Aufholjagd vor der Wahl
15. März 2015"Wähl Likud, das ist doch klar", tönt es aus dem Lautsprecher am Rande einer Hauptstraße in Kiryat Gat, einer Kleinstadt im Süden Israels. Miri Emkez befestigt noch schnell ein paar Wahl-Plakate, von denen ein entspannter Benjamin Netanjahu blickt. Die junge Frau ist überzeugte Anhängerin der konservativen Likud-Partei, für die Ministerpräsident Netanjahu antritt.
Einen anderen Regierungschef als "Bibi", wie die Israelis Netanjahu nennen, kann sie sich nicht vorstellen. "Die Leute sagen auf einmal alle, dass sie genug haben. Doch sie haben ein kurzes Gedächtnis: Seit Bibi an der Macht ist, haben wir hier Ruhe", sagt Emkez. "Es gibt keine schweren Terroranschläge mehr. Nach dem Gaza-Krieg haben wir unsere Abschreckung wieder hergestellt. Alles was ich will, ist Sicherheit für mich und meine zwei Töchter."
Netanjahu will mit Sicherheitspolitik punkten
Sicherheit - das ist auch in diesem Wahlkampf Netanjahus Schwerpunkt. Unermüdlich warnt er vor einem Abkommen über das iranische Atomprogramm, über das der Westen derzeit verhandelt. Der Regierungschef schürt Ängste vor Hamas, Hisbollah und den Terroristen des sogenannten "Islamischen Staates”. Die Botschaft: Nur ein Benjamin Netanjahu kann Israel vor äußeren Gefahren schützen.
"Es geht immer nur um Sicherheit - aber die haben wir doch sowieso nicht in unserer Hand”, hält Nir Kramer dagegen. Der 37-Jährige engagiert sich im Wahlkampf für das Mitte-Links-Bündnis "Zionistisches Lager". Auf einer Straßenkreuzung in Tel Aviv verteilt Kramer Flyer und Auto-Fähnchen für das Parteienbündnis, weil er glaubt, dass bei einem Regierungswechsel etwas vorangehen würde in Israel: "Für uns sind die Wirtschaft und soziale Themen wichtiger."
Israelis klagen über hohe Lebenshaltungskosten
Tatsächlich sind es vor allem steigende Mieten und hohe Lebensmittelpreise, die die alltäglichen Diskussionen vieler Israelis bestimmen. Zündstoff liefert ein Bericht, den Staatskontrolleur Joseph Schapira kürzlich veröffentlicht hat. Demnach sind die Mieten in den vergangenen fünf Jahren um 30 Prozent gestiegen, die Preise für Immobilien sogar um 55 Prozent. Die Mittelschicht, so warnt der Bericht, könne diese Lasten bald nicht mehr schultern. "Wirtschaft und Sozialpolitik stehen dieses Mal im Vordergrund”, sagt auch Meinungsforscher Rafi Smith. "Dass diese Themen eine Wahl so stark prägen, hat es in den vergangenen 40 Jahren in Israel nicht gegeben."
Die Spitzenkandidaten des Zionistischen Lagers haben das verstanden: Izchak Herzog und Zipi Livni versprechen, bei einem Wahlsieg einen Wohnungsrat einzusetzen, der gegen steigende Mieten vorgehen soll. Außerdem wollen sie mehr für Soziales und Bildung ausgeben. Alle zwei Jahre wollen sich die beiden im Amt des Ministerpräsidenten abwechseln.
Sehnsucht nach Veränderung
Izchak Herzog präsentiert sich bürgernah. Er ist viel unterwegs in den letzten Wochen, will sein Profil stärken. So konnten in einem "Townhall-Meeting" in einer Bar in Jerusalem potenzielle Wähler ihm direkt Fragen stellen. Dabei ging es um die hohen Lebenshaltungskosten, aber auch darum, ob Herzog einen Plan habe, was den Konflikt mit den Palästinensern anbelangt.
"Er ist sicher der Einzige, der Bibi derzeit ablösen kann, und mich überzeugt das Programm", sagt Itay Rotem am Ende des Abends. Dabei halten viele Israelis Izchak Herzog, der von Beruf Rechtsanwalt ist, für wenig charismatisch. Ein Dilemma für so manchen Wähler. "Es gibt viele Menschen, die mit Netanjahu nicht mehr zufrieden sind. Sie wollen einen Wechsel. Aber viele sehen auch nicht, wie Herzog ein Land wie Israel führen könnte", sagt Tamir Sheafer, Politikwissenschaftler an der Hebräischen Universität in Jerusalem.
"Wer der nächste Ministerpräsident Israels wird, kann ich absolut nicht sagen”, gesteht Rafi Smith, der es ja als einer der führenden Meinungsforscher in Israel eigentlich wissen müsste. Sein Smith-Institut befragt regelmäßig hunderte Israelis zu ihren Wahlabsichten. Doch dieses Mal, so Smith, seien die Ergebnisse der Erhebungen einfach zu knapp, um eine verlässliche Prognose abzugeben. Nach neuesten Umfragen liegt das Zionistische Lager leicht vor der Likud-Partei - doch viele Israelis sind noch unentschieden, wem sie ihre Stimme geben sollen.
Viele Parteien ringen um Sitze in der Knesset
Dabei konnte Ministerpräsident Benjamin Netanjahu lange davon ausgehen, wiedergewählt zu werden. Noch Ende des vergangenen Jahres bescheinigten ihm Umfragen gute Werte.
"Er war derjenige, der diese Wahlen wollte", sagt Dana Weiss, politische Korrespondentin im israelischen Fernsehen. "Damit ist Netanjahu ein großes Risiko eingegangen, denn er hätte vermutlich noch zwei sichere Jahre im Amt gehabt. Er dachte wohl, er wird das leicht gewinnen."
Am Dienstag, so sagen politische Beobachter, müsse der Likud aufpassen, nicht allzu viele Stimmen an andere Parteien des rechten Blocks zu verlieren - etwa an den früheren Netanjahu-Vertrauten Moshe Kahlon, der erstmals mit seiner Partei "Kulanu" antritt, oder an die rechts-national-religiöse "Habait Jehudi" ("Jüdisches Heim") von Naftali Bennett.
Auch die Ultra-Orthodoxen wollen nach zwei Jahren auf der Oppositionsbank wieder in die Regierung - genau wie Yair Lapid von der Partei Yesh Atid. Lapid war Finanzminister, bis Netanjahu die Koalition platzen ließ. Außerdem wird das Abschneiden des neuen arabischen Bündnisses mit Spannung erwartet. Vier arabische Parteien haben sich zu einer Liste zusammengeschlossen - und die könnte laut Umfragen immerhin drittstärkste Kraft werden.
Am Ende wird wohl entscheidend sein, wem es gelingt, eine Koalition zu bilden. In diesem Punkt gibt sich der Likud siegesgewiss. "Mit wem soll Herzog denn regieren? Mit den Arabern etwa?", fragt die Likud-Abgeordnete Miri Regev. Sie ist zum Wahlkampf-Auftritt nach Kiryat Gat gekommen. Eine knappe Stunde nimmt sie sich Zeit, um durch ein Einkaufszentrum zu touren. Aus ihrer Sicht wäre zwar auch die Bildung einer großen Koaltion denkbar, aber nur "im schlimmsten Fall". Solange klammert Regev sich weiter an die Hoffnung, dass es Netanjahu erneut gelingt, eine Regierung mit den Parteien aus dem rechten Block zu bilden - also mit Nationalisten und Ultra-Orthodoxen.