Auferstehung hat mit Aufstehen zu tun
30. März 2024Ich gehöre zu den Menschen, die bei Büchern schon mal das Ende vorweg lesen.
Weil ich einfach wissen muss, wie es ausgeht und die Spannung nicht aushalte. Ich bin der Überzeugung, dass ein wirklich gutes Buch das aushält und mich trotz des bekannten Endes durch seine Gesamtkomposition in den Bann zieht.
Vermutlich kann ich auch deshalb jedes Jahr aufs Neue den Karfreitag feiern, weil ich das Ende schon kenne. Ich begleite Jesus Christus durch Verrat, Verhör, Folter und Demütigung in den Tod und fühle Trauer und Entsetzen der Freund*innen. Karfreitag geht über in Karsamstag. Der Tag, der die Verbindung zwischen Tod und Auferstehung ist und doch einen ganz eigenen Wert hat. Gekennzeichnet von großer Stille und biblischer Sprachlosigkeit, denn nichts ist über diesen Tag überliefert, außer, dass er war.
Karsamstagserfahrungen, Tage im „Dazwischen“, kenne ich auch aus meinem Leben. Die große Prüfung ist endlich geschafft – und nun? Alles, was ich in der neu gewonnenen Freizeit tun wollte, scheint plötzlich nicht mehr attraktiv und ich ziehe mich wie gelähmt zurück. Der Tag der Beerdigung des Vaters ist vorbei, es gibt nichts mehr zu tun, aber in den Alltag zurück finde ich auch noch nicht. Das Weltgeschehen überrollt mich mit Schreckensnachrichten, Kriege und Terror weltweit, Rechtsextreme und gefährliche Politikverdrossenheit in Deutschland, aber was kann ich schon tun? Karsamstag-Stille als Lösung.
Und doch habe ich ja, um im Bild des Anfangs zu bleiben, das Buch schon zu Ende gelesen, und weiß: Auch durch diese Stille geht Gott mit. „Ich bin bei euch, alle Tage.“ (Mt 28, 20) Und mit ihm und durch ihn nimmt die Stille ein Ende. Als Christin darf ich glauben: Gott lässt Jesus nicht im Tod. Jesus Christus, so ist mein Glaube, ist von den Toten auferstanden und hat uns damit die begründete Hoffnung geschenkt, dass auch wir auferstehen. Nach dem Tod, in Gottes Ewigkeit hinein.
Gott will mein Leben vervollständigen, an dem Ort, den wir Himmel oder Paradies oder Reich Gottes nennen. Das ist hoffnungsvoll.
Aber ich bin ein pragmatischer Mensch und als solcher reicht mir der Blick in die Ewigkeit nicht, um mich im Hier und Jetzt aus meiner Karsamstags-Starre zu holen.
Warum sollte ich jedes Jahr aufs Neue Ostern feiern, wenn Auferstehung nur Hoffnung fürs Jenseits bringt?
Auferstehung hat mit Aufstehen zu tun. Und damit auch mit dem Diesseits.
Jesus ist nach seinem Tod auferstanden. Aber auch vor seinem Tod ist er immer wieder aufgestanden. Er ist aufgestanden für die, die verurteilt oder ausgegrenzt waren, ja auch für die, die sich durch ihr Verhalten selbst ausgegrenzt haben. Er ist aufgestanden für alle, die seinen Beistand brauchten, um in ein lebbares Leben zurückzufinden. Er hat sich durch dieses Aufstehen mit den Mächtigen in Politik und Religion angelegt. Jesus ist aufgestanden dafür, dass das Reich Gottes – die ewige Liebe Gottes zu allen Menschen, die ein lebbares Leben für alle ermöglicht - schon in dieser Welt anbricht.
Kann es sein, dass ich Karsamstag besonders deshalb gut aushalten kann, weil ich in meinem Alltag immer wieder erfahren darf und auch selbst zeigen kann, dass Auferstehung mit Aufstehen zu tun hat? Im hier und jetzt?
Auferstehung hat dann mit Aufstehen zu tun, wenn Menschen sich stark machen für eine gerechtere Welt.
Konkrete Beispiele, wie Menschen für andere aufstehen, zeigt ein Video1 vom Bistum Münster in Zusammenarbeit mit der Caritas des Bistums Münster. In dem Video sprechen unterschiedliche Menschen, von der Ordensfrau über den Rettungssanitäter, die Erzieherin, bis hin zur Pflegefachkraft, darüber, wofür sie in ihrem täglichen Tun aufstehen. Sie stehen auf für Toleranz, Akzeptanz, Gerechtigkeit, Chancengleichheit, Nächstenliebe und viel mehr. Kurzum, dafür, dass das Leben anderer und ihr eigenes ein lebbares, ein gutes Leben wird. Entstanden ist dieses Video im Rahmen der vielen Demonstrationen gegen Rechtsextremismus in Deutschland. Diese Demos sind auch ein gelebtes Stück Auf(er)stehen! Und das Video ist ein Teil davon. Mir gefällt daran besonders gut, dass die Menschen nicht GEGEN etwas aufstehen, sondern FÜR etwas, für ihre Werte. So wie Jesus aufgestanden ist, für die Menschen damals und für uns. Weil ihm die Liebe Gottes wichtig war und ist.
Für die Liebe Gottes möchte ich auch immer wieder aufstehen, in meinem Alltag mit den Mitmenschen. Denn die Auferstehung ist schon vor dem Tod sichtbar, in der Art zu leben, die, wie Jesus es tat, Gottes Liebe erfahrbar macht.
Manchmal stecken wir persönlich und auch gesellschaftlich in einem Karsamstag. Aber in diesen Karsamstag hinein steht immer wieder jemand auf und zeigt Ostern im hier und jetzt – und manchmal bin ich die, die aufsteht und Ostern werden lässt. So können wir als Menschen unsere Kapitel aus unseren Leben im Hier und Jetzt beitragen, zu der Geschichte der Liebe Gottes mit uns Menschen, die ihr glückliches Ende hat in der Ewigkeit.
Sonja Stratmann, Jahrgang 1985, hat in Paderborn praktische Theologie studiert und arbeitet als Pastoralreferentin für das Bistum Münster. Seit 2020 ist sie verantwortlich für die Schulpastoral an den weiterführenden und berufsbildenden Schulen im Pastoralen Raum Bocholt-Isselburg-Rhede.
Sie ist Autorin von Verkündigungssendungen im Auftrag des Bistums Münster dem WDR und bei den NRW-Lokalradios.
Dieser Beitrag wird redaktionell von den christlichen Kirchen verantwortet.