Auf Goethes Spuren durch Italien
23. August 2016Der deutsche Romantiker E.T.A. Hoffmann (1776 -1822) schildert das wilde Treiben des römischen Karnevals in den buntesten Farben, ohne je einen Fuß in die ewige Stadt gesetzt zu haben. Sein Zeitgenosse Johann Wolfgang Goethe (1749-1832) beschreibt den Karneval aus eigenem Augenschein: als ein "Fest, das dem Volk nicht gegeben wird, sondern das sich das Volk selbst gibt". Der Dichter erlebt keine Prozession, keine Festbeleuchtung am Petersdom und kein Feuerwerk an der Engelsburg, welche die Obrigkeit den Römern als Spektakel organisieren. Sondern den Karneval als "Zeichen, daß jeder so töricht und toll sein dürfe, als er wolle, und daß außer Schlägen und Messerstichen fast alles erlaubt sei."
Auf ins Land, wo die Zitronen blühen
Von 1786 bis 1788 erfüllte sich Goethe einen Lebenstraum: eine Reise nach Italien. Seine Notizen werden als "Italienische Reise" zum Bestseller. Bis heute pilgern Touristen auf seiner Reiseroute durch Italien.
Dem Dichter offenbarte sich eine neue Welt. Und doch dauerte es 30 Jahre, bis er seine Erinnerungen herausbrachte. Im Oktober 1816 erschien der erste Band seines Reiseberichts, der "Italienischen Reise".
Dabei wandelte Goethe bereits auf ausgetretenen Pfaden deutscher und britischer Italien-Reisender, als er mit 37 Jahren von einer Kur in Karlsbad in den Süden aufbrach. "Früh drei Uhr stahl ich mich aus Karlsbad, weil man mich sonst nicht fortgelassen hätte" - so beginnt der erste Band der "Italienischen Reise".
Goethe befand sich 1786 in einer Lebenskrise, die Amtspflichten am Weimarer Hof ermüdeten ihn, die Beziehung zur verheirateten Charlotte von Stein blieb unerfüllt. Er reiste inkognito als Maler unter dem Pseudonym Johann Philipp Möller über den Brenner, Venedig und die Toskana nach Rom. Dort nahm er Zeichenunterricht bei seinem Malerfreund Johann Heinrich Wilhelm Tischbein und zog mit ihm zusammen.
Weimarer Dichterfürst als Aussteiger in Italien
In Erinnerung an gemeinsame Ausflüge entstand 1787 dessen Gemälde "Goethe in der Campagna": Der Dichter inmitten antiker Ruinen in einer Hügellandschaft, sichtbares Sinnbild deutscher Italien-Sehnsucht. Die halb liegende Haltung Goethes wirkt dabei auf den ersten Blick bequemer als sie wohl in Wirklichkeit war. Eine andere Tischbein-Zeichnung dagegen zeigt den Dichter wahrlich entspannt: auf einem Sofa mit Schuhen an den Füßen quer über der Lehne. Zu sehen ist sie im Museum "Casa di Goethe" in Rom, in der ehemaligen gemeinsamen Wohnung von Tischbein und Goethe.
Wenn heute Italiener in die "Casa di Goethe" kommen, interessieren sie sich für den "homo universalis Goethe, den vielseitigen Autor des Faust", wie Maria Gazzetti erklärt, Leiterin des Museums in der Via del Corso. Deutsche hingegen suchten "Goethe den Erfinder der Italien-Sehnsucht, denjenigen, der eine Weile ausgestiegen ist, um Anderes zu erleben".
Rom galt Goethe als "Hauptstadt der Welt"
In Rom bewunderte Goethe nicht nur antike Skulpturen, die er wegen ihrer Nähe zu den griechischen Originalen studierte. Er fand auch erotische Abenteuer. Eine Zeichnung zeigt ihn, wie er auf seinem Bett in der Künstler-WG unter den strengen Augen eines Juno-Kopfes "das verflixte zweite Kissen" richtet.
Goethe habe in Rom "die Antike, die Natur und den Eros als Naturkraft wieder entdeckt", sagt der italienische Germanist Mauro Ponzi von der römischen Sapienza-Universität. In den "Römischen Elegien", in denen der Dichter seine erotischen Erlebnisse verarbeitet, taucht der Name "Faustina" auf. Sie war wohl eine römische Wirtstochter.
Die meiste Zeit seines Italien-Aufenthalts verbrachte der Dichter in Rom. Später ging es für ihn weiter südlich, nach Neapel. Vor allem aber drängte es Goethe nach Sizilien, das als ehemalige griechische Kolonie mit seinen Tempeln die größte Nähe zum antiken Ideal versprach: "Italien ohne Sizilien macht gar kein Bild in der Seele: hier ist erst der Schlüssel zu allem."
Hier bin ich Mensch, hier darf ich's sein!
In Italien sei Goethe zwei Jahre lang glücklich gewesen, habe die vielleicht glücklichste Zeit seines Lebens verbracht, meint der Goethe-Experte Marino Freschi: "Wegen der Landschaft, der Befreiung aus dem Amt und aus der Verbindung mit Frau von Stein, wegen Kultur, Kunst, Kreativität, wegen des Meeres - und wegen Faustina".
Die Italien-Sehnsucht treibt noch heute unzählige Deutsche auf den Spuren Goethes gen Süden. Die Vorstellungen von einem Leben im Zeichen von Genuss und Freiheit, nicht eingezwängt von Konventionen und Pflichten, üben unvermindert Anziehungskraft aus.