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Streitfrage Atom

18. Mai 2009

Immer mehr Länder in Europa setzen wieder auf Atomkraft und auch im Europäischen Parlament wächst die Zustimmung. Dennoch lassen sich klare Linien ziehen wenn es um die Frage geht: Atomkraft: Ja oder Nein?

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Foto: Armin Weigel +++(c) dpa - Report+++
Strahlendes Erbe oder Zukunftstechnologie?Bild: picture-alliance/ dpa

Seit ein paar Wochen steht vor einem der Eingänge des Europäischen Parlaments in Brüssel ein großer, blauer Kasten. Darauf zu sehen sind vier Symbole für Energiequellen: ein Windrad, eine Flamme, die Sonne und das Zeichen für Radioaktivität, also Atomkraft. Darunter steht in dicken weißen Buchstaben: "Welche Energie für die Zukunft? Es ist Ihre Entscheidung. Wahlen zum Europäischen Parlament 2009."Die Energiefrage wird in Brüssel zum Wahlkampfthema gemacht und das nicht ohne Grund: Auf kaum einem Gebiet geht so ein tiefer Graben durch die Fraktionen wie in der Frage: Atomkraft ja oder nein.

Einzige Alternative oder unkalkulierbare Gefahr?

EU-Parlament in Brüssel
Im EU-Parlament scheiden sich die Geister an der AtomfrageBild: Photo European Parliament

Die Grünen und die Fraktion der Vereinigten Europäischen Linken/Nordische Grüne Linke sind über die Ländergrenzen hinweg strikt dagegen. Sie setzen geschlossen auf erneuerbare Energien und warnen vor den Gefahren der Atomkraft. Unterstützung bekommen sie von Teilen der sozialdemokratischen Fraktion wie vom deutschen SPD-Abgeordneten Bernhard Rapkay. Für ihn ist die Atomkraft keine Option. Er steht zum Ausstieg, wie in Deutschland schon vor Jahren beschlossen. "Es gibt kein technisches System, das Unfälle ausschließt. Das gilt natürlich für andere Systeme auch, aber das hat dann nicht so eine Langzeitwirkung wie bei der Atomenergie", so Rapkay. Die Gesellschaft sei eine "Risikogesellschaft", die aber beherrschbar sein müsse, Atomkraft sei das aber nicht.

Ganz anders sehen das seine Kollegen aus der deutschen CDU, die im Europäischen Parlament in den Reihen der konservativen EVP-Fraktion sitzen. Daniel Caspary, der sich während seines Studiums mit der Technik von Kernkraftwerken beschäftigt hat, lässt das Argument der Unsicherheit nicht gelten: "Wir kommen um die Kernenergie nicht herum, weil wir den Strom brauchen, der aus den Kernkraftwerken kommt." Er könne das das ungute Gefühl verstehen, daher müsse man die Kraftwerke noch sicherer machen. Dazu würden bereits etliche Forschungsprojekte laufen. Außerdem dächten viele Länder darüber nach, neue Kraftwerke zu bauen; diese würden dann auch Flugzeugabstürzen standhalten.

Für die Konservativen und die Liberalen ist die Kernkraft die einzige mögliche Alternative zu den schwer umweltbelastenden Kohlekraftwerken. Sie führen an, dass sich mit Kernkraft bis zu 20 Prozent der derzeitigen CO2-Emissionen in Europa einsparen ließen. Ein Vorteil im Kampf gegen den Klimawandel und die beste Möglichkeit, Arbeitsplätze sowie die Stromversorgung zu sichern, meinen die Konservativen.

Windenergie für eine niedrige Stromrechnung

Für manche ein Blick in den Abgrund, für andere eine helle Freude: Brennstäbe im Reaktor-Block des Kernkraftwerks Philippsburg.
Für manche ein Blick in den Abgrund, für andere eine helle Freude: Brennstäbe im Reaktor-Block des Kernkraftwerks Philippsburg.Bild: picture alliance/dpa

Dass Atomkraft die bessere Möglichkeit wäre, Arbeitsplätze zu schaffen, halten die Grünen für falsch. "Es ist so, dass alle erneuerbare Energien wesentlich mehr Arbeitsplätze schaffen pro Kilowattstunde als diese Großkraftwerke, egal ob es Atomkraft- oder Kohlekraftwerke sind", so der stellvertretende Vorsitzende der Grünen-Fraktion im Europaparlament Claude Turmes. Je mehr erneuerbare Energien man habe, umso mehr Arbeitsplätze könne man schaffen. In den letzten zehn Jahren seien so größtenteils in Deutschland, Spanien und Dänemark ungefähr 300 000 Arbeitsplätze im Bereich Wind, Gas, Solar entstanden.

Mittlerweile wisse man auch, dass es einen weiteren positiven Effekt von Windenergie gäbe. "Wenn es viel Wind gibt in der Nordsee, dann fallen die Strompreise an der Strombörse in Leipzig", so Turmes. Wenn ein Windkraftwerk viel Energie umsetzen könne, brauche man weniger Kohle- und Gaskraftwerke und die seien die teuersten Kraftwerke an den Börsen. Der schnelle Aufbau von Windenergie sei einer der wenigen Möglichkeiten, die Stromrechnungen niedrig zu halten. Dem stimmt auch der Sozialdemokrat Bernhard Rapkay zu. Allerdings sehen das nicht alle Abgeordneten seiner Fraktion so, räumt der Deutsche ein. Denn bei der Atomenergie hängt viel davon ab, aus welchen Ländern die Volksvertreter kommen. Während die deutschen Sozialdemokraten klar dagegen sind, befürworten etwa die Franzosen den Neubau von Kraftwerken. Damit sind sie nicht alleine. Es seien die "unterschiedlichen Erfahrungshintergründe", meint Bernhard Rapkay, die die einen für und die anderen gegen die Atomkraft sprechen ließe. "In den Beitrittsländern wie beispielsweise Bulgarien, sagen sie: `Der Stromexport ist das Einzige, womit wir Geld verdienen können´ - da ist es schwer verständlich, dass wir ihnen das wegnehmen wollen."

Energiemix bleibt nationale Angelegenheit

Nach den EU-Verträgen bleibt es den Mitgliedsländern überlassen, wie sie ihren Energiemix zusammenstellen. Das heißt: Jedes Land kann entscheiden, ob es in Zukunft auf die Kernkraft setzen will oder nicht. Eins müssen sie dabei aber alle beachten: Im vergangenen Jahr haben alle Mitgliedsländer gemeinsam mit dem Parlament beschlossen, dass bis 2020 mindestens 35 Prozent des europäischen Stroms aus erneuerbaren Quellen gewonnen werden soll.

Die Grünen träumen davon, den Anteil schon zehn Jahre später auf über 50 Prozent anzuheben. Die Frage ist, ob die anderen Fraktionen und die Mitgliedsländer dabei mitmachen. Denn bei den Konservativen gilt ganz klar die Devise: Ohne Kernkraft geht es auch in Zukunft in Europa nicht.

Autorin: Ruth Reichstein
Redaktion: Mareike Röwekamp

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