Aufklärung am Platz des Himmlischen Friedens?
2. April 2011Nirgendwo sonst in Peking ist die Macht des Einparteien-Staates so deutlich spürbar wie am Platz des Himmlischen Friedens. Unter den unzähligen Besuchern sieht man überall Polizei, Militärpolizei und Sicherheitskräfte in Zivil. Schräg gegenüber vom gewaltigen Nationalmuseum hängt das Porträt von Staatsgründer Mao Zedong. Direkt davor verläuft die Straße des Ewigen Friedens, wo 1989 Panzer und Truppen gegen das Volk vorgingen. Ausgerechnet an diesem Platz wurde nun im Beisein von Bundesaußenminister Guido Westerwelle eine Ausstellung zum Thema Aufklärung eröffnet: Die Kunstsammlungen Berlin, München und Dresden zeigen ein Jahr lang knapp 600 Exponate, die die Aufklärung als kulturhistorische Epoche nachvollziehbar machen sollen. Eine Epoche, die in Europa die Grundlagen für freiheitliche Werte und Menschenrechte gelegt hat.
Freude an schönen Bildern?
Dennoch verfolge man mit der Ausstellung keine expliziten politischen Botschaften, schränkt Martin Roth ein, Generaldirektor an den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, die neben den Staatlichen Museen zu Berlin und den Bayerischen Staatsgemäldesammlungen München zu den drei Leihgebern zählen. Man müsse eintauchen in das Thema Aufklärung, sagt Roth. "Das wollen wir mit dieser Ausstellung versuchen. Ich gehe nicht davon aus, dass sie von allen Besuchern verstanden wird, das wäre in Deutschland auch nicht anders. Man muss sich auf das Thema einlassen, aber man darf auch nur seine Freude an den schönen Bildern haben."
Ölgemälde ja, Debatten nein
Aber es geht um deutlich mehr als um schöne Bilder. In neun Leitthemen zeigt die Ausstellung unterschiedliche Aspekte der Aufklärung: das neue Interesse an der Geschichte etwa, die Entstehung der modernen Wissenschaften im 18. Jahrhundert oder das Entstehen einer emanzipierten Öffentlichkeit, der Grundlage für das europäische Verständnis von Meinungsfreiheit und Pluralismus. Damit hoffen die Veranstalter auch, Debatten anstoßen zu können. Doch Chinas bekanntester Künstler, Ai Weiwei, sieht dafür derzeit wenig Chancen. "Einerseits haben die Europäer im 17. und 18. Jahrhundert diese wunderbaren Werte hervorgebracht – aber bis heute wagt China nicht, sich dem zu stellen", moniert er. "Eine Ausstellung von Ölgemälden ist aus Sicht der Regierung okay, aber die dazugehörigen Debatten sind nicht erlaubt. Das entbehrt nicht einer gewissen Ironie."
Einschränkungen wie vor 30 Jahren
In China ist der Raum für öffentliche Debatten in den vergangenen Jahren kleiner geworden. Immer mehr Themen sind tabu. Der Freiraum für einen kritischen Diskurs sei heute so eingeschränkt wie seit 30 Jahren nicht mehr, klagt auch der Philosoph und Aufklärungsexperte Xu Youyu und fordert für China eine eigene Aufklärung: "Die Ideen sind nicht veraltet. Natürlich gibt es verschiedene Definitionen von Aufklärung. Mir gefällt am besten die von Kant, der vom Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmüdigkeit sprach. Angesichts der Lage in unserem Land lautet meine Definition: Aufklärung ist die Wiederherstellung und der Schutz der Menschenrechte."
Kein Visum für deutschen Sinologen
Doch Debatten genau darüber, über die Grundwerte, die in der Aufklärung entstanden sind, wird das staatliche Nationalmuseum als Mitveranstalter wohl kaum zulassen. Selbst der Sinologe Tilman Spengler, der die Ausstellung für die deutsche Seite offiziell mit vorbereitet hat, erhielt kein Visum für die Einreise zur Ausstellungseröffnung. Er sei "kein Freund des chinesischen Volkes", hieß es dazu lapidar aus dem chinesischen Außenministerium.
Konfuzius-Statue als Symbol?
Auf offizieller chinesischer Seite stehen sowieso weniger die emanzipatorischen Aspekte der Aufklärung im Vordergrund. Man hebt eher die dunklen Seiten der europäischen Entwicklung hervor: etwa den Kolonialismus, unter dem auch China zu leiden hatte. Und die Frage, welche Werte das Nationalmuseum in den Vordergrund stellt, hat man bereits eher unfreiwillig beantwortet: Seit ein paar Wochen steht eine gewaltige Konfuzius-Statue vor dem Nordeingang. Der wohl chinesischste aller Philosophen steht nicht nur für die Wiederentdeckung der eigenen kulturellen Wurzeln. Er wird seit Jahrhunderten in China auch für die Unterwerfung des Einzelnen unter den Willen der Führung herangezogen.
Autorin: Ruth Kirchner / Aya Bach
Redaktion: Claudia Unseld