Appell aus Polen: Stoppt die Justizreform!
11. Juni 2018Lech Walesa, die Legende der antikommunistischen Opposition in Polen, mischt sich in die Politik nur noch dann ein, wenn es wirklich brennt. Diesmal sieht er wieder einen wichtigen Anlass dazu - die Verhinderung der polnischen Justizreform. Der in Danzig lebende 75-Jährige ist wie viele seiner Landsleute darüber empört, dass die Justizreform der PiS-Regierung trotz Kritik aus Brüssel und vieler Proteste im Lande Schritt für Schritt einfach durchgesetzt wird.
Keine Freiheit ohne Rechtsstaat
Er sei "tief besorgt über die Krise, die die weitgehenden Veränderungen in der polnischen Justiz" verursacht haben. Das steht in einer Erklärung, die er vergangene Woche veröffentlicht hat. Gleichzeitig appelliert er an Brüssel: "Ich bitte den EU-Gerichtshof, die brisantesten Veränderungen im Rechtssystem zu überprüfen".
Er fordert die Europäische Kommission dazu auf, sich in der Sache an den Gerichtshof zu wenden. Der ehemalige Solidarnosc-Führer bemüht dabei eine Parole aus der Zeit der 1980er-Jahre: "Es gibt keine Freiheit ohne Solidarität". Heute gäbe es keine Freiheit ohne Rechtsstaat, mahnt der ehemalige antikommunistische Kämpfer.
Ein Rechtsstaat in Gefahr
Der Ex-Präsident unterstützt ausdrücklich das Rechtsstaatsverfahren gegen seine Regierung, das nach Art. 7 des Lissaboner Grundlagen-Vertrages der EU seit Dezember 2017 gegen Polen läuft. Die Europäische Kommission, ähnlich wie die Venedig-Kommission des Europarates, kritisiert die Paragraphen, die dem Justizminister die Kompetenz verleihen, die Richter ein- und abzuberufen.
Das sei eine Politisierung der Justiz und die Aushebelung der Gewaltenteilung, sie die Kritiker des Vorhabens. Seit 2016 sind bereits mehrere Punkte der Justizreform in Kraft getreten und damit mehrere Institutionen, darunter das Verfassungsgericht und der Landesjustizrat von PiS-Anhängern besetzt worden.
Am 3. Juli soll der nächste Schritt der Justizreform folgen. Dann tritt ein Gesetz in Kraft, wonach die Richter des Obersten Gerichts vorzeitig in den Ruhestand versetzt werden können. Praktisch bedeutet das, dass die meisten Richter, darunter die Präsidentin des Obersten Gerichtshofes, in die Rente gehen müssen. Die Opposition fürchtet, dass damit das letzte unabhängige Gericht auch unter die Kontrolle der Regierung fällt.
Eine Rettung aus Europa
Dem dramatischen Statement von Lech Walesa an Brüssel haben sich Hunderte von polnischer NGOs, Intellektueller und Wissenschaftler angeschlossen. "Europa, verteidige das Oberste Gericht", fordern sie in ihrem Appell.
"Wir sind in Europa, weil hier wirtschaftliche und bürgerliche Freiheiten herrschen. Wir hoffen, dass die Europäische Kommission uns hilft, sie zu verteidigen", sagt Regisseurin Agnieszka Holland, eine der Unterzeichnerinnen des Appells. Auch andere Prominente der polnischen Öffentlichkeit haben unterschrieben, wie etwa die Schriftstellerin und Bookerpreis-Trägerin Olga Tokarczuk oder die Filmregisseurin Malgorzata Szumowska.
"Wir bitten die Bürgerinnen und Bürger Europas, sich unseren Protesten anzuschließen. Heute haben wir die Chance, die Zerstörung der Demokratie zu stoppen", sagt Pawel Kasprzak, Vorsitzender einer der größten oppositionellen Bürgerinitiativen in Polen "Obywatele RP". Die Unterschriften von Privatpersonen werden noch gesammelt. Innerhalb der ersten drei Tage kamen schon mehr als 12.000 zusammen.
Die Hoffnungen liegen auf der EU
Die Unterzeichner berufen sich auf das Urteil des EU-Gerichtshofs vom April 2018, welches die Abholzung des Bialowieza-Urwaldes im Nordosten Polens untersagt hatte. Die massive Abholzung der alten Bäume, die unter der PiS-Regierung begann, hatte die Europäische Kommission vom Gerichtshof überprüfen lassen. Nach dem Urteil aus Luxemburg war die Regierung gezwungen, es zu stoppen. Deshalb hoffen jetzt auch viele in Polen, dass es mit der Justizreform ähnlich gehen könnte.
Ob sich die Kommission an den Luxemburger Gerichtshof wendet, ist allerdings noch offen. Doch sie will auf jeden Fall das Rechtsstaatsverfahren gegen Polen voranbringen. So sollen die Vertreter der polnischen Regierung bald im EU-Rat gehört werden. Die Nachbesserungsvorschläge zur Justizreform, die Warschau in den letzten Monaten vorgelegt hat, haben sich nämlich als nicht überzeugend gezeigt. Am Mittwoch wird das Thema im EU-Parlament zur Debatte gestellt.