Der Feind des Feindes ist nicht gleich Freund
16. Juli 2014Der Vormarsch der radikalen Gruppe "Islamischer Staat" (ISIS) in Syrien und dem Irak verändert nicht nur das militärische Kräfteverhältnis, sondern auch die Wahrnehmung des Syrien-Konflikts. Lange galt das Regime des syrischen Machthabers Baschar al-Assad (Foto) als Hauptgegner des Westens in dem Bürgerkrieg. Nach einer inszenierten Präsidentenwahl in den Gebieten unter Regierungskontrolle tritt Assad nun offiziell seine nächste Amtszeit an. Doch der "Islamische Staat" hat ihm längst den Rang als größte Gefahr für die Region abgelaufen. Dessen Kämpfer bedrohen nicht nur die Regierungen in Syrien und dem Irak und die moderate syrische Opposition. Immer mehr Dschihadisten aus Europa kehren nach Kampfeinsätzen in Syrien in ihre Heimatländer zurück. Damit erhöht sich nach Einschätzung der Sicherheitsbehörden die Gefahr, dass es zu Terroranschlägen kommt. Angesichts dieser Entwicklung hatte der ehemalige CIA-Chef Michael Hayden schon vor einigen Monaten erklärt, dass ein Sieg Assads die beste Option wäre.
Die USA und Europa stecken in einem Dilemma. Die vom Westen bevorzugte gemäßigte Opposition in Syrien ist sowohl gegen Assads Truppen als auch gegen die radikalen Islamisten zu schwach. Allein Assad scheint das Vordringen des "Islamischen Staates" in Syrien aufhalten zu können. "In Syrien ist die Geschichte total verfahren", kommentiert der Konfliktforscher Albert Stahel aus Zürich die Lage. Die USA und Europa könnten dem Professor zufolge versuchen, Assads Position gegenüber dem "Islamischen Staat" zu stärken. Diese Eindämmung diene auch dem Schutz des benachbarten Jordanien, sagt Stahel im DW-Gespräch. Wenn der Westen den Entwicklung einfach ihren Lauf lassen würde, hieße das, eine Veränderung der gesamten Landkarte im Nahen Osten zu riskieren, da die Gruppe "Islamischer Staat" ein Kalifat vom Mittelmeer bis zum Fluss Euphrat anstrebe.
Joshi Shashank von der britischen Denkfabrik Royal United Services Institute (RUSI) warnt jedoch davor, die Optionen im Syrien-Konflikt auf die Wahl zwischen zwei Übeln zu reduzieren. Es sei falsch, das Assad-Regime einseitig als Bollwerk gegen eine radikalislamische Machtübernahme zu sehen. Assad selbst präsentiere sich zwar in dieser Rolle und betone, er habe schon immer vor den Extremisten gewarnt. Doch das sei wie eine sich selbst erfüllende Prophezeiung. "Je mehr man so tut, als ginge es nur um den Kampf gegen den Terror, desto mehr wird der Konflikt von den Leuten dominiert, die man verurteilt", meint Shashank. Anstatt mit Assad zusammenzuarbeiten, müsse ein demokratischer Wandel weiterhin das Ziel bleiben.
Geheimdienste suchten Kontakt zum Assad-Regime
Mehrere westliche Geheimdienste haben Medienberichten zufolge schon im vergangenen Jahr den Kontakt zur syrischen Regierung in Damaskus gesucht. Auch der deutsche Bundesnachrichtendienst (BND) soll nach Informationen der ARD aus dem Jahr 2013 darunter gewesen sein - allerdings wurden diese nicht offiziell bestätigt. Außerdem sollen laut der libanesischen Zeitung "The Daily Star" ranghohe syrische Vertreter bei Geheimgesprächen in Norwegen gewesen sein. Das erweckt den Eindruck, als würden westliche Dienste bereits mit dem syrischen Regime kooperieren, während die westlichen Regierungen noch öffentlich die Ablösung von Assad fordern. Doch so weit ist es offenbar nicht.
Nach Ansicht von Stahel geht es für den Westen eigentlich nur um Informationen. Neben dem "Islamischen Staat" gibt es noch andere Dschihad-Gruppen wie die Nusra-Front. "Über die möchte man mehr wissen, vor allem natürlich über die europäischen Dschihadisten, die mitkämpfen", erläutert der Forscher aus Zürich. Dabei gelte das Prinzip, dass der Feind des Feindes nicht tabu sei.
Auch solch ein begrenzter Austausch im Rahmen der Terrorabwehr ist nach Ansicht von Shashank riskant. "Woher soll man wissen, dass Assad nicht einfach nur die Namen moderater Rebellen weiterreicht und erklärt, sie gehörten alle zum 'Islamischen Staat' oder zu Al-Kaida?" fragt der RUSI-Experte. Keine der beiden Seiten könne der anderen vertrauen. In solch einem Klima sei der Wert einer Geheimdienstkooperation zweifelhaft.
Kurswechsel gegenüber Assad kaum zu vermitteln
Gegen eine Zusammenarbeit mit den Machthabern in Damaskus spricht auch die öffentliche Meinung. Wer Assad über Jahre als Übeltäter darstellt, kann ihn schlecht auf einmal zum Verbündeten erklären. Auch die Wirkung auf die moderaten Rebellengruppen, die von den Assad-Truppen und dem "Islamischen Staat" bekämpft werden, wäre Shashank zufolge verheerend. "Das würde die ohnehin verbitterten Rebellen nur noch wütender machen", sagt der Syrien-Experte über die Teile der syrischen Opposition, die der Westen unterstützt. Zwar seien der "Islamische Staat" und die Nusra-Front ein größeres strategisches Problem als die Herrschenden in Damaskus. Aber eine Zusammenarbeit mit Assad wäre noch immer kontraproduktiv.
Bislang sieht Shashank noch keinen echten Stimmungsumschwung für eine Zusammenarbeit mit Assad. Zwar wolle niemand ein weiteres Auseinanderbrechen des Bürgerkriegslandes. Aber Assad sei weiterhin das Problem und nicht die Lösung. "Das ist ein Problem, das man besser mit Assads Gegnern angeht als mit Assad-Unterstützern", betont der Nahost- und Sicherheitsfachmann. Die Zusammenarbeit mit Saudi-Arabien, der Türkei, Israel und anderen Gegnern der Regierung in Damaskus sei lange etabliert. "Warum sollte man all das gefährden, indem man in einen Dialog eintritt mit einem Mann, der mehr als andere den Konflikt angeheizt hat?"