Halbherzige Atomabrüstung
16. Juni 2014Dank dem Abrüstungsabkommen START zwischen USA und Russland gibt es immer weniger atomare Massenvernichtungswaffen auf der Welt, so der neue Bericht des Stockholmer Friedensforschungsinstituts SIPRI. Doch auch wenn die beiden atomaren Supermächte vertragsgemäß die Anzahl ihrer atomaren Sprengköpfe reduzieren, ist das nicht unbedingt ein Beweis für reelle Abrüstung: "Viele der Atomsprengköpfe, die verschrottet oder unschädlich gemacht werden, sind noch alte und überholte Sprengköpfe, sozusagen das Erbe aus den Zeiten des Kalten Krieges", sagt Shannon Kile, einer der Hauptautoren des neuen SIPRI-Berichts. "Im Sinne der operativen Stärke ist die Reduzierung eher bescheiden".
Enttäuschte Hoffnungen
Wer dachte, dass das neue START-Abkommen (Strategic Arms Reduction Treaty, deutsch: Vertrag zur Verringerung der strategischen Nuklearwaffen) zwischen Russland und den USA, das 2011 in Kraft trat, die Welt in absehbarer Zeit in eine atomwaffenfreie Zone verwandeln würde, war wohl zu optimistisch.
"Das Ganze ist schon enttäuschend", meint Anette Schaper, Projektleiterin und Expertin für atomare Rüstungskontrolle der Hessischen Stiftung für Friedens- und Konfliktforschung in Frankfurt am Main.
Das liege vor allem am nach wie vor schwierigen Verhältnis zwischen den USA und Russland, so Schaper. "Man hätte Russland noch stärker einbeziehen müssen und im NATO-Russland-Rat auch noch ernster nehmen müssen, als es der Fall ist."
Die deutsche Expertin ist nicht zuletzt darüber enttäuscht, dass nach wie vor Atomwaffen auch in Deutschland stationiert sind. Sie nennt dies einen "Anachronismus". "Eigentlich sollten sie längst abgerüstet und abgezogen werden. Aber die NATO ist im Moment noch nicht so weit", so Schaper.
Atomriesen und Atomzwerge
Russland und die USA besitzen den weitaus größten Teil der weltweiten Atomarsenale - über 90 Prozent. Doch auch die kleineren Atommächte scheinen dem Modernisierungstrend zu folgen, so der neue Bericht des Stockholmer Instituts. Frankreich und Großbritannien arbeiten entweder bereits an der Modernisierung ihrer atomaren Waffensysteme oder sind noch in der Planungsphase, so Shannon Kile von SIPRI. Klar sei jedoch, dass weder Großbritannien noch Frankreich ganz auf ein atomares Waffenarsenal in absehbarer Zeit verzichten werden.
"China scheint ein längerfristiges Modernisierungsprogramm zu durchlaufen, aber der Fokus liegt eher auf Qualitätsverbesserung und nicht auf einer zahlenmäßigen Erweiterung des Atomprogramms", so Kile.
Indien und Pakistan rüsten auf
Eher bereitet ihm die Entwicklung bei zwei der kleineren Atommächte Sorge: "Wir wissen, dass Indien und Pakistan sowohl den Umfang, als auch die Qualität ihrer Atomarsenale ausbauen", sagt der SIPRI-Experte.
Bedenklich finde er vor allem, dass die Atomwaffen der beiden asiatischen Länder schneller einsatzfähig würden und dass sie auch gegen konventionelle Streitkräfte eingesetzt werden könnten.
Die Rüstungsspirale, so auch Annette Schaper von der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung, hat in den beiden asiatischen Ländern eine Eigendynamik entwickelt. "Pakistan sieht sich von Indien bedroht. Die Inder gucken da eher auf China".
Nordkorea - die große Unbekannte
Ein Sonderfall ist die kleinste Atommacht, Nordkorea. "Das ist ja ein völliger Außenseiter, der sich nur durch vermeintlich äußere Bedrohungen nach innen stabilisieren kann", so Schaper.
Klar scheint jedoch, dass das abgeschottete Land seit Jahren seine Atomwaffen qualitativ verbessert. Früher, so der SIPRI-Bericht, seien Experten eher von "primitiven atomaren Sprengsätzen" ausgegangen. Heute, so Shannon Kile von SIPRI, gehen die meisten davon aus, dass Nordkorea bereits funktionsfähige Kernwaffen besitzt.
Israels heimliche Atomwaffen
Auch Israel habe noch Atomwaffen, so Kile. Das Land habe zwar offiziell nie zugegeben, Atomwaffen zu besitzen, doch das sei ein "offenes Geheimnis". Der Umfang des israelischen Atomprogramms scheint stabil zu sein, doch: "Israel wartet ab, was im Iran passiert. Sollte der Iran Atomwaffen entwickeln, könnte das auch Einfluss auf das Atomwaffenarsenal Israels haben", meint Kile.
Insgesamt, so der SIPRI-Experte, seien in den vergangenen Jahren durch Abrüstungsabkommen zwischen den USA und Russland zwar viele Atomwaffen vernichtet worden. Waren es im Kalten Krieg fast 60.000 Stück, die eine prekäre Machtbalance sichern sollten, sind es heute nur noch rund 16.000, so die Zahlen von SIPRI. Klar sei jedoch: "16.000 Atomwaffen sind immer noch immens viele", so Kile.