gehen ohne die NATO weiter
20. März 2011Die NATO-Staaten sind sich nicht einig. Nach mehreren Sondersitzungen am Sonntag (20.03.2011) in Brüssel konnten die zuständigen NATO-Botschafter der 28 Mitgliedsstaaten keinen Kompromiss darüber finden, wer die Führung des Militäreinsatzes in Libyen übernehmen soll. Die NATO sei tief gespalten, berichteten die Diplomaten.
Frankreich gilt als großer Blockierer. Es will nicht die Führung an die NATO abgeben. Der Grund: Die NATO habe einen schlechten Ruf in der arabischen Welt. Andere Länder wie beispielsweise die Türkei verlangen hingegen eine klare Führung. Auch die Briten fordern, dass das Kommando schnellstmöglich von den USA auf die NATO übergeht. "Ich hoffe, dass wir unter NATO-Kontrolle und unter NATO-Kommando kommen, auch wenn es keine NATO-Mission ist", sagte der britische Verteidigungsminister Liam Fox der BBC.
Bislang bombardieren Frankreich, Großbritannien und die USA wichtige militärische Ziele in Libyen unter dem Militäreinsatz "Odyssey Dawn" ("Odyssee Morgendämmerung"). Am Sonntag starteten ebenso kanadische, dänische und italienische Kampfflugzeuge in Richtung Libyen. Andere Staaten wie Albanien boten ebenfalls Hilfe an.
Militäreinsatz geht weiter
Die Luftangriffe auf Libyen sind am Sonntag fortgesetzt worden. Auch am Abend war in der libyschen Hauptstadt Tripolis erneut Luftabwehrfeuer zu hören, wie mehrere Medien berichteten. Mindestens 18 US-Kampfflugzeuge bombardierten bereits am Morgen Ziele in dem nordafrikanischen Land, sagte ein Sprecher des Afrika-Kommandos der US-Streitkräfte (AFRICOM) in Möhringen bei Stuttgart. Auch Frankreich flog wieder Luftangriffe. Französische Flugzeuge hätten am Morgen Panzer von regierungstreuen Truppen angegriffen, berichteten Militärkreise.
Aber auch die Truppen von Machthaber Muammar al-Gaddafi setzten offenbar ihre Angriffe auf libysche Aufständische fort. Die Stadt Misurata werde mit Artilleriegeschützen beschossen, sagte ein Bewohner dem britischen TV-Sender BBC. Augenzeugenberichten zufolge drangen Gaddafi-Truppen am Sonntagnachmittag ins Zentrum der Stadt vor. Misurata liegt 210 Kilometer östlich der Hauptstadt Tripolis und ist in der Hand der Gaddafi-Gegner.
Unklare Opferzahl
Der Krieg gegen Gaddafi hatte am Samstag mit Luftangriffen französischer Kampfflugzeuge und US-Raketenangriffen auf libysche Luftabwehrstellungen begonnen. Zuvor hatte der UN-Sicherheitsrat die Durchsetzung einer Flugverbotszone genehmigt, um Gaddafi davon abzuhalten, die Aufständischen im eigenen Lande anzugreifen. US-Generalstabschef Mike Mullen nannte die Angriffe einen "Erfolg". Die Flugverbotszone sei faktisch durchgesetzt, sagte er dem Fernsehsender NBC.
Wieviele Menschen bei den Angriffen ums Leben kamen, ist nicht klar. Das staatliche libysche Fernsehen berichtete, dass 64 Menschen getötet worden sind, 150 seien verletzt worden. Eine Bestätigung von unabhängiger Seite gab es dafür nicht.
Gaddafi tobt
Das Rote Kreuz rief alle Konfliktparteien dazu auf, "das humanitäre Völkerrecht strikt zu achten und immer zwischen militärischen und zivilen Zielen zu unterscheiden".
Gaddafi drohte nach den ersten Angriffen mit einem "langen, ausgedehnten Krieg ohne Grenzen". "Dies ist nun eine Konfrontation des libyschen Volkes mit Frankreich, Großbritannien und den USA, mit den neuen Nazis", sagte er in einer am Sonntag im Staatsfernsehen übertragenen Audiobotschaft. "Ihr werdet stürzen, wie Hitler gestürzt ist. Alle Tyrannen stürzen", sagte er weiter.
Russland für Waffenruhe
Kritik an dem Militäreinsatz gegen Libyen kam von Russland und China. Eine Eskalation müsse vermieden werden, Libyen müsse so schnell wie möglich wieder zu stabilen Verhältnissen zurückfinden, teilte das Außenministerium in Peking mit. China und Russland hatten sich im Sicherheitsrat bei der Abstimmung über die Libyen-Resolution der Stimme enthalten.
Russland verlangte eine Waffenruhe: "Wir bedauern diesen bewaffneten Einsatz im Rahmen der UN-Resolution 1973, die in Eile beschlossen wurde", teilte das Außenministerium in Moskau mit. "Das Blutvergießen muss schnell gestoppt werden, und Libyen muss schnell den Dialog aufnehmen, damit der Konflikt auf Dauer gelöst werden kann."
Auch die Arabischen Liga übte Kritik: Die Luftangriffe dienten nicht dem Ziel, eine Flugverbotszone durchzusetzen, sagte der Chef der Arabischen Liga, Amr Mussa, am Sonntag in der ägyptischen Hauptstadt Kairo. "Wir wollen Schutz für die Zivilbevölkerung und keinen Beschuss weiterer Zivilisten", sagte er.
Autor: Dirk Eckert /Nicole Scherschun (afp, dpa, rtr)
Redaktion: Martin Schrader