Anklage gegen KZ-Wächter
26. September 2013Der Beschuldigte hatte in der Zeit zwischen 1941 und 1943 Wachbereitschaft im Konzentrationslager Auschwitz. Durch seine Tätigkeit habe er "den Lagerbetrieb und damit die Vernichtungsaktionen unterstützt", begründen die Stuttgarter Staatsanwälte ihre Anklage. Während seiner Wachzeit seien in Auschwitz zwölf Transporte mit tausenden Gefangenen eingegangen. In vielen Fällen seien nicht arbeitsfähige Menschen sofort aussortiert und in den Gaskammern getötet worden. Der Vorwurf gegen den mutmaßlichen Nazi-Verbrecher lautet auf Beihilfe zum Mord.
Bei dem Beschuldigten handelt es sich um den gebürtigen Litauer Hans Lipschis. Seit Mai sitzt er in Untersuchungshaft. Zu den Vorwürfen hat er sich nach Angaben der Behörden bisher nicht geäußert. Zuständig ist das Landgericht Ellwangen, da der Mann zuletzt im Ostalbkreis wohnte. Dort muss über die Eröffnung eines Hauptverfahrens entschieden werden.
In den USA aufgeflogen
Nach Kriegsende lebte er zunächst in Norddeutschland, wanderte 1956 aber nach Chicago (USA) aus. Nachdem dort Anfang der 80er Jahre bekanntgeworden war, dass der Angeschuldigte entgegen seinen Angaben im Einbürgerungsverfahren als SS-Mitglied zur Lagermannschaft von Auschwitz gehörte, wurde ihm in einem Ausbürgerungsverfahren die amerikanische Staatsbürgerschaft aberkannt, hieß es. Ende 1982 wurde er dann ausgewiesen und kam auf die Schwäbische Alb. Beim Simon-Wiesenthal-Zentrum stand Lipschis auf der Liste der zehn meistgesuchten Kriegsverbrecher.
Bei sechs der Transporte aus Holland nach Auschwitz waren laut Staatsanwaltschaft 4429 Gefangene sofort nach ihrer Ankunft umgebracht worden, bei zwei Transporten aus Berlin 1005 Menschen. "Aus Theresienstadt erreichten während des Wachdienstes des Angeschuldigten zwei Transportzüge Auschwitz, von denen 3303 Gefangene sofort in den Gaskammern ermordet wurden", schreibt die Behörde. Bei einem weiteren Transport aus Belgien seien 1375 Menschen umgebracht worden, bei einem aus Frankreich 398.
Wende kam mit Demjanjuk
Bisher blieben viele mutmaßliche NS-Täter straffrei, weil der Bundesgerichtshof 1969 im Fall Auschwitz festgelegt hatte, dass für eine Verurteilung der Wächter wegen Beihilfe zum Mord die individuelle Schuld nachgewiesen werden müsse. Dies war vielfach nicht möglich. In den Vorermittlungen für den Prozess gegen John Demjanjuk, Aufseher im Vernichtungslager Sobibor, hat die NS-Fahndungsstelle in Ludwigsburg die Beihilfe zum Mord im KZ Auschwitz aber neu definiert. Demnach ist jeder belangbar, der in einem KZ dazu beigetragen hat, dass die Tötungsmaschinerie funktionierte - egal ob an den Gaskammern oder als Koch.
Im September kündigte die Fahndungsstelle an, 30 Verfahren an Staatsanwaltschaften in ganz Deutschland abzugeben. Ein Fall davon ist der Fall Lipschis...
SC/gmf (dpa, afp, rtr, SWR)