DDR-Arbeiter und die Druschba-Pipeline
9. Dezember 2019Bald könnte der Transit von russischem Erdgas durch die Ukraine Richtung Westen enden. Denn der bisherige Vertrag zwischen Moskau und Kiew läuft mit Jahresende aus und die Gespräche über einen neuen sind bisher ohne Erfolg. Damit könnte auch eine 40-jährige Geschichte enden, die Russland, die Ukraine und Deutschland verbindet. Alles begann Mitte der 1970er Jahre, als die Ukraine Teil der Sowjetunion und die DDR Teil des Ostblocks waren. Tausende Ostdeutsche fuhren zur "Baustelle des Jahrhunderts", um eine Gasleitung nach Mitteleuropa zu bauen.
Hajo Obuchoff weiß darüber fast alles. Er war unter den Ersten, die in die Sowjetunion aufbrachen. Vier Jahre verbrachte er dort. 2012 schrieb er das Buch "Die Trasse" über die Ostdeutschen, die am gesamten Pipelineprojekt - von der Ukraine bis zum Ural und Kasachstan - mitgebaut haben. "Ich habe in der DDR Sport und Geographie studiert und kurze Zeit als Lehrer gearbeitet. Dann hieß es: Durch die Ukraine wird eine große Erdgasleitung gebaut und Jugendliche sollen mitbauen", erinnert sich der 72-Jährige, der heute in Berlin lebt. Es ging um die Exportleitung Sojus, über die Erdgas aus Vorkommen bei Orenburg in Russland in die osteuropäischen "Bruderstaaten" der Sowjetunion und in den Westen geliefert werden sollte.
Gebaut wurde sie von Polen, Ungarn, der Tschechoslowakei, Bulgarien und der DDR. Die Ostdeutschen waren für den Abschnitt zwischen den ukrainischen Städten Krementschuk und Bar zuständig. Diese rund 500 Kilometer lange Leitung wurde Druschba (Freundschaft) genannt, nicht zu verwechseln mit der gleichnamigen Erdölleitung von Russland gen Westen. Die Druschba-Gasleitung in der Ukraine gilt als größtes DDR-Investitionsprojekt im Ausland. Die Röhren kamen aus Italien und Westdeutschland, bezahlt wurde mit sowjetischem Gas. Eingesetzt wurden japanische Komatsu-Rohrleger, aber auch schwere sowjetische KrAZ-Lastkraftwagen direkt vom Werk in der Nähe der Trasse.
Bauarbeiten mit Musik von den Beatles und Boney M.
Obuchoff war ein "Kulturnik" und die Pipelinebauer hießen "Trassniki". "Es ging um kulturelle Betreuung der Arbeiter: Filme zeigen, Bibliotheken aufbauen, Diskos und Kulturabende organisieren. Es war Musik nicht nur aus der DDR und dem Ostblock, sondern auch aus dem Westen von Beatles bis Boney M.", erinnert sich der Druschba-DJ. In der Sowjetunion habe es viele Raubkopien westlicher Platten gegeben. "So hatten wir die Rolling Stones, die eigentlich in der DDR verboten waren", fügt Obuchoff hinzu.
Der damals 28-Jährige bekam mit einem Freund ein umgebautes Auto der DDR-Armee zugeteilt, das war das Diskomobil der Druschba-Trasse, so stand es auf der Seitenwand. Gemeinsam fuhren sie im Juni 1975 ins ukrainische Tscherkassy, zum Hauptquartier des deutschen Bauabschnitts - allerdings mit gemischten Gefühlen. "Das war 30 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg. Wir waren die ersten Deutschen in der Ukraine. Unter uns waren auch ältere Meister oder Ingenieure, die den Krieg erlebt hatten", erinnert sich Obuchoff.
Doch die Arbeiter aus der DDR seien von den Ukrainern gastfreundlich aufgenommen worden. Hass habe es nicht gegeben. Nur Jugendliche in Dörfern hätten die Deutschen manchmal mit "Heil Hitler!" begrüßt. "Ich habe mal einen Jungen gefragt, was er damit sagen will. Er konnte mit der Frage nichts anfangen", so Obuchoff. Dann habe er erfahren, dass dies etwas mit sowjetischen Kriegsfilmen zu tun haben könnte: "Sie dachten wohl, es sei in Deutschland üblich, dass man sich so begrüßt."
Vom Nagel bis zum Bier - alles aus der DDR
Bis zu 6000 Ostdeutsche arbeiteten gleichzeitig auf der Baustelle - meist zwei Jahre lang. Sie bauten nicht nur die Gasleitung, sondern auch Wohnhäuser. Offiziell wurde die Druschba im Herbst 1978 fertiggestellt, aber an Kleinigkeiten wurde fast noch ein Jahr lang gearbeitet. Die Deutschen wurden bestens versorgt und vieles wurde aus der DDR herangeschafft: Vom Nagel bis zur Betonplatte, von der Salami bis zum Bier.
"Der Sommer 1975 war sehr heiß und wir tranken ukrainisches Bier. Es wurde aber schnell sauer und wir bekamen Magenprobleme. Dann sagten wir, wir nehmen keine Schippe in die Hand, solange es kein ordentliches Bier gibt", so Obuchoff. Danach seien jede Woche LKWs mit Bier aus der DDR gekommen.
Dass Versorgung und Verdienst gut waren, bestätigt auch der 64-jährige Thüringer Theodor Hermeneit. Er war von 1976 bis 1978 als Schweißer im Einsatz. "Man sagte mir zunächst: Das kannst du knicken, weil du nicht in der (ostdeutschen Armee) NVA gedient hast. Später hieß es aber, das sei kein Problem. Ich hatte nur wenige Tage, um meine Sachen zu packen. Dann ging es mit dem Flieger von Berlin nach Kiew und nach Krementschuk an die Trasse", erinnert sich Hermeneit.
Die DDR-Arbeiter hatten nicht nur höhere Gehälter, sondern konnten auch Waren kaufen, die knapp waren. "Zuhause habe ich in nur drei Wochen einen Wartburg gekauft, auf den man sonst 15 Jahre warten musste."
Hermeneit wäre gerne bis zur Fertigstellung der Pipeline dabei gewesen. Doch während eines Urlaubs heiratete er und blieb daheim. Hajo Obuchoff lernte in der Ukraine die Journalistin einer Lokalzeitung kennen, die er 1977 heiratete.
Übrigens waren Frauen auf dem Bau klar in der Minderheit. "Wir waren immer sehr daran interessiert, dass am Wochenende ukrainische Tanz- und Gesangsensembles auf unsere Baustelle kamen. Sie haben eine Stunde Programm gemacht und danach ging die Disco los", erinnert sich Obuchoff. Auf hundert Arbeiter seien maximal zehn Frauen gekommen.
Die Druschba-Arbeiter und der Transit-Stopp
Wenn deutsche Medien heute über ein mögliches Ende des Gastransits durch die Ukraine berichten, redet niemand von den Ostdeutschen, die am Pipelinebau beteiligt waren. Hajo Obuchoff meint, ein Transit-Stopp bringe Kiew Einkommensverluste und berge "militärstrategische" Risiken.
"Wir wissen, was im Donbass los ist. Wer weiß, was man im Kreml denken wird, wenn die Leitungen nicht mehr nötig sind", so Obuchoff und erinnert an die Gaspipeline Nord Stream 2, die bald fertig sein wird und von Russland durch die Ostsee direkt nach Deutschland führt. Obuchoff glaubt aber, dass Kiew und Moskau einen Kompromiss finden und der Gastransit durch die Ukraine weitergehen wird.
Auch Theodor Hermeneit verfolgt die Verhandlungen zwischen der Ukraine und Russland. Er ist "schon ein bisschen traurig" darüber, dass die von ihm gebaute Leitung überflüssig werden könnte. "Das war ja auch ein Stück Leben. Das wird ein Thema in Zabakuck sein", sagt er traurig.
Im Dorf Zabakuck in Sachsen-Anhalt treffen sich alle zwei Jahre ehemalige "Trassniki". Die Treffen organisiert Olaf Münchow, der in den 1980er Jahren an einem Pipelinebau in Russland beteiligt war. Er erzählt, dass die "Trassniki" bei den Treffen immer beteuerten, wenn man sie bräuchte, würden sie sofort wieder nach Russland gehen. "Nicht umsonst haben wir noch heute ein besonderes Zusammengehörigkeitsgefühl, das sicher seinesgleichen sucht", so Münchow. "Kameradschaft, Freundschaft, Hilfe untereinander waren früher beim Bau wichtig und werden auch heute noch bei uns groß geschrieben."