Ann Sophie – die deutsche ESC-Hoffnung
13. Mai 2015Am 19. Februar 2015 veränderte sich die Welt der Sängerin Ann Sophie Dürmeyer. Bei einem Clubkonzert in Hamburg gewann sie die Wildcard für den deutschen Vorentscheid des ESC. Mit ihrem Song "Jump the Gun" setzte sie sich gegen zehn andere Sänger durch – stimmgewaltig und mit vollem Körpereinsatz. Drei Wochen später stand sie in Hannover auf der Bühne. Beim deutschen Vorentscheid durfte sie also ihr Talent ein weiteres Mal einem großen Publikum vorführen. Das war nicht ganz von ihr überzeugt und wählte den Blues-Sänger Andreas Kümmert zu seinem Favoriten, der Deutschland beim Finale in Wien vertreten sollte. Kümmert aber nahm die Wahl nicht an. So war Ann Sophie an diesem Abend wahrscheinlich die glücklichste Zweite Siegerin, die es jemals gab. Ihr Bekanntheitsgrad in Deutschland erhöhte sich schlagartig; auf Twitter folgen ihr zurzeit 2.300 Leute, ihre Facebookseite hat über 12.000 Abonnenten, ihre Single "Black Smoke" stieg auf Platz 29 in die Deutschen Charts ein.
Sängerin mit Haut und Haaren
Die 24-jährige Hamburgerin hat in ihrem Musikerleben schon viele Erfahrungen sammeln können. Am 1. September 1990 kam sie in London zur Welt, wuchs aber in Hamburg auf. Der Ballettunterricht ab dem dritten Lebensjahr legte früh den Grundstein zur musikalischen Laufbahn. Schon als Teenager wollte sie Sängerin werden. Nach dem Abitur zog sie nach New York und ging dort zwei Jahre lang auf eine Schauspielschule. Ihr Studium finanzierte sie unter anderem mit Auftritten in Clubs. 2012 entstand ihre Debüt-EP "Time", bald darauf gab es schon den ersten Longplayer "Time Extended". Und dann bewarb Ann Sophie sich für das Hamburger Clubkonzert. "Ich habe den Eurovision Song Contest immer verfolgt und fand das, was da passiert, sehr spannend", sagte sie im DW-Gespräch. Als sie von der Bewerbung hörte, wollte sie es einfach mal versuchen. Dass sie jemals dabei sein würde, hätte sie allerdings nicht gedacht.
Fragt man Ann Sophie nach ihrem musikalischen Vorbild, waren es früher Britney Spears und Christina Aguilera; heute nennt sie nur noch einen Namen: Beyoncé. Die US-amerikanische R&B-Diva habe alles richtig gemacht. "Wie sie auf der Bühne ist, wie sie im Business ist - ich liebe die Frau, ich finde sie großartig." Deutsche Texte sind dagegen nicht so ihr Ding. Englisch sei einfach die schönere Sprache für Musik.
Ann Sophie hat immer alles in Eigenregie gemacht. Sie schreibt auch die meisten ihrer Songs selbst. Darin stecke zu einhundert Prozent Ann Sophie, schreibt sie auf ihrer Homepage: "Ich kann nur über das schreiben, was ich auch selbst erlebt habe und in mir fühle. Die meisten meiner Lieder entstehen völlig unterbewusst, indem ich auf dem Klavier zufällige Melodien spiele und Worte dazu aufschreibe. Es ist eine sehr spannende Sache, Dinge über mich herauszufinden, dir mir vielleicht vorher noch nicht bewusst waren. Die große Kunst ist, loszulassen und sich ganz von seinen Emotionen leiten zu lassen."
Der ESC ist nicht alles
Ende April hat sie nebenbei ihr zweites Album "Silver into Gold" veröffentlicht – aufgenommen in nur fünf Tagen. Auf dieser Platte sind die beiden Songs zu hören, mit denen sie in Deutschland bekannt geworden ist: "Jump The Gun" und "Black Smoke" – mit letzterem tritt sie in Wien an. Natürlich weiß sie, dass dieser Song nicht zu den Favoriten zählt. Das nimmt sie – noch – gelassen hin. Ebenso die Tatsache, dass auch ihre recht erfolgreichen Vorgänger wie etwa der Neuntplatzierte von Baku 2012, Roman Lob, von der Bildfläche verschwunden sind, obwohl Talent und Potenzial reichlich vorhanden waren. Um so etwas will Ann Sophie sich keine Gedanken machen. Sie werde, sagt sie, die drei Minuten auf der Bühne nutzen, um ihr Bestes zu geben. "Aber ich bin auch realistisch und weiß, dass ich mit allem rechnen muss, und es kann auch sein, dass ich ganz hinten lande." Dennoch: Unter den ersten zehn zu landen fände sie schon schön.
Für die Zeit danach hat Ann Sophie schon Projekte in der Pipeline: erstens wird sie ihr Album dann richtig promoten und zweitens möchte sie ein Kinderbuch veröffentlichen. Auch die Schauspielerei hat sie nicht ganz aufgegeben. "Ich würde gerne noch mehr Alben machen, ich würde gerne touren, reisen, Musikvideos machen und alles, was dazugehört", sagte die Sängerin im Interview mit der "Welt am Sonntag". Sie träume aber auch davon, Medizin zu studieren, Sprachen zu lernen, in einem Musical mitzumachen und ein Theaterstück zu schreiben.
Nur mit der Liebe klappt es noch nicht
Die 24-Jährige hat nach eigener Aussage noch nie einen festen Freund gehabt. "Es kam einfach noch nicht der Richtige." Dieser Richtige wäre jemand, der sie begeistern und inspirieren könne, sagte sie kürzlich der dpa. Vielleicht wird sie ja jetzt in Wien fündig. Mit den Teilnehmern aus Österreich, der Band The Makemakes, hat sie sich schon angefreundet und in einer Berghütte eine spontane Session abgeliefert.
Im Vorfeld des Wettbewerbs hat sie sich alle Mitstreiter ganz genau angehört und hält mit ihren Favoriten nicht hinterm Berg: Ihr Lieblingssong ist "A Monster Like Me" von Norwegens Duo Mørland und Debrah Scarlett. Und überhaupt werde sie backstage die Lieder mitsingen: "Bei den Italienern werde ich bestimmt mitgrölen, oder ich versinke in Gänsehaut, mal gucken. Aber es sind super viele tolle Sachen dabei. Da freue ich mich. Es wird bestimmt eine coole Show."
Für Ann Sophie ist der ESC ein großes Abenteuer, in das sie sich - getreu ihrem Lebensmotto "sich immer treu bleiben und auf das Schicksal vertrauen" - mit großem Vergnügen hineinstürzt. Sie hat vor, trotz Druck und Lampenfieber die Zeit in Wien zu genießen. "Eine solche Gelegenheit werde ich nur einmal im Leben haben."