Antibiotika gegen Strahlenkrankheit
28. Februar 2012Bei einer Reaktorkatastrophe wie in Tschernobyl oder Fukushima wächst in der Bevölkerung die Angst davor, selbst einmal eine hohe Strahlendosis abzubekommen, denn dann gibt es kaum Überlebenschancen. Medikamente gibt es nicht. Mehrere Forscherteams aus den USA arbeiten deshalb daran, ein solches Mittel zu entwickeln. Das amerikanische Verteidigungsministerium pumpt Millionen von Dollar in die Projekte.
Die Forscher bestrahlten zunächst Labormäuse mit radioaktivem Kobalt. Das bedeutete: Sie waren todgeweiht. Keines der Tiere würde eine solche Strahlenbelastung überleben. 24 Stunden später fingen die Forscher an, die Mäuse zu behandeln. Zweimal am Tag träufelten sie den Nagern ein paar Tropfen Antibiotikum direkt in den Magen und gaben ihnen außerdem eine Spritze. Diese Therapie dauerte 30 Tage lang. "Drei Viertel der Mäuse, die so behandelt wurden, überlebten", so Ofer Levy. Er forscht an der Kinderklinik der Harvard Medical School in Boston.
Die Zellen begehen Selbstmord
Wenn Menschen oder Tiere extrem hohen Strahlendosen ausgesetzt werden, dann begehen ihre Zellen quasi massenweise Selbstmord. Das Verdauungssystem versagt, das Knochenmark bildet nicht mehr genug Blutkörperchen. Dadurch bricht kurze Zeit später das Immunsystem zusammen. Doch die Mäuse aus Boston haben überlebt - dank zweier verschiedener Antibiotika. Denn die töteten Bakterien, und Bakterien spielen eine große Rolle bei der Strahlenkrankheit.
"Unter anderem werden durch die Strahlung Schleimhäute zerstört", erklärt Ofer Levy. Der Darm werde durchlässig und die Bakterien, die ganz normal im Darm leben, gerieten in die Blutbahn. "Dort richten sie gewaltigen Schaden an", sagt Eva Guinan. Sie ist eine Kollegin von Ofer Levy und arbeitet am Bostoner Dana-Farber Cancer Institute. "Zuerst verursachen die Bakterien eine Infektion, mit allem, was dazu gehört. Im Laufe der Zeit, wenn sich die Bakterien vermehrt haben, kommt es zu einer Sepsis, zu einer Blutvergiftung - das ist nämlich nichts anderes als eine extrem heftige bakterielle Infektion."
Bakterien - Für den gesunden Menschen kein Problem
Ein paar Bakterien im Blut - das ist für einen gesunden Menschen normalerweise kein Problem. Jeden Tag gelangen Bakterien in die Blutbahn, zum Beispiel beim Zähneputzen. Dort werden sie normalerweise von weißen Blutkörperchen sofort ausgeschaltet, mit Hilfe von BPI, einem körpereigenen Antibiotikum. Es tötet die Bakterien aber nicht nur, sondern verhindert gleichzeitig, dass eine Entzündungsreaktion in Gang gesetzt wird. Das können andere Antibiotika nicht. Bei einem gesunden Menschen werden die Bakterien also ohne großen Aufwand entfernt.
Bei Menschen, die verstrahlt worden sind, sieht das anders aus, erläutert Ofer Levy: "Das Immunsystem der Betroffenen ist durch die Strahlung sehr geschwächt. Die Strahlung zerstört das Knochenmark, und es werden nicht mehr genug Neutrophile hergestellt - das sind die Blutkörperchen, die BPI enthalten." Ausgerechnet, wenn die Patienten ihre Abwehrkräfte am dringendsten bräuchten, haben sie keine.
Versuche mit dem körpereigenen Antibiotikum BPI
Die Forscher haben den Strahlenopfern - in diesem Fall den Labormäusen - das körpereigene Antibiotikum BPI gespritzt. Das ist kein Problem, denn BPI kann schon seit langem im Labor hergestellt werden. Zusätzlich aber haben die Tiere ein herkömmliches Breitbandantibiotikum bekommen. Drei Viertel der Mäuse haben überlebt. Ihr Knochenmark habe sich schnell erholt, so Levy, und es sei wieder in der Lage gewesen, weiße Blutkörperchen zu bilden.
Anders als andere Forschungsgruppen, die bei der Suche nach einem Mittel gegen die Strahlenkrankheit neue Wirkstoffe testen, setzen Eva Guinan und Ofer Levy auf Breitbandantibiotika, die bereits in der Klinik benutzt werden, zum Beispiel zur Behandlung einer Sepsis oder bei Patienten, bei denen Knochenmark für eine Knochenmarktransplantation entnommen worden ist. BPI ist bereits bei 1200 Menschen eingesetzt worden, von gesunden Freiwilligen bis hin zu Patienten, die schwer krank waren, und, so Ofer Levy, es habe geholfen. Die beiden Wissenschaftler sind daher vorsichtig optimistisch, dass ihre Therapie auch bei Verstrahlungen helfen könnte.
Autorin: Marieke Degen
Redaktion: Gudrun Heise