Auf dem richtigen Weg
19. November 2001"Selbst wenn man hier vorsichtig einen Schritt nach dem anderen tut: Man kann trotzdem ins Straucheln geraten": Der schwäbische Unternehmer hält sich im Halbdunkel des unbeleuchteten Treppenaufgangs mit der einen Hand am Geländer fest, massiert mit der anderen seine Zehen, aber lässt sich seine gute Laune nicht verderben. - Warum in die Russland die Stufen einer einzigen Treppe häufig sehr unterschiedliche Höhen aufweisen, kann man nur vermuten. Möglicherweise, weil der Treppenbauer seine Bauanweisung aus anderem anderen Moskauer Ministerium bekommen hat als der Geschosshöhenplaner. Einen unflexiblen Deutschen jedenfalls, der bei jeder Stufe das Bein stets gleich hoch hebt, kann das aus dem Gleichgewicht bringen.
Auf dem Holzweg?
Eckhard Schaffitzel aus dem schwäbischen Öhringen besucht seinen Lizenznehmer im russischen Vologda, Hauptstadt der gleichnamigen Region rund 500 Kilometer nördlich von Moskau. Der Schwabe ist wegen des Holzes hierher gereist, der ungezählten Tannen, Fichten, Birken und Espen und deren industrieller Verarbeitung. Das Hohenloher Spezialmöbelwerk Schaffitzel GmbH&Co hat 'Sokolozmebel' in Vologda Lizenzen zur Herstellung bestimmter erwünschter Schulmöbel erteilt, genaue Herstellungsangaben übermittelt und Musterexemplare von Tischen, Stühlen und Schränken geliefert. Damit nicht genug: Damit die fabrikneuen Sägen, Furnierpressen, Metallverarbeitungs- und Lackiermaschinen möglichst reibungslos anlaufen können, wurde auch ein kompletter Satz in Deutschland abgepackter Rohmaterialien zur Verfügung gestellt.
Schaffitzel hat eine lange und anstrengende Reise hinter sich. Der Direktor von Sokolzmebel führt ihn durch sein Firma. Die modernen Maschinen wirken ein wenig verloren in den weitläufigen Hallen. Die Belegschaft sei im Moment im Urlaub, erklärt der Vertreter der Fabrik. Weil man im Moment keinen Auftrag habe, fügt er auf Nachfrage hinzu. So schaut sich Schaffitzel immerhin die Aufstellung der Maschinen an und prüft einige halbfertige Produkte. Ob er mit dem zufrieden gewesen sei, was er gesehen habe, frage ich ihn anschließend im Autobus:
"Die einzigen Arbeiter, die wir gesehen haben, waren die beiden, die die Furniere gehobelt haben. Das ist zu wenig. Ich habe einen Teil der Produktion gesehen. Wer die produziert hat, weiß ich nicht. Die Rohre waren ordentlich gebogen. Das war von der Qualität sehr gut. Bei den Tischplatten gab's ein paar Probleme mit den Kanten. Das kann aber auch die Anlaufphase von der Maschine sein, die auch eingestellt werden muss auf die jeweiligen Bedingungen, die Temperaturunterschiede und, und, und. Es gibt Teile, die er uns nicht gezeigt hat. Warum, weiß ich nicht."
Immerhin haben wir erfahren, dass das Werk schon 170 Schultische und -bänke gefertigt und nach Murmansk geliefert habe. Zwar seien sie dort nicht ihrer eigentlichen Bestimmung zugeführt und im Unterricht eingesetzt worden. Auf jeden Fall aber könne man sie noch am gleichen Abend im russischen Fernsehen bewundern - bei der aktuellen Pressekonferenz über den Fortgang der Bergungsarbeiten des gesunkenen Atom-Unterseebootes 'Kursk'. Die neuen Möbel schmücken das örtliche Pressezentrum: Moskau habe das so gewollt.
Tage der Deutschen Wirtschaft
Schaffitzel ist nicht allein nach Russland gekommen. Rund ein Dutzend deutscher Mittelständler hat sich aufgemacht, um in Vologda und kurz darauf in Syktyvkar, der Hauptstadt der unabhängigen Republik Komi, an "Tagen der Deutschen Wirtschaft" teilzunehmen. Veranstaltet von der "Gesellschaft zur Förderung der Außenwirtschaft und der Unternehmensführung", eines Tochterunternehmens des "Deutschen Industrie- und Handelskammertages" -DIHK- suchen die Deutschen Geschäftskontakte im russischen Norden.
Da schon im Vorfeld bekannt war, welche deutsche Vertreter welcher Branchen kommen werden, sind die Reihen gut gefüllt: Entlang der Außenwände des Saales rücken sich die russischen Repräsentanten erwartungsvoll auf ihren Stühlen zurecht.
Die Vologdaer Kammerpräsidentin und der mit angereiste Vertreter des deutschen Wirtschaftsministeriums finden verbindliche Worte zur Einführung und - geben das Startzeichen: Etwas hektisch versuchen nun alle, als jeweils Erste den Tisch des potentiellen Partners zu erreichen.
Annäherungen
Was kann herauskommen bei solchen Treffen? Waren die Teilnehmer hüben und drüben angemessen eingestimmt und vorbereitet? Ich frage Lutz Kleiner, Ingenieur bei der Baufirma BMB aus Schwarzenberg in Sachsen. Er ist das erste Mal in Russland.
"Von der Resonanz, von der Offenheit, mit der die Gespräche geführt wurden, war ich sehr überrascht. Wir hatten als erstes ein Gespräch mit einem Ingenieurbüro, das Planungsleistungen vorbereitet und Bauleistungen überwacht. Dieses Büro ist tätig im Tief- und Brückenbau und hat eine Niederlassung in Tschechien und hat ganz interessiert Kooperationspartner im Gas- und Wasserleitungsbau gesucht - für Projekte hier oder auch in Tschechien."
Erste Kontakte, vorsichtige Annäherung und neue Geschäftsideen: Ein Unternehmen der Region Vologda bietet den Deutschen an, ihre jeweilige Homepage mit Firmenprofil und Angeboten im Internet auf russisch zu übersetzen. Damit, so Lutz Kleiner, könne man vermutlich seine Marktchancen hier verbessern.
Die Chemie muss stimmen
Es sei wichtig, betont er, die russischen Gesprächspartner nicht von oben herab zu behandeln. Auch wenn das wirtschaftliche Denken noch nicht so ausgeprägt sei, komme es darauf an, sein Gegenüber zu achten und Verständnis für dessen Geschichte aufzubringen. Die Menschen könnten nichts für Situation, in die sie hineingewachsen sind. Insofern spricht der in Ostdeutschland aufgewachsene Unternehmer auch aus eigener Erfahrung. Allerdings werde das Umdenken in Russland länger dauern, als in den neuen Bundesländern, meint er.
"Was hilfreich sein kann, ist das Wissen und die Erfahrung, das da ist, so zu transferieren, dass der Russe merkt: Wenn ich mich engagiere, dann lohnt sich das auch für mich. Dann gibt's eine Entwicklung, ein Ziel."
Zu Geschäftsabschlüssen kommt es naturgemäß noch nicht. Die Reise nach Russland kostet 2.672 Mark. Hinzuzurechnen sind die Kosten, die den deutschen Firmen dadurch entstehen, dass die Mitreisenden zwischenzeitlich nicht anderweitig tätig sein können. Lohnt sich also der Aufwand?
"Sicher hat es sich gelohnt. Wenn man sich mit dem Gedanken befasst, auf den russischen Markt zu gehen, dann ist es wichtig, dass man das Umfeld einmal gesehen hat, dass man schon sagen kann: Wo könnte die Entwicklung hingehen, wo liegt was brach, welche Randunternehmen können hier eine Marktnische besetzen."
Grösste Business-Community
"Auf den russischen Markt gehen": Trotz aller geographischen, poilitischen, rechtlichen, sprachlichen und mentalen Probleme scheinen deutsche Unternehmen ihre Chancen im Riesenreich zunehmend zu nutzen. In Moskau sind derzeit 1.173 Repräsentanzen deutscher Firmen akkreditiert, rund ein Drittel mehr als nur ein Jahr zuvor. Hinzu kommen noch einmal 775 deutsch-russische Gemeinschaftsunternehmen, 544 Tochterunternehmen allein in deutscher Hand und weitere 64 Niederlassungen. Damit bilden die deutschen Firmen von den Zahlen her die größte sogenannte 'Business Community' in der russischen Hauptstadt.
Neben dem Haus der Deutschen Wirtschaft in Moskau, dem Firmenpool der Industrie- und Handelskammer in Russland und dem Verband der Deutschen Wirtschaft in der Russischen Föderation sind auch in den Regionen bereits zahlreiche deutsche Fachkräfte im Einsatz, die unter anderem aus dem 'Transform'-Programm der Bundesregierung bezahlt werden. In Syktyvkar können sich deutsche Mittelständler beispielsweise an Maria Buchbach wenden, wenn sie einen russischen Partner suchen:
"Ja, ich denke doch, da können wir helfen. Erstens haben wir viele Unternehmen begleitet und begleiten sie heute noch. Wir können also dem deutschen Unternehmer bei der Auswahl seiner Partner helfen, in Fragen der Seriosität und Garantien. Wir kennen die Firmen, wir arbeiten mit ihnen zusammen. Das ist ein Pluspunkt. Das zweite ist, wir kennen die Region, haben eine gute Zusammenarbeit mit der Administration, mit den Kammern und Unternehmerverbänden und können den Unternehmer da auch begleiten, beraten und Hinweise geben. Wir können sprachlich helfen und letztlich solche Unternehmen auswählen, bei denen wir sicher sein können, daß sie qualifiziertes Personal, Management und Fachkräfte erhalten."
Und wenn der Deutsche vielleicht auch nicht ganz so forsch voranschreitet, wie Kollegen aus anderen Staaten, so kommt er doch zum Zuge, berichtet Frau Buchbach:
"Ein Unternehmer hat dreimal an einer Unternehmereise nach Kirow teilgenommen und nach dem dritten Mal hat er gesagt: Ich habe mich entschieden. Es geht um eine Bauproduktion und er hat im Ergebnis sein Joint-Venture im Gebiet Kirow gegründet und kommt jetzt am Montag nach Syktyvkar und möchte diese Tätigkeit auf Syktyvkar, auf ie Region Komi erweitern."
Bessere Bedingungen
Die unabhängige Republik Komi ist reich an Naturschätzen. In mancherlei Hinsicht ist hier viel zu holen: Annähernd die Hälfte der Erdöl- und rund ein Drittel der Erdgasvorkommen des europäischen Nordens Russlands liegen hier. Die Reserven der Kohlevorkommen werden auf etwa 350 Milliarden Tonnen geschätzt. Selbstbewusst und offen für ausländische Investoren präsentiert sich die Republik Komi auf einer CD-ROM:
"The government and the business community have determined the priorities of the regional economy-development, of the development of its social sphere. These priorities are as follows: To strengthen and develope the production potential, to secure a higher and stable level of employment and to harmonically integrate the industrial potential of the region into the economy of Russia and into the global economy."
Für den russischen Markt produzieren
Die gesetzlichen Grundlagen seien geschaffen worden, um ein günstiges Klima für ausländische Investitionen zu schaffen, heißt es. Auch Wolfgang Stopper, Referent für Russland im Bundeswirtschaftsministerium, sieht wegen der reichen Naturvorkommen ein vergleichsweise rasches Entwicklungspotential für die Republik. Er empfiehlt den mitreisenden deutschen Mittelständlern, in Russland auch oder sogar vor allem für den russischen Markt zu produzieren. Stopper verweist auf die Firma Knauff:
"Ein gutes Beispiel ist die deutsche Baustoff-Firma Knauff, die hier mittlerweile 12 Fabriken gegründet hat, in der Regel alte sowjetische Fabriken übernommen hat, modernisiert hat, die jetzt hauptsächlich für den russischen Markt produziert. Auch die haben Erfahrungen sammeln müssen, sind aber mittlerweile sehr gut etabliert hier, haben frühzeitig diesen Schritt gemacht und haben bewußt gesagt: Wir wollen hier nicht nach Russland nur exportieren, sondern wir wollen hier eine Produktion aufbauen. Das ist Knauff oder anderen, die hier produziert haben auch nach der Krise zu Gute gekommen. Weil sie zu russischen Preisen produziert haben, zu russischen Preisen kalkulieren konnten und die gesamten Importe zu der Zeit natürlich wegbrachen."
Insgesamt seien die Zeiten für ausländisches Engagement in Russland besser geworden, meint Stopper. Auch wenn Präsident Vladimir Putin die Regionen in Fragen der Gesetzgebung nun wieder mehr an die Kandarre nehme. Er blickt zurück:
"Nicht umsonst nennt man die Jelzin-Ära die Ära der Oligarchen. Es herrschte viel Freiraum, es herrschte viel rechtsloser Raum. Das haben natürlich auch einige schamlos ausgenutzt und sich die Perlen der russischen Wirtschaft unter den Nagel gerissen. Von daher denke ich, daß das, was Putin bisher unternommen hat, wenn wir uns jetzt 'mal auf den wirtschaftlichen Bereich beschränken, durchaus Sinn macht - auch die stärkere Zentralisierung oder das, was Sie als 'die Regionen mehr an die Kandarre nehmen' bezeichnen. Weil man natürlich nicht den Fehler machen darf und denken, es herrsche hier ein vollkommener Föderalismus und die ganzen Provinzfürsten sind alle sehr gute Demokraten. Sondern es sind eben Zaren im kleinen. Die beherrschen die Regionen und beuten sie auch zum Teil in die eigene Tasche aus. Von daher wollte er eine bestimmte Rechtsstaatlichkeit durchsetzen. Was Sinn macht vor allem für westliche Investoren, weil nicht mehr überschaubar war, welches Gesetz gilt jetzt."
Gute Noten für Putin
Gute Noten in Sachen Wirtschaftspolitik also. Wenn Bundeskanzler Gerhard Schröder meine, Deutschland tue eine 'Politik der ruhigen Hand' gut, so sei in Russland den doch eher die starke Hand gefragt.
"Insgesamt würde ich sagen, wenn man es nur auf den wirtschaftlichen Bereich beschränkt, ist Russland momentan von der Gesetzgebung her eigentlich auf einem guten Weg. Was im letzten halben Jahr alles an Reformpaketen auf den Weg gebracht wurde - egal wie vollständig die waren oder fehlerhaft oder weniger fehlerhat - kann man zumindest sagen, daß es auf dem richtigen Weg ist und daß auch schwierige Themen angepackt wurden."
Auf dem richtigen Weg, so die überwiegende Meinung, seien auch sie gewesen, meinen die deutschen Mittelständler vor Abflug auf dem Moskauer Flughafen Scheremetjewo 2. Wenn auch ohne Geschäftsabschluss in der Tasche, so seien sie doch reicher an Eindrücken und Erfahrungen. Im wesentlichen seien ihre Erwartungen eher übertroffen worden. Manche von ihnen haben die Einladung des potentiellen Partners für den nächsten Besuch in Russland schon in der Tasche.