Ankara: Autoritarismus auf Kosten der Wirtschaft
12. Oktober 2020Südafrika und die Türkei - fast 11.000 Kilometer trennen die beiden Länder voneinander. Ökonomisch haben die Staaten jedoch viele Gemeinsamkeiten: Beide Länder verfügen über eine schnell wachsende, junge Bevölkerung und haben das Potential für weiteres Wachstum.
Kaum verwunderlich also, dass der Kurs der Währungen der beiden Schwellenländer lange Zeit synchron verlief. Der südafrikanische Rand und die türkische Lira galten Währungsanalysten zufolge lange Zeit als Zwillinge im Devisenmarkt - über zehn Jahre hinweg haben sich beide Währungen parallel entwickelt.
Doch nach einer Studie der deutschen genossenschaftlichen DZ Bank kam es im Jahr 2016 zu einem Bruch: die Kurse der beiden Währungen entfernten sich plötzlich voneinander. Der südafrikanische Rand verlor in den vergangenen vier Jahren ungefähr 20 Prozent gegenüber dem US-Dollar. Die türkische Lira wiederum musste im gleichen Zeitraum einen Wertverlust von gut 60 Prozent verkraften.
Vor vier Jahren war somit die türkische Währung noch mehr als doppelt so viel wert. Besonders in den vergangenen Monaten verschärfte sich der Absturz. Ein Dollar kostet mittlerweile fast acht Lira - zuletzt wurde zum ersten Mal in der Amtszeit des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan die Marke von 7,9 Lira durchbrochen.
Studie verweist auf politische Ursachen
Die Studie der DZ Bank führt den Lira-Kollaps vor allem darauf zurück, dass sich in der Türkei die politischen Rahmenbedingungen geändert hätten. "Im Zentrum steht bei dieser Entwicklung der türkische Präsident Erdogan. Innenpolitisch hat er die Türkei spätestens seit 2016 mehr und mehr zu einem autoritären Staat umgebaut", erklärt der Autor der Studie und Devisenfachmann Sören Hettler der DW. Nach Einschätzung von Experten habe die türkische Regierung den abgewehrten Putschversuch im Juli 2016 dazu genutzt, um einen autoritären Staat aufzubauen.
Erschwerend kommt nach Meinung Hettlers die Außenpolitik Erdogans dazu. In zahlreichen Konflikten hat sich Ankara eingeschaltet; erst Ende September hat sich die türkische Regierung in den Konflikt zwischen Armenien und Aserbaidschan in der Region Berg-Karabach eingemischt.
Diese Außenpolitik habe alles andere als vertrauensbildend gewirkt, schlussfolgert Hettler. "Der Präsident sucht immer wieder die Konfrontation - zum Beispiel im Erdgasstreit mit der EU oder zuletzt beim Konflikt zwischen Aserbaidschan und Armenien. Man versucht dadurch, von wirtschaftlichen Schwierigkeiten im Land abzulenken und seine Machtposition zu festigen."
Die Studie kommt zu der Einschätzung, dass der zunehmend autoritäre Kurs sowie der außenpolitische Konfrontationskurs den Nebeneffekt hätten, dass Investoren verunsichert werden. Weil Anleger immer höhere Zinsen einfordern, macht Erdogan internationale Spekulanten - die er regelmäßig als "Währungsterroristen" oder "Zinslobbyisten" betitelt - für die schlechte wirtschaftliche Lage in der Türkei verantwortlich.
Hettler kann die vorsichtige Haltung der Investoren jedoch nachvollziehen. "Es ist richtig, dass sich die türkische Wirtschaft im Ausland sehr stark mit kurz laufenden Krediten verschuldet hat. Richtig ist auch, dass die ausländischen Investoren ihre Risiken angemessen verzinst sehen wollen." Trotzdem sei das türkische Staatsoberhaupt größtenteils selbst für die wirtschaftliche Lage der Türkei und den Lira-Verfall verantwortlich.
Zentralbank in den Fängen Erdogans
Besonders verheerend für das Vertrauen internationaler Investoren sei laut Devisenfachmann Hettler, dass Erdogans autoritärer Kurs sogar vor der Unabhängigkeit der Zentralbank nicht halt gemacht habe. Erdogan verlangte von der türkischen Notenbank stets einen niedrigeren Leitzins.
Der Präsident hoffte, dass Kredite so billiger werden und im Endeffekt das Wirtschaftswachstum angekurbelt wird. Weil der ehemalige Notenbank-Chef Murat Cetinkaya 2018 trotz Erdogans Anweisungen den Leitzins drastisch anhob, drängte der Präsident ihn im Juli 2019 kurzerhand aus dem Amt und ließ ihn von seinem Stellvertreter Murat Uysal ersetzen.
Doch der Eingriff brachte nicht die erhoffte Wirkung, im Gegenteil: Nach der gängigen Wirtschaftslehre befördern niedrige Zinsen die Inflation - und tatsächlich war in der Türkei zu beobachten, dass der Wert der Lira seit der Entlassung und den damit verbundenen Leitzinssenkungen weiter unter Druck geriet.
Die DZ-Studie bestätigt die negative Auswirkung: Die Währungshüter hätten zuletzt zu zurückhaltend gehandelt - besonders wenn es darum ging, "einem erhöhten Preisdruck und einer Währungsschwäche mit politisch unerwünschten Zinserhöhungen entgegenzuwirken", heißt es. Immerhin scheint die türkische Regierung nun doch ihre Lehren gezogen zu haben: Zuletzt wurde der Leitzins von 8,25 auf 10,25 Prozent angehoben.
Laut der Studie ist somit die unterschiedliche Entwicklung der Währungskurse Südafrikas und der Türkei überwiegend auf politische Faktoren zurückzuführen: Denn auch in Südafrika gibt es Probleme mit der politischen Stabilität und einem mangelhaften Reformeifer; dazu Misswirtschaft und Korruption.
Zumindest aber verfüge das Land über demokratische Verhältnisse, Pressefreiheit und eine unabhängige Justiz. Der springende Unterschied sei jedoch, dass in Südafrika "jegliche Versuche, die geldpolitischen Freiheiten der Zentralbank zu beschneiden, im Keim erstickt wurden".