Appelle auf dem Arbeitgebertag
15. November 2016Noch bevor Bundeskanzlerin Angela Merkel das Wort auf der Versammlung der deutschen Arbeitgeber ergriff, lobte Verbandschef Ingo Kramer den abwesenden Außenminister, Frank-Walter Steinmeier von der SPD. Dass Steinmeier nach dem Willen nun auch von Kanzlerin und CDU-Chefin Merkel nächster deutscher Bundespräsident werden soll, sei gut so: "Frank-Walter Steinmeier ist ein Vertreter der sozialen Marktwirtschaft par excellence."
Damit verwies der Arbeitgeberchef auf die in Deutschland zwar sehr erfolgreiche, aber auch sehr umstrittene Agenda 2010. Die Wirtschaft erinnere sich sehr wohl daran, so Kramer, dass Steinmeier einer der Architekten der Agenda 2010 gewesen sei. Als Kanzleramtschef unter dem damaligen Bundeskanzler Schröder hatte Steinmeier großen Anteil am Zustandekommen des Reformpakets Agenda 2010. Dadurch wurde ab 2003 der deutsche Arbeitsmarkt flexibler gestaltet und das Sozialsystem reformiert.
"Chancen-Offensive"
Gerichtet an die Gäste aus der Politik ließ Arbeitgeberpräsident Kramer in Berlin keinen Zweifel daran, dass er ähnliche Reformanstrengungen auch für die nähere Zukunft erwartet. Im Herbst nächsten Jahres wird der deutsche Bundestag neu gewählt, und ein langer Wahlkampf kündigt sich schon jetzt an. "Die Zeit ist reif für eine Chancen-Offensive, die den Weg öffnet für mehr Wettbewerbsfähigkeit und damit für mehr Wachstum bei hoher Beschäftigung", sagte Kramer am Dienstag vor seinen Kollegen.
Kaum verwunderlich auch, dass Kramer vor neuen Belastungen der Wirtschaft durch die Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik warnte. Er mahnte mehr Bürokratieabbau an und warnte vor einer Steigerung der Sozialabgaben für die Unternehmen.
"Probieren Sie ruhig nochmal"
Bundeskanzlerin Merkel nutzte ihr Grußwort vor den Unternehmern, Managern und ihren Gästen für eine Antwort eigener Art. Ihr Thema: klarere Zuwanderungsregeln nach Deutschland. Die brauche das Land, um den künftigen Fachkräftebedarf zu decken. Es sei auch eine bessere Anwerbung nötig, um eine gezielte Zuwanderung in Jobs zu erreichen, sagte Merkel in Berlin. Wichtig sei das auch deshalb, weil Sozialversicherungssysteme nicht zusätzlich belastet werden dürften, wenn Zuwanderer etwa nach zwei oder drei Jahren arbeitslos würden und der Staat dann auch für alle Familienangehörigen verantwortlich werde.
Zugleich lobte Merkel das bisherige Engagement der Arbeitgeber bei der Integration von Flüchtlingen im Land. Integration in den Arbeitsmarkt brauche Zeit und Geduld, sagte Merkel und warb: "Sie können es ruhig noch einmal probieren, die Bedingungen haben sich wirklich verändert".
TTIP lebt noch
Von einer derzeit öfter beschworenen Konzentration auf das eigene Land hält Arbeitgeberpräsident Kramer gar nichts: Man müsse vielmehr eintreten für Weltoffenheit, Freiheit und einen möglichst ungehinderten Welthandel, sagte er. Deutschland verdanke seinen wirtschaftlichen Erfolg wie kaum ein anderes Land der Tatsache, dass die Welt näher zusammenrücke.
Mit Blick auf die aktuellen Probleme in Europa mahnte Kramer eine Stärkung der Europäischen Union an. Und auch der Blick über den Atlantik fehlte nicht: Der Arbeitgeberpräsident geht davon aus, dass das transatlantische Freihandelsabkommen TTIP trotz des anstehenden Regierungswechsels in den USA noch nicht tot ist.
Eine Begrenzung des intensiven transatlantischen Handels würde ja die Amerikaner genauso treffen wie die Europäer. "Ich kann mir deshalb sehr gut vorstellen, dass nach einer Übergangsphase ein neuer Anlauf für ein Handelsabkommen genommen wird", sagte Kramer vor seinen Kollegen. Aber es werde etwas länger dauern.
"Maß und Mitte"
Für “Maß und Mitte” plädierte schließlich Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel vor den deutschen Unternehmern. Der SPD-Vorsitzende sprach über Erwartungen an die Renten- sowie an die Steuersenkungspläne der Koalition, und er wandte sich offenbar eher an seine eigene Partei als die versammelten Manager. Die Größenordnungen, die derzeit diskutiert würden, seien zurückhaltend gesagt anspruchsvoll, meinte Gabriel.
Auch mit Forderungen nach mehr Steuerentlastungen als die geplanten rund sechs Milliarden Euro sollte man zurückhaltender sein. Die Niedrigzinsphase, die derzeit auch Geld in die Haushaltskassen bringe, werde es schließlich nicht auf Dauer geben.
Der deutsche Arbeitgebertag ist das jährliche Treffen der Arbeitgeber. Die Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände sieht sich als Vertreterin rund einer Million deutscher Unternehmen, bei denen 70 Prozent aller Beschäftigten im Land arbeiten.
ar/iw (dpa, rtr, KNA)