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Argentinien sieht rot

Marc Koch, Buenos Aires17. Februar 2014

Tagelang gab es in Buenos Aires keinen Ketchup. Rigide Devisenkontrollen haben US-Dollars und Importprodukte wie Tomatensauce zur Mangelware gemacht. Zwölf Jahre nach dem Bankrott 2002 droht Argentinien eine neue Krise.

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Währungskrise in Argentinien (Foto: AFP/Getty Images)
Bild: Leo La Valle/AFP/Getty Images

Ein einfacher, weißer Joghurt. Bis vor ein paar Wochen gehörte dies in Argentinien zu den Grundnahrungsmitteln. Zwei Pesos (19 Eurocent) kostete der Becher. Mittlerweile ist das Milchprodukt in den Supermärkten von Buenos Aires zum Luxusgut avanciert: 7,35 Pesos (69 Eurocent) werden an der Kasse fällig - das entspricht einer Preissteigerung von 263 Prozent. Bei solchen Zahlen wird selbst den inflationserprobten Argentiniern schwindelig.

Leere Regale

Seit die Regierung von Argentiniens Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner im Januar die schwächelnde Landeswährung um 23 Prozent abwerten musste, explodieren die Preise: Lebensmittel sind im Schnitt um 50 Prozent teurer geworden, Haushaltsgeräte um 30 Prozent. Der Autohandel steht praktisch still. Viele Dinge des alltäglichen Bedarfs kommen nicht mehr in die Regale, weil die Produzenten ihre Kosten nicht mehr decken können. Zudem können sie oft ihre Importe nicht bezahlen - denn die werden in der Regel in US-Dollar fällig, und die sind trotz gewisser Lockerungen der staatlichen Devisenkontrollen nur schwer zu bekommen.

Das führt zu bisweilen bizarren Situationen: So war in den 200 Filialen einer US-Fast-Food-Kette tagelang kein Ketchup zu haben. Die Tomatensoße kommt aus Chile und muss in US-Dollar bezahlt werden. Die von dem Unternehmen angebotene Zahlung in argentinischen Pesos lehnte der Lieferant dankend ab.

Sündenbock Supermarkt

Auch die Regierung Kirchner braucht dringend US-Devisen. Zum einen muss das Land immer noch zehn Milliarden Dollar Schulden aus der Staatspleite von 2002 zurückzahlen. Zum anderen kostet der Import von Öl und Gas jedes Jahr 13 Milliarden Dollar. Die Devisenreserven der argentinischen Zentralbank sollen auf mittlerweile knapp 29 Milliarden Dollar zusammengeschmolzen sein.

Proteste gegen die argentinische Präsidentin Cristina Fernandez de Kirchner (Foto: REUTERS)
Volkszorn: Demonstranten ziehen vor den Regierungspalast in Buenos AiresBild: Reuters

Auf die galoppierende Inflation reagiert die Regierung wie üblich: Staatliche Intervention und Kontrolle sollen die Preise auf einem erträglichen Niveau halten. Preise für bestimmte Produkte werden auf Anordnung "eingefroren". Freiwillige der 'kirchneristischen' Parteijugend "La Cámpora" patroullieren die Supermärkte, um Verstöße gegen die Absprachen zu melden. Dass Produkte, deren Preise nicht eingefroren sind, immer teurer werden, spielt offenbar keine Rolle. Mit der Pharmaindustrie wurde gerade ausgehandelt, die Preise von 18.000 Medikamenten auf das Niveau von Januar zurückzunehmen.

Streit um Gewinnspannen

Neben der Kontrolle baut die Regierung gezielt Feindbilder auf, um vom eigenen Versagen abzulenken: Die Preissteigerungen seien das Ergebnis von Spekulation und Habgier der Unternehmer: "Das Wichtige ist, dass die Supermärkte mit den Preisen runtergehen", schimpft Alberto Samid, der Chef des staatlichen Zentralgroßmarktes. "Die haben riesige Gewinnspannen von bis zu 200 Prozent. Die können gut auf 20 Prozent verzichten." Dazu klebt "La Cámpora" öffentlich Plakate mit den Portraits der Chefs der wichtigsten Supermarkt-Ketten, die als "Diebe" und "Räuber" bezeichnet werden, die angeblich das Volk bestehlen.

Ökonomen wie Juan José Llach bezeichnen die Wirtschaftspolitk der Regierung Kirchner als "archaisch". "Wir haben uns durch eigene Fehler in eine problematische Situation gebracht", sagt Llach. "Die Abwertung war wohl unausweichlich. Aber wenn sie nicht von einem Bündel anderer Maßnahmen begleitet wird, ist sie auch keine Lösung."

Der Unternehmer und Mitgründer des Iberoamerikanischen Forums, Ricardo Esteves, forderte in einem Gastbeitrag für die spanische Tageszeitung El Pais, dass sich das Land für ausländische Investoren öffnen und das Staatsdefizit senken müsse. "Im aktuellen Kontext sind alle Maßnahmen entweder nutzlos oder sogar schädlich, wenn nicht gleichzeitig das Defizit-Loch bekämpft wird".

Gepenst der Inflation

Doch dazu müßte die Regierung Sparmaßnahmen einleiten, die der Ideologie Kirchners zutiefst widersprechen. "Ihr Ziel war es immer, der Gesellschaft die Taschen zu füllen und sich so deren Unterstützung zu sichern. So hat sie jahrelang Gehälter erhöht, ohne dass die Produktivität gestiegen wäre. Und sie hat Millionen für Sozialpläne ausgegeben, die jegliche Arbeitskultur untergraben haben", schreibt Esteves.

Argentinien: Warteschlange um Lebensmittel zu bekommen
Nach dem Staatsbankrott 2002 waren viele Argentinier auf Lebensmittelspenden angewiesenBild: AP

Das Anspruchsdenken, das die Regierung selbst erzeugt hat, könnte ihr jetzt zum Verhängnis werden. In allen Bereichen stehen in den nächsten Wochen Tarifverhandlungen an. Klar ist: Lehrer, Krankenpfleger, Transportarbeiter und Müllmänner werden mit ihren Forderungen nicht unter die Inflationsrate gehen. Der Ökonom und Berater Carlos Melconian befürchtet schwierige Verhandlungen: "Kein Gewerkschafter wird angesichts einer Inflationsrate von 28 Prozent jetzt einen Tarifvertrag mit Lohnsteigerungen unter 30 Prozent abschließen."

Präsidentin Cristina Kirchner hat die Gewerkschaftsbosse schon aufgefordert, moderate Forderungen zu stellen. Das sind ungewohnte Töne. Doch auch die Staatschefin wird sich an den Anfang des Jahres 1989 erinnern: Damals war die wirtschaftliche und finanzielle Ausgangslage ähnlich. Die Inflation stieg auf 3000 Prozent, wütende Menschenmengen plünderten die Supermärkte. Kurz danach musste der damalige Präsident zurücktreten.