Argentiniens toter Staatsanwalt
18. Januar 2016Die Tatwaffe soll in der Hand des toten Nisman gelegen haben, als er am 18. Januar 2015 im Badezimmer seiner Wohnung in Buenos Aires gefunden wurde. Selbstmord, befanden die Ermittler. Auch Cristina Fernández de Kirchner, Argentiniens Präsidentin von 2007 bis 2015, schloss sich dieser Version umgehend an. Bereits einen Tag später spekulierte sie demonstrativ einfühlsam, was diesen Mann wohl zu solch einer furchtbaren Entscheidung getrieben haben könnte.
Geheuchelt oder nicht: Viele Argentinier zweifelten die Selbstmordversion an. Zu groß waren die Ungereimtheiten, zu verwirrend die Hintergründe, zu schleppend die weiteren Ermittlungen. Unter dem Motto "Ich bin Nisman" zogen Tausende Argentinier auf die Straße und forderten die Aufklärung des Falls. Doch statt die Ermittlungen voranzutreiben, nutzte Kirchner den Moment, um den argentinischen Geheimdienst nach ihren Vorstellungen umzubauen. Wer die Kugel abgefeuert hat, die Nisman tötete, ist bis heute nicht einmal ansatzweise geklärt.
Sonderermittler eingesetzt
Manche Beobachter sehen in der Nisman-Affäre den Anfang vom Ende der Kirchner-Ära. Fest steht, dass Argentinien im November 2015 eine neue Regierung gewählt hat. Präsident Mauricio Macri will so ziemlich alles anders machen als Kirchner. Zu seinen vielen Zielen zählt auch die Klärung des Falles Nisman. Aus gutem Grund meint die argentinische Politologin Claudia Zilla von der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik: "Das wäre ein riesiger PR-Erfolg für Macri - ein Schlag gegen die Vorgängerregierung und eine Demonstranten der Rechtsstaatlichkeit in Argentinien unter seiner Regierung."
Dessen ist er sich offenbar bewusst: Einen Tag vor dem Jahrestag von Nismans Tod traf sich Macri mit dessen drei Töchtern und deren Mutter, Nismans Ex-Frau. Sie haben nie an Nismans Selbstmord geglaubt. Weder sein Wesen noch seine Verfassung am Tag vor seinem Tod, sagen sie, würden diesen Schluss zulassen. Macri versprach den Töchtern Gerechtigkeit für das Andenken ihres Vaters.
Um die Ermittlungen zu beflügeln, hat Macri der Staatsanwaltschaft eine Sonderkommission zur Seite gestellt. "Das könnte hilfreich sein, aber entscheidender ist wohl, dass in der Exekutive nun niemand ein Interesse daran hat, die Ermittlungen zu boykottieren", sagt SWP-Expertin Zilla. Genau dieser Vorwurf stand von Beginn an im Raum. Denn am Tag nach seinem Tod wollte Nisman vor den Kongress treten und die Regierung Kirchner wegen unzulässiger Eingriffe in seine Arbeit anklagen.
Zweifel an Selbstmord
Nismans war nämlich als Sonderstaatsanwalt damit betraut, den größten Terrorakt in Argentiniens Geschichte aufzuklären - den Bombenanschlag auf das jüdische Gemeindezentrum AMIA in Buenos Aires 1994, bei dem 85 Menschen getötet und mehrere Hundert verletzt wurden.
Als Drahtzieher gelten der argentinischen Justiz die libanesische Hisbollah-Miliz und die damalige iranische Staatsführung um Ali Akbar Rafsandschani. Die aber streiten bis heute jede Beteiligung an dem Attentat ab. Beweise dafür konnte bisher auch niemand vorlegen, obwohl auch Geheimdienste aus Israel und den USA den Fall untersuchten.
Nisman jedenfalls ging offenbar auch anderen Spuren nach, innerhalb Argentiniens. Seit August 2015 steht Ex-Präsident Carlos Menem vor Gericht, weil er dafür gesorgt haben soll, dass diese Spuren seinerzeit unbeachtet blieben. Menem regierte Argentinien von 1989 bis 1999 - also zur Zeit des Attentats und danach.
Kurz vor seinem Tod vor einem Jahr dann hatte Nisman angekündigt, er habe Beweise, dass auch die nunmehr regierende Partei von Cristina Kirchner die Ermittlungen behindert habe - diesmal allerdings, um die mutmaßliche Beteiligung des Iran zu vertuschen. Grund dafür sollen geplante Öllieferungen gewesen sein.
Etliche Ermittlungspannen
Obwohl sich Nismans Indizien später als lückenhaft erwiesen, ist der Verdacht nicht aus der Welt, dass Nisman ermordet wurde, um seinen Auftritt vor dem Kongress zu verhindern. Und dass der Auftrag dazu aus Regierungskreisen kam. Zahlreiche Ermittlungspannen nähren diese Theorien.
Laut den Anwälten, die Nismans Ex-Frau Sandra Arroyo Salgado und deren Töchter vertreten, ist der Tatort vollkommen unprofessionell untersucht worden. Dabei seien - absichtlich oder nicht - Beweise vernichtet worden. Zum Beispiel sei ein offensichtlich fremdes Haar neben der Leiche nicht sichergestellt worden.
"Normalerweise sind die Vertreter der Hinterbliebenen und die Staatsanwaltschaft in Mordfällen Verbündete", erklärte einer der Anwälte im Dezember in einem Radiointerview: "Aber hier war es von Anfang an umgekehrt." Ziel der ursprünglich zuständigen Staatsanwältin Viviana Fein sei es nie gewesen, die Todesumstände zu klären, sondern immer, den Selbstmord zu beweisen.
Im Dezember dann kam die zuständige Richterin Fabiana Palmaghini dem monatealten Antrag der Anklage nach, Fein den Fall zu entziehen. Die Uneinigkeit der beiden Klägerparteien hätten das Vorankommen paralysiert, begründete sie den Schritt. Nun leitet sie selbst die Ermittlungen. Auch das nährt die Hoffnung auf neue Ergebnisse.