Aufruhr in Haiti
14. Februar 2021Brennende Barrikaden, Gewalt und ein Präsident, der sich an seinen Sessel klammert: Haitis Präsident Jovenel Moise zeigt sich von den Protesten und Rücktrittsforderungen der vergangenen Wochen unbeeindruckt. Er kann dabei auf die Unterstützung der neuen US-Regierung und der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) zählen.
"Die Ruhe ist zurückgekehrt nach Haiti", twitterte der Präsident am 13. Februar. "Polizisten haben Tränengas gegen Krawallmacher eingesetzt. Das haitianische Volk wird in diesem Jahr das Recht auf freie Wahlen haben. Am 7. Februar 2022 wird ein gewählter Präsident mir in meinem Amt nachfolgen."
Der Streit über die Amtszeit von Präsident Jovenel Moise hat zur jüngsten Krise im Land und den gewalttätigen Protesten geführt. Moise will am 25. April ein Referendum über eine neue Verfassung und am 19. September dieses Jahres Parlaments- und Präsidentschaftswahlen abhalten lassen.
Die Opposition hingegen fordert schon seit zwei Jahren den Rücktritt von Moises wegen Korruptionsskandalen und Verfassungsverstössen. Er sei nicht in der Lage gewesen, Parlamentswahlen zu organisieren und regiere seit einem Jahr per Dekret. Moise wiederum unterstellt der Opposition einen versuchten Staatsstreich.
Für die Opposition ist die Amtszeit von Moise, der bei den mehrfach verschobenen Wahlen von 2015 erstmals antrat und im November 2016 als Sieger hervorging, seit dem 7. Februar dieses Jahres abgelaufen. Doch auch sie schielt auf einen dreistöckigen Betonbunker unweit des Flughafens von Port-au-Prince im Viertel Tabarre: Die US-Botschaft. Denn dort, so glauben viele Haitianer, werde letztlich das Schicksal des Landes entschieden.
USA stützen Moise
"Die Botschaft ist in den vergangenen Jahrzehnten zu einer Art Schiedsrichter in Haiti geworden", sagte Roland Joseph, haitianischer Politologe und Trainer am Karibischen Zentrum für Gewaltfreiheit und nachhaltige Entwicklung (CCNGD), der DW. Das Problem dabei sei, dass die US-Regierung am diskreditierten Moise festhalte. Das heize die Proteste an.
Joseph vermutet, dass die Eskalation den neuen Präsidenten Joe Biden unvorbereitet traf. Der Doktorant an der University Nova Southeastern im US-Bundesstaat Florida und Vertreter einer kritischen, im Ausland ausgebildeten neuen Generation, schließt nicht aus, dass Washington seine Position noch revidiert.
Trotzdem hält er die Rolle der USA in Haiti für tragisch: "Niemand kann uns Haitianern die Verantwortung für unser Land abnehmen. Wir müssen uns letztlich selbst zusammenraufen und einen Weg finden".
"Heuchlerisches Spiel"
Ähnlich sieht das Jean-Ronald Joseph, Politologe an der Universität Quisqueya in Port-au-Prince: "Die internationale Gemeinschaft spielt in Haiti ein heuchlerisches Spiel. Sie predigt Demokratie und Entwicklung, stützt und finanziert mit ihrem Geld aber eine korrupte Elite, die diese Ziele hintergeht", sagt er.
Als Beispiel nennt Joseph die Handelsliberalisierung zwischen Haiti und den USA in den 1990er Jahren. Das hätte die haitianischen Landwirte in den Ruin und die Bevölkerung in die Abhängigkeit von Lebensmittelimporten getrieben. Damals habe sich Hunger im Land ausgebreitet.
Als die USA 2004 militärisch in Haiti intervenierten, um den vom Militär gestürzten linken Armenpriester Jean-Bertrand Aristide an die Macht zurückzubringen, tauften sie die Aktion vollmundig "Die Demokratie hochhalten" (uphold democracy). Weil das mit Waffengewalt nur bedingt möglich war, wurde anschließend eine UN-Friedensmission entsandt.
Erdbeben zerstört Aufbauarbeit
Es gab Fortschritte bei der Professionalisierung des Staatsapparates und vor allem im Bildungswesen, doch das Erdbeben von 2010 war ein enormer Rückschlag. Viele Funktionäre starben, viele neue Gebäude wurden zerstört, auch die UNO verlor ihren Missionschef und viele Mitarbeiter.
Der darauf folgende Wiederaufbau brachte zwar auf einen Schlag viel frisches Geld und hunderte von NGOs ins Land. Doch der fragile Staat wurde von dieser Hilfswelle überrollt, und die von der UN angestrengte Koordination der Geber funktionierte nur teilweise.
Geldgeber wie Venezuela oder Taiwan versuchten zudem, die Tragödie für ihre geopolitischen Interessen zu nutzen – und befeuerten damit die Korruption der einheimischen Elite. Und einigen NGOs ging es offenbar mehr um Bilder, die Spenden generieren, als um sinnvolle Wiederaufbauarbeit.
Grenzen der Hilfe
Nothilfe sei wichtig und habe funktioniert, sagte einmal der damalige Sondergesandte der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS), Ricardo Seitenfus, problematisch werde es jedoch, wenn sie den Staat ersetze, denn dann fühle sich niemand mehr verantwortlich.
Bis heute, kritisiert Jean-Ronald Joseph, habe die internationale Gemeinschaft von der haitianischen Regierung keinen Rechenschaftsbericht über die Verwendung der Hilfsgeldern eingefordert. Damit machten sich auch die UN zum Komplizen.
"Und dann haben UN-Blauhelme auch noch die Cholera eingeschleppt", fügt er hinzu. "Wenn wir die Bilanz der vergangenen 30 Jahre ziehen, dann ist diese Strategie der Ko-Entwicklung, bei der lokale Eliten und die internationale Gemeinschaft zusammenwirken, ein totaler Reinfall", lautet seine Bilanz.