Aserbaidschan und Europa: Energie geht vor
9. Oktober 2013Die Nachricht kam im September drei Tage vor der Bundestagswahl und blieb fast unbemerkt: Deutschlands größter Energie-Konzern Eon unterzeichnet einen Vertrag über Gaslieferungen aus Aserbaidschan. Das Unternehmen will 25 Jahre lang 40 Milliarden Kubikmeter Erdgas aus dem Shah-Deniz-Feld, dem größten Gasfeld Aserbaidschans im Kaspischen Meer, importieren. Das Gas soll ab 2019 über die Trans Adriatic Pipeline (TAP) fließen, deren Bau erst im Juni beschlossen wurde. Die Europäische Union hatte mit der Nabucco-Pipeline zwar ein anderes Projekt favorisiert, freute sich aber über die neue Energiequelle. Von der Partnerschaft mit Aserbaidschan verspricht sich die EU mehr Unabhängigkeit von russischen Energielieferungen.
An diesem Mittwoch wählt das ölreiche Land einen neuen Präsidenten. Es dürfte der alte werden. Ob mit fast 80 Prozent der Stimmen wie vor zehn Jahren oder mit 88 Prozent wie zuletzt 2008 - Umfragen in der ehemaligen Sowjetrepublik sagen Staatschef Ilham Alijew einen grandiosen Sieg über seine neun Herausforderer voraus.
Ungleiche Chancen für Oppositionelle
Der aserbaidschanische Wahlleiter sprach im Vorfeld zwar von einer "demokratischen Wahl", doch Politologen wie Uwe Halbach widersprechen. Die Präsidentenwahl werde "wieder nicht frei und fair verlaufen", sagte der Experte der "Stiftung Wissenschaft und Politik" (SWP) im Gespräch mit der Deutschen Welle. Es gebe "ein Übergewicht des Präsidenten in den Medien, Schikane gegenüber Oppositionskräften, Einschränkungen der Versammlungsfreiheit". Auch Canan Atilgan sagte, es sei "zu optimistisch" die Wahl als demokratisch zu bezeichnen. Die Leiterin des Regionalprogramms "Politischer Dialog Südkaukasus" bei der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS), verwies dabei auf die ungleichen Chancen der oppositionellen Kandidaten.
Ein gemeinsamer Kandidat mehrerer Oppositionsparteien, der bekannte Filmregisseur Rustam Ibragimbekow, wurde nicht zugelassen. Grund dafür: Er besaß bis vor kurzem einen russischen Pass und lebte im Ausland. Als Ersatzkandidaten schickte der oppositionelle "Nationalrat demokratischer Kräfte" den Historiker Jamil Gasanly ins Rennen, doch sein Ergebnis dürfte einstellig ausfallen. Alles deutet darauf hin, dass die erste und bisher einzige politische Dynastie auf postsowjetischem Raum um fünf weitere Jahre verlängert wird.
Alijew-Dynastie sichert ihre Macht
Der 51-jährige Ilham Alijew beerbte als Präsident Aserbaidschans 2003 seinen Vater Geidar. Dieser hatte die rohstoffreiche Republik am Kaspischen Meer zehn Jahre als Präsident und vorher Jahrzehnte lang als kommunistischer Parteichef regiert. Nach zwei Amtszeiten hätte sein Sohn Ilham eigentlich nicht mehr kandidieren dürfen. Doch ein von der Opposition kritisiertes Referendum änderte die Gesetzgebung. Nun darf Alijew unbegrenzt wiedergewählt werden.
Menschenrechtsorganisationen wie "Amnesty International" (AI) oder "Human Rights Watch" (HRW) prangern seit Jahren die Lage in Aserbaidschan an. Dutzende politische Aktivisten und Journalisten seien in Haft, kritisierte die HRW noch Anfang September.
Vorwürfe eines Doppelstandards
Ähnliche Verhältnisse gibt es auch in anderen Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion, wie etwa in Weißrussland. Die EU verhängte mehrmals Sanktionen gegen die Staatsführung in Minsk. Der weißrussische Präsident Alexander Lukaschenko darf in die EU nicht einreisen.
Mit Aserbaidschan geht der Westen allerdings anders um. Ilham Alijew reist regelmäßig nach Europa und wird dort für "riesige Fortschritte" bei der Modernisierung seines Landes gelobt. So äußerte sich der EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso bei einem Treffen mit Alijew im Juni 2013 in Brüssel. Kritik westlicher Medien wies Aserbaidschans Präsident damals zurück: "Wir haben freie Medien, es gibt keine Zensur, alle politischen Parteien funktionieren frei".
Aserbaidschanische Oppositionelle werfen der EU doppelte Standards vor. "Belarus wird deutlich stärker unter Sanktionen gestellt, als Aserbaidschan, obwohl sich die politische Entwicklung nicht so ganz wesentlich unterscheidet ", gibt auch Uwe Halbach von der Stiftung Wissenschaft und Politik zu. Die "Geberposition" des kaukasischen Landes als Energielieferant für die EU mache es Europa schwerer als im Fall Weißrussland "Kritik an politischen Entwicklungen deutlich zu machen", sagt Halbach. Aserbaidschan sei ein "zunehmend selbstbewusstes Land".
Aserbaidschans starke Geberposition
Der Berliner Experte erklärt das mit der strategischen Bedeutung Aserbaidschans als Energielieferanten für den Westen. Seit 1994 fördern westliche Konzerne Öl in der früheren Sowjetrepublik. In der Zukunft soll noch Gas dazu kommen. 2011 haben Aserbaidschan und die EU eine gemeinsame Erklärung unterzeichnet, in der sich Baku verpflichtet, Erdgas nach Europa zu liefern. Mit der Adria-Pipeline wird das Vorhaben nun umgesetzt.
Es wäre jedoch falsch zu sagen, Europa schweige komplett zu den Missständen in Aserbaidschan, sagt Canan Atilgan von der Adenauer-Stiftung. Vor allem Deutschland habe Aserbaidschan im Vorfeld des Eurovision Song Contest (ESC), dessen Finale 2012 in Baku stattfand, stark kritisiert. Europäische Interessen im Bereich der Energieressourcen seien zwar bestimmend in Beziehungen zu Aserbaidschan, sagt die KAS-Expertin. Die Frage der Werte werde von der EU aber "nicht zurückgenommen, auch nicht gegenüber Aserbaidschan."
Im Vorfeld der Wahl hielt sich die EU bislang mit Kritik zurück. Vor einer Woche äußerten die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton und der Erweiterungskommissar Stefan Füle in einer kurzen Erklärung lediglich ihre Besorgnis über den Druck auf "oppositionelle Aktivisten, Zivilgesellschaft und unabhängige Medien" in Aserbaidschan. Man werde die Lage weiter beobachten, hieß es aus Brüssel.