Asylbewerber: Je jünger, desto besser?
22. Januar 2019Wie wird das Alter von minderjährigen Flüchtlingen im Zweifelsfall verifiziert? Die Debatte über die Altersbestimmung unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge bestimmt seit mehreren Jahren die politische Agenda in Deutschland.
Mit seiner Initiative hat Bundesgesundheitsminister Jens Spahn die Debatte neu entfacht.Seit Jahresbeginn fördert sein Ministerium mit rund einer Million Euro ein Projekt der Fraunhofer Gesellschaft in Kooperation mit der Universität Saarland. Dieses untersucht, ob sich das Alter junger Asylbewerber auch mit Hilfe von Ultraschall-Untersuchungen bestimmen lässt. Ende 2020 sollen Ergebnisse vorliegen.
Bisher werden Tests zur Altersbestimmung in jedem Bundesland anders gehandhabt. Die Untersuchung erfolgt durch Röntgen der Handgelenksknochen, was allerdings wegen der Strahlenbelastung umstritten ist. Die Bundesärztekammer hatte einer verpflichtenden Untersuchung im vergangenen Jahr aus ethischen und medizinischen Gründen eine Absage erteilt.
Zur Begründung hieß es, die dafür nötigen Röntgenuntersuchungen seien ein "Eingriff in die körperliche Unversehrtheit" und nur dann zu rechtfertigen, wenn sie medizinisch indiziert oder strafrechtlich geboten seien. Der Präsident der Bundesärztekammer, Frank Ulrich Montgomery, erklärte: "In allen anderen Fällen sollte man darauf verzichten."
Fehlerquote von bis zu drei Jahren
Zweifel äußerte der Verband zudem an der Zuverlässigkeit der Methode. Da Handwurzelknochen im jungen Alter erst knorpelartig ausgebildet und dann allmählich verknöchern würden, ließe sich mit Hilfe einer Röntgenaufnahme zwar der aktuelle Entwicklungsprozess bestimmen. Da dieser nicht in allen Fällen gleich verlaufe, könne so ein Test allerdings eine Fehlerquote von bis zu drei Jahren aufweisen. Ein 18-Jähriger könnte im Extremfall also sowohl auf ein Alter von 15 als auch auf 21 Jahre geschätzt werden.
Das Alter kann erhebliche Auswirkungen auf die Zukunftsaussichten von Asylbewerbern haben. So können unbegleitete Minderjährige grundsätzlich nicht abgeschoben werden. Sie haben bei ihrer Ankunft in Deutschland zudem das Recht, sofort zur Schule zu gehen oder eine Ausbildung zu beginnen.
Der Präsident der Bundesärztekammer, Frank Ulrich Montgomery, begrüßte die Möglichkeit, Ultraschall anstelle von Röntgenstrahlen einzusetzen. Die Zuverlässigkeit der Ergebnisse sei allerdings noch nicht erwiesen, sagte er im Gespräch mit der DW.
Pro Asyl gegen Pflichttests
Weiterhin skeptisch ist Bernd Mesovic, Leiter der Rechtspolitik bei der Organisation ProAsyl. Selbst wenn die Fehlerquote in der Ultraschalltechnik tatsächlich geringer ausfiele als bei Röntgenaufnahmen, sei er immer noch nicht einverstanden mit der Art und Weise, wie die Debatte in der deutschen Politik geführt würde.
"Der Gesundheitsminister stuft unbegleitete Minderjährige in die gleiche Kategorie wie Kriminelle ein", so Mesovic im Gespräch mit der DW. Eine obligatorische Altersbestimmung mittels Röntgen sei nur im Rahmen von Strafverfahren oder aus medizinischen Gründen erlaubt.
"Wenn ein paar 19- oder 20-Jährige, die aus ihrer Heimat geflohen sind, die Chance auf Bildung und Integration in Deutschland erhalten, indem sie sich für einige Jahre jünger erklären, ist das besser, als wenn ihre Chancen geschmälert würden", erklärte er.
"Ich habe kein Problem mit Tests"
Der syrische Flüchtling Juody Yuon sieht dies anders. Der mittlerweile anerkannte Asylberechtigte gehörte zu den 70.000 unbegleiteten Minderjährigen, die zwischen 2015 und 2017 nach Deutschland kamen. Der damals 16-Jährige wurde in Passau untergebracht, wo er bis heute bei einer Paten-Familie lebt.
Sein Alter wurde mit Hilfe einer Röntgenaufnahme überprüft. "Ich habe kein Problem mit den Alterstests", sagt Juody der DW. "Wenn jemand hinsichtlich seines Alters gelogen hat, weiß man nicht, wozu er noch gelogen haben könnte." Jeder Fall, findet er, sollte einzeln betrachtet werden.
Auch Yuon ist allerdings überzeugt, dass das größte Problem der aktuellen Röntgenmethode in der zweifelhaften Genauigkeit liege. In seinem Fall wurde der Test offenbar aber durchgeführt, um das Alter auf seinem Personalausweis zu bestätigen.
Mordfall in Kandel löst Debatte aus
Die Debatte über die obligatorische Alterskontrolle von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen kam durch den Mord an einem 15-jährigen Mädchen in Kandel im Dezember 2017 in Gang. Der Verdächtige, Abdul D., ein junger Mann aus Afghanistan, wurde vom Landgericht wegen des Mordes an seiner Ex-Freundin zu acht Jahren und sechs Monaten verurteilt.
Als Abdul D. im April 2016 unbegleitet in Deutschland ankam, erklärte er den Behörden, er sei 15 Jahre alt. Nach dem Mord wurden jedoch Zweifel laut. Eine Untersuchung kam zu dem Schluss, dass er zum Zeitpunkt des Verbrechens mindestens 17 und ein halbes Jahr, wahrscheinlich aber schon 20 Jahre alt sei. Das Landgericht entschied, das gesamte Gerichtsverfahren auf Grundlage des Jugendstrafrechts abzuwickeln.
In anderen EU-Ländern gibt es bereits obligatorische Kontrollen. In Belgien zum Beispiel wird jeder Asylbewerber überprüft, wenn sein Alter nicht durch Dokumente nachgewiesen werden kann. Zu dem Verfahren gehören Röntgenaufnahmen der Zähne, der Hände und des Schlüsselbeins. In Italien werden die Handgelenke geröntgt, in Schweden Knie und Zähne. Dort ist der Text allerdings freiwillig und kann als rechtlicher Beweis dienen.