Europas Arbeitsmarkt auf Probe
25. Dezember 2013Allein 2013 war für den Arbeitsmarkt in Europa ein "annus horribilis". In diesem schrecklichen Jahr lag die Arbeitslosenquote in den 17 Staaten der Euro-Zone bei über 12 Prozent, der höchste jemals gemessene Wert. Die Finanz- und Schuldenkrise schlägt voll auf die Arbeitsmärkte durch. Besonders hart seien die südlichen Krisenstaaten wie Portugal, Spanien, Italien oder Griechenland getroffen, so der griechische Parlamentsabgeordnete Konstantinos Karagkounis. Die Situation in seiner Heimat, die in einer tiefen Rezession steckt, sei einfach katastrophal, sagt der konservative Politiker. "In Griechenland haben wir es wirklich mit einer humanitären Katastrophe zu tun. Die Arbeitslosigkeit ist gewaltig, etwa 27 Prozent. Die Jugendarbeitslosigkeit liegt bei 60 Prozent. Das ist etwas völlig Neues. Ich weiß, dass Spanien ähnliche Probleme hat."
Keine wesentliche Besserung in Sicht
Seit Beginn des Jahres ist die Euro-Zone aus der Rezession ganz langsam herauskommen und beginnt wieder zu wachsen. Auf dem Arbeitsmarkt werde sich das aber noch nicht nachhaltig auswirken, so der EU-Wirtschafts-Kommissar Rehn. Die Zahl der Arbeitslosen bleibt auch Anfang 2014 weitgehend konstant. Die zahlreichen Gipfeltreffen, die die Staats- und Regierungschefs der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und besonders der hohen Jugendarbeitslosigkeit bei bis zu 25-Jährigen gewidmet haben, zeigen noch keine Wirkung. François Hollande, sozialistischer Präsident von Frankreich, hatte zum letzten Sondergipfel nach Paris im November geladen. "Es sind drei Schlagworte, die unseren Gipfel hier prägten. Das ist Schnelligkeit, weil es dringend ist. Das ist Solidarität, weil wir nicht eine ganze Generation verlieren wollen. Das ist schließlich Qualität, weil wir nur Ausbildungsgänge vorschlagen wollen, die der Jugend auch wirklich eine Perspektive eröffnen."
Der Präsident des Europäischen Parlaments, Martin Schulz (SPD), warnte die Politiker in Europa vor den sozialen Folgen der anhaltend hohen Arbeitslosigkeit: "Dieses Problem geht ja nicht nur die Jungen an, sondern auch ihre Familien und ihre Eltern. Eine Gesellschaft, die die Mittel hat, ihr Währungs- und Finanzsystem zu retten, sollte doch auch in der Lage sein, den jungen Menschen eine glaubwürdige und dauerhafte Chance zu geben." Eine Untersuchung der europäischen Statistikbehörde "Eurostat" gab Martin Schulz recht. Nach den Zahlen aus Luxemburg ist das Armutsrisiko in Europa drastisch angestiegen. Ein Viertel aller Europäer oder 125 Millionen Menschen sind von Armut bedroht. Die langfristigen Wirtschaftsziele der EU, genannt Agenda 2020, seien in Gefahr, so Eurostat.
Job-Garantie soll Hoffnung geben
Die Staats- und Regierungschefs beschlossen als Gegenmaßnahmen gegen die Jugendarbeitslosigkeit sechs Milliarden Euro zusätzlich in Beschäftigung und Qualifizierung zu pumpen. Das Geld kommt aber nur Regionen zugute, in denen die Jugendarbeitslosigkeit bei über 25 Prozent liegt. Damit können punktuell Projekte gefördert werden. Außerdem haben Hollande, Merkel und Co. eine "Job-Garantie" beschlossen. Jedem Jugendlichen soll vier Monate nach Abschluss der Schule ein Ausbildungsplatz, eine Weiterbildung oder ein Praktikum garantiert werden.
Viele Arbeitsmarktexperten halten dieses Konzept für eine nette Idee, die in der Praxis aber schwer umzusetzen sein wird. Das glaubt auch der italienische Arbeitsmarktforscher Massimiliano Mascherini, der für ein Forschungsinstitut in Dublin arbeitet. Eine Job-Garantie setze eine effiziente Arbeitsvermittlung durch staatliche Stellen voraus, so Mascherini gegenüber der DW. "Viele Mitgliedsstaaten haben keine Arbeitsverwaltung, die in der Lage wäre, diesen Service zu leisten. Sie haben weder die Qualität noch die Quantität noch die Möglichkeiten, diesen Service zu bieten. Gerade diese Staaten haben eben auch hohe Arbeitslosenquoten und wegen der Wirtschaftskrise keine Mittel mehr."
Die EU-Sondergipfel zur Arbeitslosigkeit würden deshalb mit einer unverbindlichen Beratungsrunde der 28 Arbeitsämter aus den EU-Mitgliedsstaaten angereichert, berichtete die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel: "Diese Arbeitsagenturen in Europa haben sich zusammengeschlossen und einen Plan verabredet, sich auszurichten an den am besten funktionierenden Vermittlungssystemen, damit allen Ländern Erfahrungen zukommen, und sich auszutauschen." Wann dieser Plan dann tatsächlich für mehr Arbeitsplätze sorgen wird, ist unklar.
"Arbeit schaffen nicht Politiker"
Alle Versuche der Europäischen Union, durch Initiativen und bescheidenden finanziellen Einsatz Arbeit zu schaffen, sieht der finnische Europa-Minister Alexander Stubb eher skeptisch. "Europa oder die Mitgliedsstaaten als solche sind ja nicht diejenigen, die für Wirtschaftswachstum sorgen. Es werden bei Ihnen deutsche Arbeiter und deutsche Unternehmer sein, die für Wachstum sorgen. In Europa und in den Nationalstaaten müssen wir Gesetze schaffen, die das unterstützen", sagte Stubb der Deutschen Welle. Nur Deregulierung, niedrige Steuern und weniger Schulden würden für eine bessere Konjunktur und dann auch für bessere Arbeitsplätze sorgen, so Stubb, dessen Heimat Finnland ebenfalls unter hoher Jugendarbeitslosigkeit und einer schmerzhaften Restrukturierung der Industrie leidet. Der Arbeitsmarktexperte Massimiliano Mascherini ist ebenfalls kein Freund von kurzfristigen Programmen oder teuren Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen. Viele Mitgliedsstaaten, darunter auch Italien, sollten nicht nach Europa rufen, sondern zuhause überfällige Reformen anpacken. Viele Probleme seien strukturell bedingt und auch schon vor der aktuellen Rezession absehbar gewesen.
Arbeitsmärkte sollten reformiert werden
"Viele Mitgliedsstaaten bräuchten Reformen auf dem Arbeitsmarkt, um die Probleme zu lösen. Die Arbeitsmärkte sind so abgeschottet, dass Jugendliche keine Chance haben da hineinzukommen. In diesen Mitgliedsstaaten kann man sagen, dass die Zukunft der Jugend auf dem Altar der vergangenen Generationen geopfert wurde, die über ihre Verhältnisse lebten", sagte Mascherini. Der Kündigungsschutz sei zu starr, flexible Arbeitsverträge seien oft unmöglich. Immerhin gibt es einzelne Projekte, die von der Privatwirtschaft angepackt wurden. In Spanien und Griechenland entstanden auch mit Hilfe deutscher Firmen neue Ausbildungszentren für Lehrlinge. Deutsche Unternehmen werben gezielt Lehrlinge aus EU-Staaten für freie Ausbildungsplätze in Deutschland an. Das allerdings brachte im Jahr 2013 nicht den großen Durchbruch. Denn nur zwei bis drei Prozent aller Europäer arbeiten überhaupt im Ausland, trotz offener Grenzen in Europa. Der zuständige EU-Kommissar Laszlo Andor kündigte an, er wolle bürokratische Hemmnisse für die Arbeitsaufnahme im Ausland abbauen. Das nächste Gipfeltreffen zur Arbeitslosigkeit ist schon geplant: Ende März 2014, dann wird Griechenland den Vorsitz führen. "Dann müssen wir konkretere Ergebnisse haben", sagt der griechische Parlamentarier Konstantinos Karagkounis von der Regierungspartei Nea Dimokratia.