"Auf dem Balkan große Fortschritte erzielt"
2. Oktober 2003Bonn, 1.10.2003, DW-radio / Albanisch, Adelheit Feilcke-Tiemann
Frage:
Sie sind Kenner der Region westlicher Balkan. Sie arbeiten im Europäischen Rat im Bereich Auswärtige- und militärisch-politische Angelegenheiten. Obwohl Sie für Europa arbeiten, haben Sie zu Ihrer Arbeit auf dem Balkan gesagt: Ohne Amerika läuft fast gar nichts und mit Amerika läuft fast alles. Ist das nicht eine Art Offenbarungseid der Europäischen Union bezüglich ihrer Balkanpolitik?Lehne:
Wir haben mit dem Balkan in den letzten Jahren, glaube ich, sehr große Fortschritte erzielt. Die Region ist viel stabiler geworden. Sie ist auf dem Weg der wirtschaftlichen Erholung. Sie hat heute eine klare Perspektive Richtung Europa. Die USA und die Europäische Union sind nach wie vor entscheidende Akteure, um diesen positiven Prozess voranzuführen. Die USA haben heute nicht mehr das Engagement auf dem Balkan, das sie in den 90erJahren gehabt haben. Das ist verständlich, das ist natürlich. Das ist auch eine Funktion der Tatsache, dass die Kapazität Europas besser geworden ist. Aber der Einfluss der Amerikaner in der Region ist nach wie vor enorm, vor allem bei der albanischen Bevölkerung, aber auch bei der bosnischen Bevölkerung. Und es wäre einfach völlig unverantwortlich, auf dieses große Atout (Trumpf), auf diese enorme Möglichkeit der Einflussnahme zu verzichten. Entscheidend ist, dass Europa und die USA die selben Zielsetzungen verfolgen, dass sie sehr eng zusammenarbeiten, dass sie gemeinsame Projekte formulieren, dass sie sie gemeinsam durchführen.Frage:
In welchen Bereichen sehen Sie besonders die Notwendigkeit enger Kooperation?Lehne:
Da gibt es vor allem drei Bereiche, in denen dieses Zusammenwirken essentiell ist. Das eine ist Kosovo. Ohne die USA geht in Kosovo überhaupt nichts. Das zweite ist Mazedonien. Hier gibt der Ohrid-Vertrag eine sehr gute Grundlage, aber gerade die letzten Entwicklungen haben gezeigt, dass doch eine erhebliche Fragilität vorhanden ist. Wieder wird es auf die gemeinsame Aktion Europas und der USA ankommen, den Ohrid-Vertrag konsequent durchzuführen. Und der dritte Bereich, wo die USA und die Nato von ganz entscheidender Bedeutung sind, in der Reform der Sicherheitsstruktur in Serbien und Bosnien-Herzegowina.Frage:
Das kontrastiert mit der Tatsache, dass das amerikanische Engagement sehr zurückgegangen ist, andererseits die EU in allen Bereichen eigene und alleinige Strukturen und Kompetenzen aufbaut. Wie gleichen sie diesen Widerspruch aus?Lehne:
Ich sehe das nicht unbedingt als Widerspruch. Sicher, die Arbeitsteilung zwischen Europa und den USA hat sich geändert. In den 90er Jahren haben die USA einen eindeutigen Führungsanspruch gehabt, bis zum Kosovokrieg hin, wo alle wesentlichen Entscheidungen sowohl im Bereich des militärischen Krisenmanagements als auch im politischen Management dieses Prozesses bei den USA gelegen haben. Das ist heute nicht mehr der Fall. Heute haben wir ein im Vergleich sehr viel ausgewogeneres System. In einigen Bereichen hat die EU eindeutig die Führung übernommen. Aber auch dort, wo die EU die Führung übernommen hat, haben wir die Erfahrungen gemacht, dass man viel weiter kommt und rascher weiter kommt, wenn man die amerikanische Unterstützung hat. Die USA haben einfach aus der Entwicklung der 90er Jahre eine enorme Glaubwürdigkeit in der Region. Während die EU noch ein bisschen zu kämpfen hat mit dem Erbe der Erfahrung der 90er Jahre. Also, man muss das neuere, das stärkere Engagement der EU, die Zukunftsperspektive der Mitgliedschaft dieser Länder in der EU verknüpfen mit dem enormen Kapital an Glaubwürdigkeit und Einfluss, den die USA nach wie vor haben. Wenn man das kann, dann wird man Erfolg haben.Frage:
Früher hat man gesagt, die Amerikaner machen den Krieg und die Europäer den Wiederaufbau. Heute erhöht die EU ihr sicherheitspolitisches Engagement zunehmend. Wird also das Engagement auch von dieser Seite zunehmend weniger nötig?Lehne:
Heute hat die Europäische Union ihre sicherheitspolitischen Instrumentarien sehr weit entwickelt und sie gerade auch im Balkan begonnen einzusetzen. Die erste Polizeiaktion wurde Anfang des Jahres in Bosnien begonnen. Die militärische Präsenz in Mazedonien wurde von der Nato übernommen im Sommer. Jetzt sind wir dabei eine Polizeiaktion in Mazedonien zu initiieren. Heute ist die EU nicht mehr ein militärischer Zwerg oder insignifikant, sondern sie hat etwas anzubieten.Frage:
Gibt es da in Ihrem Bereich Bestrebungen, nachdem die euro-atlantischen Beziehungen in den letzten Monaten doch belastet waren, sich von dieser gegenseitigen Interdependenz zu lösen?Lehne:
Im Grunde genommen gibt es da keine Probleme, aus zwei Gründen. Daserste ist, die Zielsetzungen Europas und der USA sind die gleichen. Es gibt keine inhaltlichen Gegensätze, so dass man sagen muss, Europa muss sich gegen die USA durchsetzen. Das zweite ist, es ist ganz klar, dass die Zukunft bei Europa liegt. Die Mitgliedschaft ist unser großes Atout, das ist die Zukunft. Der Anteil des Managements Europas wird sicher weiterhin zunehmen. Es geht deshalb eher darum, dass man die Reduzierung des amerikanischen Engagements dort möglichst langsam und schrittweise gestaltet und möglichst lange von diesem sehr positiven Einfluss der Amerikaner in der Region Gebrauch machen kann. Dass die Zukunft bei Europa liegt, steht nicht in Frage. (fp)