Deutsche Politik bleibt spannend
30. Dezember 2018Trotz aller politischer Querelen im vergangenen Jahr: Angela Merkel bleibt 2019 die Nummer eins - selbst wenn sie nun nicht mehr CDU-Vorsitzende, sondern "nur" noch Kanzlerin der Koalition aus CDU/CSU und SPD ist.
"Merkel hat noch die Fäden in der Hand", sagt der Berliner Politologe Thorsten Faas. "Gegen ihren Willen wird man sie nicht aus dem Amt drängen können."
Eine Kanzlerin zu stürzen, das ist in Deutschland auch gar nicht so einfach. Jedenfalls kann das Parlament nicht ohne weiteres beschließen: Wir "misstrauen" Angela Merkel.
Vergleichbares passierte einst in der Weimarer Republik viel zu oft, wirkte destabilisierend und begünstigte den Aufstieg der Nationalsozialisten bis zur Machtübernahme Adolf Hitlers 1933. Aus diesen historischen Erfahrungen lernten die Väter und Mütter des Grundgesetzes und bestimmten 1949: Ein Misstrauensantrag geht nur, wenn dieser "konstruktiv" ist. Das heißt: Merkel kann nur abgewählt werden, wenn auch ein Nachfolger in den Startlöchern steht, der eine Mehrheit des Bundestages von sich überzeugen kann. Doch ein mehrheitsfähiger Merkel-Kontrahent ist nicht in Sicht.
So lange Merkel es will
Bisher antwortet Merkel auf die Frage, wie lange sie noch Kanzlerin bleiben wolle, mit dem Verweis auf das normale Ende der Legislaturperiode, also 2021.
Doch sie ist auch zu Kehrtwenden bereit, wie zuletzt ihr überraschender Verzicht auf den Parteivorsitz gezeigt hat. Sie könnte, quasi über Nacht, ihren Rücktritt erklären. So wie es Willy Brandt, einer ihrer Amtsvorgänger, 1974 tat.
Das Grundgesetz sieht in solchem Fall nicht zwingend Neuwahlen vor. Es könnte auch ein Übergangskanzler so lange die Regierung führen, bis der Bundestag einen neuen Kanzler wählt.
Allerdings wäre das kein wirklich staatsmännisches Ende der Ära Merkel.
Eleganter wäre es, dem Parlament die sogenannte Vertrauensfrage zu stellen. Das haben andere amtsmüde Kanzler vorgemacht. Auch hier gilt der vom Grundgesetz angelegte Stabilitätsgrundsatz: Neuwahlen würden vermieden, sofern sich ein neuer Kanzler fände. Wie zum Beispiel Annegret Kramp-Karrenbauer, die Hauptfigur in Merkels "Mission Ruhestand".
Partnerwechsel ohne Neuwahlen?
Soweit die Theorie. "Allerdings sind alle Parteien der Regierungskoalition nervös, ihr Ansehen am Boden", sagt Faas. "Ein dauerhafter Zustand kann das nicht sein."
Vor allem die SPD ist instabil. Nach der Europawahl im Mai 2019 oder zur vereinbarten Zwischenbilanz der Koalition im Spätherbst 2019 könnten die Sozialdemokraten aus der GroKo aussteigen, um den parteiinternen Druck abzubauen.
Merkel könnte - so ein Szenario - mit einer Minderheitsregierung weitermachen und sich von Grünen und FDP tolerieren lassen. Für mehr ist die FDP - zumindest unter Merkel - nicht zu haben. Kramp-Karrenbauer würde vielleicht 2020 übernehmen und dann mit neuen Partnern eine echte Koalition schmieden.
Neuwahlen schon im Jahr 2019 wollen die Koalitionsparteien vermeiden - aus mehreren Gründen. "Kein Bock" auf Neuwahlen hat nach eigener Aussage der neue CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak. Er dürfte vielen seiner Parlamentarier-Kollegen von CDU, CSU und SPD damit aus der Seele sprechen. Denn bei den aktuell miesen Umfragewerten würden sie im Fall von Neuwahlen Parlamentssitz und Karriere aufs Spiel setzen.
Auch der Bundespräsident soll kein Fan von Neuwahlen sein. Er wäre laut Grundgesetz dafür verantwortlich, diese auszurufen.
Wahljahr 2019: Gute Aussichten für die AfD
Was Merkel stützt: Eine Mehrheit der Bürger will, dass sie Kanzlerin bleibt, ergab der neueste Deutschland-Trend. Ihre Beliebtheitswerte sind wieder gestiegen. Doch ihre größten Gegner - die Rechtspopulisten - könnten Merkel auch 2019 mächtig ärgern.
Zum Beispiel bei der Europa-Wahl. "Solche Nebenwahlen spielen Protestparteien eher in die Hände", sagt Politologe Faas. Im EU-Parlament will die AfD mit Populisten aus Italien und Österreich ein Netzwerk bilden. Ob das klappt, ist ungewiss. Doch wird die Wahl, so wird erwartet, im Vergleich zur letzten Europawahl der Rechtsaußenfraktion mehr Mandate, Geld und Einfluss bringen.
Außerdem gibt es im Herbst 2019 drei Landtagswahlen in Ostdeutschland, die die CDU überstehen muss. In Thüringen, Sachsen und Brandenburg könnte die AfD stärkste Kraft werden.
Zudem finden in neun Bundesländern Kommunalwahlen statt. Hierüber könnte sich die AfD vielerorts an der politischen Basis, also in Stadtparlamenten und Kreistagen, verankern.
Merkels Plan für 2019: Die CDU muss die an die AfD verlorengegangenen Wähler zurückholen. Klappt das nicht, wird es Unruhe in der Partei geben.
Die Wahlen im neuen Jahr "werden letztlich darüber entscheiden, ob die Regierung hält oder nicht", sagt Politik-Experte Faas. Danach steigt die Wahrscheinlichkeit, dass es doch noch vorgezogene Bundestagswahlen gibt.