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Angst vor dritter Intifada

Kersten Knipp7. November 2014

Die Spannungen zwischen Israelis und Palästinensern wachsen. Schon ist vom möglichen Ausbruch einer dritten Intifada die Rede. Nicht alle halten diese Sorge für begründet. Doch der Unmut der Palästinenser wächst.

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Ausschreitungen in Jerusalem, 05.11.2014 (Foto: Reuters)
Bild: Reuters/A. Awad

Israel und die palästinensischen Gebiete kommen nicht zur Ruhe: Zwei Palästinenser rasen im Abstand von zwei Wochen mit ihren PKWs in Gruppen von Zivilisten, die an Haltestellen der Jerusalemer Stadtbahn warten. Drei Menschen sterben, mehrere werden verletzt. Kurz zuvor erschießen israelische Soldaten nahe Ramallah einen 14-jährigen Palästinenser US-amerikanischer Staatsbürgerschaft. Ein Armeesprecher sagte, der Junge habe einen Molotov-Cocktail auf die Soldaten werfen wollen. Wiederum eine Woche zuvor hatten israelische Soldaten einen 13-jährigen Palästinenser bei einer gewalttätigen Demonstration erschossen. Ende Oktober hatte ein Palästinenser den radikalen Rabbiner Jehuda Glick mit einem Messer angegriffen. Ebenfalls in diesen Tagen beschloss die israelische Regierung den Bau von 1000 neuen Wohnungen in dem vor allem von palästinensischen Israelis bewohnten Ostteil von Jerusalem. Aktuell arbeitet sie an einem Gesetz, das erlauben soll, Personen, die Steine auf israelische Sicherheitskräfte werfen, zu Haftstrafen von bis zu 20 Jahren zu verurteilen.

Die nicht abreißende Gewalt und die politischen Spannungen lassen derzeit Befürchtungen wachsen, es könne zu einer neuen "Intifada" kommen, einem breiten Aufstand der Palästinenser im West-Jordanland, Ostjerusalem und dem Gazastreifen. Aufstände dieser Art hatte es bereits in den Jahren 1987-1993 und 2000-2005 gegeben. Bei der zweiten Intifada kamen rund 500 Israelis und knapp 3600 Palästinenser ums Leben.

Ausschreitungen in Jerusalem 05.11.2014 (Foto: Reuters)
Ausschreitungen in JerusalemBild: Ahmad Gharabli/AFP/Getty Images

Eine "stille Intifada"

Könnte nun eine weitere, die dritte Intifada ausbrechen? Der palästinensische Publizist Daoud Kuttab spricht in einem Essay für den Nachrichtensender Al-Jazeera von einer "silent Intifada", einer "stillen Intifada". In deren Verlauf, so Kutttab, hätten sich viele Palästinenser von der etablierten politischen Führung getrennt. "Diese führungslose Waisen haben auf kreative Weise ihre eigenen Mittel gefunden, um zu überleben und Widerstand zu leisten." Sie schlössen sich in verschiedenen Gruppen zusammen. So etwa in der 1953 gegründeten islamistischen "Tahrir-Partei". Palästinenserinnen hingegen bildeten die Gruppe "Die Frauen von Al-Aqsa", die sich um die Al-Aqsa-Moschee auf dem Tempelberg versammelten und Juden daran hinderten, auf dem Tempelberg zu beten. Das ist Juden nach geltendem Recht verboten.

Droht damit ein religiöser extremistischer Schub innerhalb der palästinensischen Gesellschaft? Nein, sagt die palästinensische Juristin Rania Madi im Gespräch mit der DW. Eine Radikalisierung, wie sie derzeit etwa bei der Terrororganisation "Islamischer Staat" in Syrien und im Irak zu beobachten ist, sei nicht zu befürchten. Traditionell lebe die palästinensische Gesellschaft in religiöser Harmonie, die sich solchen Entwicklungen entgegen stelle. Dennoch sei sie in Sorge, erklärt Madi, die derzeit die palästinensische Menschenrechtsorganisation "Badil" ("Alternative") in Genf vertritt. Mittlerweile wachse die dritte Generation unter israelischer Besatzung heran. "Sie erlebt, wie ihre Verwandten verhaftet, getötet oder in ihren Rechten behindert werden. Natürlich radikalisieren solche Erfahrungen die Menschen."

Das israelische Militär sperrt den Tempelberg (Foto: Getty Images)
Das israelische Militär sperrt den TempelbergBild: Getty Images/J. Guez

Sorgen um den Status von Jerusalem

Hinzu kommt die Sorge der Palästinenser um den Status von Jerusalem. Irgendwann, so wünschen sie es sich, soll Jerusalem die Hauptstadt eines unabhängigen palästinensischen Staates werden. Diese Option, fürchten die Palästinenser, wird durch die israelische Politik derzeit unmöglich gemacht. "Schaut man sich die Pläne Israels an, ist Jerusalem nicht mehr die Hauptstadt eines künftigen palästinensischen Staates", heißt es in der Zeitung "Al Quds" vom 07.11.2014. "Den Plänen zufolge soll Jerusalem die unumstrittene Hauptstadt des jüdischen Staates werden." Dafür würde in Israel auch mit hohem publizistischem und medialem Aufwand gekämpft, so die Zeitung.

Bestätigt sehen viele Palästinenser ihre Sorgen durch den Umstand, dass der Tempelberg nach dem Attentat auf den Rabbiner Glick mehrere Stunden geschlossen wurde. Die israelischen Behörden erklärten hingegen, nur so könnten Ruhe und Sicherheit rund um den Tempelberg garantiert werden. Seitdem allerdings der damalige Oppositionsführer und spätere israelische Ministerpräsident Ariel Scharon im September 2000 in Begleitung von rund 1000 Journalisten, Polizisten, Militärs und Politikern den Tempelberg besuchte, sind die Palästinenser hinsichtlich des Erhalts ihrer heiligen Stätten ganz besonders sensibel. Tatsächlich fordern radikale Juden, auf dem Tempelberg einen neuen jüdischen Tempel zu errichten. Die Mehrheit der Israelis lehnt dieses Ansinnen derzeit zwar ab. Doch beruhigen kann das die Palästinenser nicht.

Ein radikaler Jude versucht auf den Tempelberg zu kommen, 30.10.2014 (Foto: Getty Images)
Ein radikaler Jude versucht auf den Tempelberg zu kommenBild: Getty Images/J. Guez

Das Gebet als Selbstverteidigung

Viele ihrer Landsleute fühlten sich provoziert, weil sie daran gehindert würden, auf dem Tempelberg zu beten, sagt Madi. Das veranlasse auch palästinensische Christen dazu, ihn gemeinsam mit ihren muslimischen Landsleuten zum Beten aufzusuchen. Das Gebet werde zu einer Art Form sich selbst und die eigene Kultur zu verteidigen, so die Juristin weiter. "Es geht um das Recht, die eigene Religion zu praktizieren."

Dass es zu einer dritten Intifada kommt, hält Madi allerdings für ausgeschlossen. Vereinzelte Demonstrationen seien möglich, eine landesweite Erhebung hingegen höchst unwahrscheinlich. Das aus dem Grund, weil die palästinensischen Sicherheitskräfte solche Kundgebungen verhindern würden. Den Unmut ihrer Landsleute können die Polizisten allerdings nicht verhindern.