Portrait: Arvind Kejriwal
12. November 2012Seine Anhänger nennen Arvind Kejriwal ehrfurchtsvoll den "Julian Assange Indiens". Der 44-jährige Kejriwal hat es sich zur Lebensaufgabe gemacht, die Korruption in Indien, die bis in die höchsten Kreise reicht, endlich wirkungsvoll zu bekämpfen. Eigentlich gilt der Mann mit dem markanten Schnauzbart als schüchtern. Doch auf der Bühne verwandelt er sich zu einem Energiebündel, das die Massen aufpeitscht und in seinen Bann zieht.
Kejriwals Mentor, der Bürgerrechtler Anna Hazare, wollte durch seine Hungerstreiks neue Gesetze erzwingen, um die Korruption in Indien zu bekämpfen. Doch Kejriwal wählt nun einen anderen Weg: Er will eine Partei gründen, um das ganze System zu "säubern", wie er es nennt. Dabei sieht er sich als Anwalt der Menschen und stellt furchtlos auch einflussreiche Persönlichkeiten an den Pranger. So furchtlos wie Julian Assange von Wikileaks. Außenminister Salman Khurshid als auch Robert Vadra, Schwiegersohn von Sonia Gandhi, der Vorsitzenden der Kongresspartei, wurden von Arvind Kejriwal öffentlich der Veruntreuung von Geldern und des Machtmissbrauchs bezichtigt. Khurshid soll Kejriwal daraufhin als "Ameise" bezeichnet haben, die "sich mit einem Elefanten anlegt". Der Schuss ging nach hinten los. Danach war Kejriwal populärer als je zuvor.
Korruption in Indien weit verbreitet
Die Korruption in Indien ist ein weit verbreitetes Übel, sagt der Anwalt und Aktivist Prashant Bhushan: "Deshalb ist Kejriwals Kampf auch so immens wichtig". Ob es um den Kauf einer Bahnfahrkarte geht, ein neuer Stromanschluss gelegt oder eine Heirats- oder Sterbeurkunde ausgestellt werden soll: Jeder halte in Indien die Hand auf. Gegen einige Minister, wie zum Beispiel den ehemaligen Telekommunikationsminister A. Raja, wird wegen Unregelmäßigkeiten bei der Vergabe von Mobilfunklizenzen ermittelt. Im jüngsten Skandal um den Verkauf von Kohleminen, von den Medien "Coalgate" getauft, wird es sogar für Premier Manmohan Singh eng. Es geht um Millionen.
"Es reicht!", sagt der Aktivist Prashant Bhushan, der Arvind Kejriwal seit zwölf Jahren kennt. "Unsere Demokratie ist inzwischen ausgehöhlt. In Behörden oder Stadtverwaltungen herrscht eine enorme Bürokratie, die sich dem Volk doch gar nicht mehr verpflichtet fühlt." Kejriwal wolle nichts weniger als Indiens Demokratie retten, sagt Bhushan: "Es gibt nur wenige, die diesen Mut aufbringen, einen solchen Kampf zu führen. Kejriwal hat eine unglaubliche Weitsicht. Nur wenige Menschen sind fähig, etwas Derartiges zu tun."Vom Beamten zum Tabubrecher
Kejriwals Lebensweg eignet sich gut, um einen Helden aus ihm zu formen. 1968 im nordindischen Bundesstaat Haryana in einer Familie der Mittelschicht geboren, studierte Kejriwal Ingenieurwissenschaften am renommierten Indian Institute of Technology in Kharagpur. Nach seinem Abschluss arbeitete er zunächst für den Mischkonzern Tata und wurde dann Finanzbeamter. Nach über vierzehn Jahren schied er 2006 desillusioniert aus dem Staatsdienst aus.
Bereits 2000 gründete er die Nichtregierungsorganisation "Parivartan" (Wandel). 2006 wurde er wegen seiner Verdienste um eine bessere Gesellschaft mit dem Ramon Magsaysay-Award, dem asiatischen Friedensnobelpreis, ausgezeichnet. Die Politikwissenschaftlerin Salma Bava von der Jawaharlal-Nehru-Universität sieht Kejriwals Glaubwürdigkeit als seine größte Stärke an: "Wenn man ihn anschaut, dann erscheint er als einfacher Mann. Nichts an ihm deutet auf Luxus hin, weder seine Kleidung noch seine Brille. Er trägt auch die weiße Kopfbedeckung Gandhis." Hinzu käme, so Bava, dass es die Menschen fasziniere, wenn jemand furchtlos und ehrlich sage, was er denke.
Parteigründung als letzter Ausweg?
Und doch gibt es Kritik an Kejriwal trotz seiner großen Strahlkraft. Als Kejriwal vor einigen Wochen ankündigte, eine Partei gründen zu wollen, kam es zu Meinungsverschiedenheiten zwischen Kejriwal und seinem Mentor, dem Bürgerrechtler Anna Hazare, der die Massenbewegung mit seinem Hungerfasten im vergangenen Jahr überhaupt ins Rollen gebracht hatte. Die Frage, die aufkam: Macht Kejriwal sich mit der Gründung einer eigenen Partei nicht gemein mit genau den Politikern, die er so erbittert bekämpft? Auf zahlreichen Kundgebungen bestritt Kejriwal dies vehement und teilte kräftig aus: „Die Regierenden haben schmutzige Hände. Sie haben alles verkauft - Kohleminen, Telekomrechte, Berge, sogar einen Fluss. Meine Partei wird die Macht an das Volk zurückgeben.“
Viele offene Fragen
Wie das geschehen soll, ist vielen - wie auch der Politikwissenschaftlerin Salma Bava - unklar: "Bis jetzt ist die Philosophie, die hinter der Partei stehen soll, gar nicht klar", warnt sie. Wirklicher Wandel sei ein langwieriger Prozess, der Jahre benötige. "Genau die Kritikpunkte, die fehlende Transparenz, die jetzt von Kejriwal bemängelt wird, an all dem wird er sich selbst messen lassen müssen." Der Aktivist Prashant Bhushan widerspricht: "Einen wirklichen Wandel im politischen Systems Indiens kann man nur von innen erreichen" behauptet er. Braucht man aber dafür eine Partei? Das ist die Schlüsselfrage, die in der indischen Öffentlichkeit zur Zeit heiß diskutiert wird.