Im Griff der Inflation
28. Juli 2008
Die Zahlen sind alarmierend: Bei 9,1 Prozent dürfte die durchschnittliche Inflationsrate der Schwellenländer nach Schätzung des Internationalen Währungsfonds (IWF) im laufenden Jahr liegen, in einigen asiatischen Staaten ist sie sogar zweistellig: In Indien ist die Teuerung mit elf Prozent im Jahr doppelt so hoch, wie von der Zentralbank angestrebt und in dem bis vor kurzem noch als Tigerstaat gehandelten Vietnam hat sie 27 Prozent erreicht.
"Ernste Bedrohung"
Entsprechend deutlich sind die Mahnungen internationaler Finanzinstitutionen. "Die steigende Inflation ist eine ernste Bedrohung des anhaltend starken Wachstums der Region", warnte vergangene Woche die Asiatische Entwicklungsbank (ADB). Der IWF hatte kurz zuvor gefordert, die Schwellenländer müssten den Kampf gegen die Inflation zu ihrer Top-Priorität machen.
Die Nahrungsmittelkrise und der steigende Ölpreis sind eine entscheidende Ursache, doch auch die Kerninflation - aus der diese Faktoren herausgerechnet werden - ist mit 4,2 Prozent so hoch wie seit der Jahrtausendwende nicht mehr. Das rasante Wachstum der asiatischen Ökonomien hat zu einem Anstieg der Nachfrage nach Rohstoffen wie Stahl geführt. Zudem haben die steigenden Preise Spekulanten auf den Plan gerufen, sagt Jayati Ghosh, Wirtschaftswissenschaftlerin an der Jawaharlal-Nehru-Universität in Neu Delhi. "Die steigenden Preise sind zum Teil eine selbst erfüllende Prophezeiung." Breite Bevölkerungsschichten werden dadurch immer tiefer in die Armut getrieben.
Lohn-Preis-Spirale
Was Institutionen wie der ADB Sorgen macht, ist eine mögliche Lohn-Preis-Spirale: Die Preissteigerungen können zu höheren Lohnforderungen und damit zu einer dauerhaft hohen Inflation führen - und die Wettbewerbsfähigkeit der betroffenen Staaten weiter mindern.
Doch die Forderung des IWF, die Zinsen zu erhöhen und die eigene Währung aufzuwerten ist keine verlockende Alternative. "Das Problem kann man geldpolitisch nur schwer angehen", sagt etwa Björn van Roye vom Kieler Institut für Weltwirtschaft. "Wenn man die Zinsen anhebt, gibt es immer das Risiko, dass die Konjunktur erstickt wird." Angesichts der Rezession in den USA sind die asiatischen Staaten wenig geneigt, ihre Wirtschaft durch eine restriktive Geldpolitik weiter zu schwächen, denn schon jetzt gehen die Exporte zurück.
"Die Zinsen anzuheben wäre so, wie eine Heftzwecke mit einem Hammer einzuschlagen", sagt die Ökonomin Jayati Ghosh. Eine solche Maßnahme würde insbesondere die in der indischen Wirtschaft zentralen Kleinindustrien treffen und die Arbeitslosigkeit steigen lassen.
Amerikanische Vorgaben
Eine Lohn-Preis-Spirale hält Ghosh in Indien für unwahrscheinlich. "Man stellt sich Indien immer nur als eine schnell wachsende Wirtschaft vor", sagt Ghosh. "Was oft vergessen wird: Die Realeinkommen von 90 Prozent der Arbeiter haben sich seit der Jahrtausendwende nicht erhöht." Durch die große Arbeitslosigkeit würden die meisten Arbeitnehmer auch weiterhin nicht in der Lage sein, einen Inflationsausgleich durchzusetzen. Deshalb sei die Wahrscheinlichkeit von Zweitrundeneffekten gering.
Verschärft wird das geldpolitische Dilemma Asiens durch die Vorgaben aus den USA: Dort versucht die Notenbank, die Konjunktur auf Kosten der Inflation anzukurbeln; zuletzt senkte sie den Leitzins auf zwei Prozent. Sperren sich die asiatischen Staaten, deren Währungen an den Dollar gekoppelt sind, gegen den Trend, ziehen sie internationale Investoren an - mit der Folge, dass ihre Währung aufgewertet wird und sich ihre Exporte auf dem Weltmarkt weiter verteuern. "Wichtig wäre ein multilateraler Konsens", glaubt deswegen der Ökonom Björn van Roye. "Die asiatischen Volkswirtschaften müssten in Absprache mit der Federal Reserve, der Europäischen Zentralbank und weiteren Notenbanken ihre Leitzinsen abstimmen."