Auf Wohnungssuche im Kanzleramt
21. September 2018Von einer "Kraftanstrengung" sprach Angela Merkel nach dem zweistündigen Treffen mit mehr als einhundert Teilnehmern im Bundeskanzleramt. Minister, Vertreter von Ländern und Kommunen, der Immobilien- und Bauwirtschaft, der Gewerkschaften und des Mieterbunds hatte Merkel zu sich eingeladen, um darüber zu sprechen, wie mehr Wohnraum vor allem in den deutschen Ballungsgebieten geschaffen werden kann. Nimmt man die 14 am meisten nachgefragten deutschen Städte, dann sind dort zwischen 2010 und 2017 die Mieten bei Neu- und Wiedervermietung um durchschnittlich 34 Prozent gestiegen. In München und Stuttgart sind es mehr als 40 Prozent, in Berlin sogar knapp 70 Prozent.
"Man kann sagen, dass das heute ein Start war", sagte nach dem Wohngipfel die Kanzlerin, die damit allzu große Hoffnungen auf schnelle Lösungen dämpfte. Zwar wurde ein "Kommuniqué" verabschiedet, aber das ist nicht mehr als eine Arbeitsplanung, die nun umgesetzt werden muss. Fünf Milliarden Euro will der Bund bis Ende 2021 in den Wohnungsbau stecken, 1,5 Millionen zusätzliche Wohnungen sollen so geschaffen werden, davon rund 100.000 Sozialwohnungen mit gedeckelten Mieten.
Mehr Geld und mehr Bauland
Menschen, deren Einkommen für die Miete nicht ausreicht, sollen ab 2020 mehr Wohngeld, also einen höheren staatlichen Zuschuss erhalten. Familien, die zum ersten Mal Eigentum erwerben wollen, können pro Kind 12.000 Euro Baukindergeld beantragen. Bauherren sollen mit besseren steuerlichen Abschreibungsmöglichkeiten ermuntert werden, Mietwohnungen zu bauen.
Der Bund will in Zukunft mehr Bauland für die Länder und Kommunen zur Verfügung stellen. Dazu soll die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben bundeseigene Grundstücke unter dem Verkehrswert an die kommunalen und landeseigenen Baugesellschaften abgeben. Seit 1999 galt dort das Höchstpreisverfahren, Grundstücke wurden also in Bieterverfahren an den Meistbietenden Investor verkauft. Jetzt sollen die Länder das Erstzugriffsrecht haben. "Die haushaltsrechtlichen Voraussetzungen dafür werden gerade geschaffen", so Bundesfinanzminister Olaf Scholz nach dem Wohngipfel.
Die Länder freut das. "Ich kaufe alles", sagt der Regierende Bürgermeister von Berlin, Michael Müller. "Ich möchte gar nicht mehr darüber diskutieren, ob großes oder kleines Grundstück, lasst uns über einen Paketpreis reden."
Wer soll die vielen Wohnungen bauen?
Doch Grundstücke allein reichen nicht. Die Auftragsbücher der Bauwirtschaft sind prall gefüllt, die Branche klagt darüber, dass sie offene Stellen nicht besetzen kann. "Wir drängen darauf, das Fachkräftezuwanderungsgesetz noch in diesem Jahr in den Bundestag einzubringen, denn die Umsetzung dieser ganzen Investitionsmaßnahmen setzt die notwendigen Kapazitäten in der Bauwirtschaft voraus", mahnte Bundesinnen- und Bauminister Horst Seehofer nach dem Wohngipfel.
Dort haben die Bundesländer zugesagt, eine in ganz Deutschland geltende Musterbauordnung zu erstellen. Derzeit gibt es in jedem Bundesland eine eigene Bauordnung. Großinvestoren, die beispielsweise ein Konzept für einen bestimmten Haustyp haben, der überall gebaut werden könnte, müssen in jedem Bundesland eine eigene Baugenehmigung erwirken. Das dauert und macht das Bauen teurer.
Die Bürokratie ist eine enorme Hürde
Hemmend wirken auch die rund 20.000 Bauvorschriften in Deutschland. "Vor zehn Jahren waren es die Hälfte", schimpft Gerd Landsberg, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes. Schnell und preiswert zu bauen ist nach Ansicht von Landsberg derzeit fast unmöglich. "Wenn auf Grundstücken Bäume stehen, muss erst einmal die Naturschutzbehörde entscheiden, ob der Baum oder der geplante Bau Vorrang hat." Die 2016 erlassene Energieeinsparverordnung sei zwar wichtig, habe das Bauen aber um etwa zehn Prozent verteuert.
"Wir werden seitens der Bundesregierung versuchen, das richtige Maß an Freiräumen für private Investitionen und Regulierung, da wo notwendig ist, zu erbringen", beschwichtigt die Kanzlerin, die damit auch auf einen Konflikt innerhalb der Regierungskoalition zwischen CDU, CSU und SPD hinweist. Während die Union vor allem den Neubau ankurbeln will, setzt die SPD deutlicher darauf, die Mieten für bestehenden Wohnraum nicht weiter in die Höhe schnellen zu lassen.
Die Mietpreisbremse wurde verschärft
"Die Einkommen in Deutschland sind gut, aber sie sind nicht so groß, wie sie für manche Mieten sein müssten", so Finanzminister Scholz, der auch SPD-Vize ist. Wenn für Neubauten Nettokaltmieten von mehr als zehn Euro pro Quadratmeter aufgerufen würden, dann sei das oberhalb des Budgets der allermeisten Bürger. Deshalb soll jetzt der Mietenspiegel, an dem sich Vermieter orientieren müssen, angepasst werden. Er soll die Mieten über einen längeren Zeitraum betrachten, also auch die niedrigen Mieten der vergangenen Jahre mit einbeziehen.
In bestimmten städtischen Gebieten soll zudem die Umwandlung von Mietwohnungen in Eigentumswohnungen erschwert werden. "Die gegenwärtige massive Mangellage, die ja leider noch ein paar Jahre anhalten wird, darf nicht dafür sorgen, dass die Mietpreise weiter durch die Decke gehen." Deshalb habe die Koalition Verbesserungen beim Mietrecht vorgenommen. "Und sicherlich werden noch weitere notwendig sein", so Scholz, der damit auf einen 12-Punkte-Plan der SPD anspielt, in dem die Partei fordert, Mieterhöhungen in Ballungsräumen für fünf Jahre auszusetzen.
70 Prozent der Deutschen sind Mieter
"Die Frage des Wohnens ist eine gesellschaftliche, die uns alle angeht und die über den Zusammenhalt der Gesellschaft sehr viel entscheidet", so Bundeskanzlerin Merkel. Ihr Bauminister Seehofer ergänzte: "Ich habe alle Diskussionsbeiträge so verstanden, dass es einen Schulterschluss aller Akteure gab." Die vereinbarten Maßnahmen seien "die größte Anstrengung, die je in der Politik unternommen wurde in dieser Breite, um mehr bezahlbaren Wohnraum in Deutschland zu schaffen".
Ob das reicht? Kritik kommt vor allem von Seiten der Opposition. Caren Lay, stellvertretende Vorsitzende der Links-Fraktion im Bundestag bezeichnete den Wohngipfel im Kanzleramt als "Alibiveranstaltung vor den Landtagswahlen in Bayern und Hessen". Auf dem Gipfel seien zehnmal so viele Vertreter von Bau- und Immobilienverbänden gewesen wie Vertreter von Mieterinteressen.
Es herrscht viel Skepsis
"Das Baukindergeld führt zu Mitnahmeeffekten bei den besserverdienenden Familien, die sowieso bauen würden", so Lay. Die Steuervergünstigungen für Bauherren sei eine staatliche Subvention ohne Sicherstellung bezahlbarer Mieten. "Die angekündigte Nachbesserung der Mietpreisbremse ist eine Minireform, von der nur wenige Mieter profitieren."
Skepsis herrscht auch bei den meisten Bürgern. 69 Prozent aller Deutschen glauben nicht, dass die Politik das Problem steigender Mieten in den Griff bekommt. Das hat eine aktuelle Emnid-Umfrage ergeben.