Auf der Suche nach Anne Frank
13. Juli 2021"Das Tagebuch der Anne Frank", die 1947 veröffentlichten Hoffnungen und Träume eines jungen jüdischen Mädchens, das sich vor den Nazis im einem Amsterdamer Hinterhaus versteckt hielt, wurde 1959 zu einem Oscar-prämierten Film verarbeitet.
Nun kommt die Geschichte erneut auf die Leinwand - diesmal als Animationsfilm, der seit seiner Premiere bei den Filmfestspielen in Cannes für Furore sorgt. Im Mittelpunkt von "Where Is Anne Frank" (Wo ist Anne Frank?) steht Kitty, Anne Franks imaginäre Freundin und Alter Ego, dem das Mädchen sein Tagebuch widmete.
Die Geschichte ist ins Amsterdam der Gegenwart verlegt, von wo aus sich Kitty durch ganz Europa auf die Suche nach Anne Frank macht. Der Film ist auch eine Romanze, ein Abenteuer, die Geschichte eines witzigen Teenagers, der das Leben liebt, der zu seiner Schwester Margot aufschaut und oft mit seiner Mutter im Clinch liegt.
Im Europa der Gegenwart trifft Kitty auf junge Flüchtlinge, die vor Konflikten in ihrer Heimat geflohen sind. "Das erinnert Kitty an Anne und die Tatsache, dass Anne während ihrer relativ kurzen Zeit im Versteck keine Möglichkeit hatte zu fliehen", sagt der israelische Regisseur Ari Folman, der 2009 für den Animationsfilm "Waltz with Bashir" mit einem Golden Globe ausgezeichnet und für einen Oscar nominiert wurde. "Diese Erfahrung macht Kitty zu einer Aktivistin. Sie erkennt, dass sie in der Lage ist, eine Bewegung für die Rechte der Kinder anzustoßen."
Animation für junges Publikum
Der Anne Frank Fonds Basel, nach dem Krieg von Annes Vater Otto Frank gegründet, trat vor acht Jahren mit der Idee eines Animationsfilms an Regisseur Folman heran. "Sie waren auf der Suche nach einer neuen Dimension, um die Geschichte des Holocaust zu erzählen", sagt Folman, der selbst Kind von Auschwitz-Überlebenden ist. "Dann kam die Idee, Kitty in der Hauptrolle aufleben zu lassen und sie zur Protagonistin des Films zu machen - zur Erzählerin."
Folman war mit dem Illustrator David Polonsky bereits für die 2017 erschienene Graphic Novel des Tagebuchs verantwortlich. Die Animation wurde nun als naheliegendes Mittel gewählt, um eine jüngere Generation anzusprechen, die nicht unbedingt zum Buch greift.
"Heute sehen wir Populismus, Rechtsextremismus, sogar Faschismus und definitiv Rassismus und Fremdenfeindlichkeit in verschiedenen Ländern", sagt Produzent Jani Thiltges. "Ich glaube nicht, dass ein Film etwas ändern kann, aber es ist wichtig, dass wir als Filmemacher alles tun, damit Filme zu einer anderen mentalen und politischen Einstellung beitragen."
Nicht rührselig, sondern lebendig
Der erste Film, der die Geschichte von Anne Frank komplett in Zeichnungen erzählt, verwendet einen lebendigen Animationsstil, um die Zuschauer in die Geschichte hineinzuziehen. Die 159.000 einzelnen Zeichnungen entstanden in 15 Ländern. Das Ergebnis erhielt in Cannes viel Lob von Kritikern.
"Where Is Anne Frank" spricht das junge Publikum auch durch humorvolle Popkultur-Bezüge an, etwa wenn Superstar Justin Bieber im Anne-Frank-Haus auftritt. Auch der Soundtrack der Sängerin Karen O von der Band Yeah Yeah Yeahs ist nicht rührselig, sondern lebendig. Trotz der erschütternden Hintergrundgeschichte ist ein Film entstanden, der Teenagern Spaß machen kann.
Flucht vor Gewalt
Sequenzen im heutigen Anne-Frank-Haus in Amsterdam verschmelzen mit der Vergangenheit, in der Kitty Gespräche mit Anne führt. Damit greift der Film die gegenwärtige Situation junger Menschen auf, die vor kriegerischen Konflikten und Gewalt in ihren Heimatländern fliehen.
Mit dem Tagebuch in der Tasche wird Kitty auf der Suche nach Anne Frank von ihrem Freund Peter unterstützt, der eine geheime Unterkunft für Flüchtlinge ohne Papiere betreibt. Gemeinsam verfolgen sie Annes Leben im Versteck vor den Nazis.
Kitty entdecke auch die aktuelle Situation in Europa, "in das Flüchtlinge aus der ganzen Welt kommen, die aus Kriegsgebieten fliehen", erklärt Ari Folman. Desillusioniert von den Ungerechtigkeiten, die Flüchtlinge im Kindes- und Jugendalter ertragen müssen, wolle Kitty Annes Mission erfüllen und künftigen Generationen Hoffnung geben.
Adaption ins Deutsche: Torsten Landsberg