Auslieferung trotz UN-Warnung
26. Dezember 2017Durch die Säuberungswelle nach dem gescheiterten Putsch verloren Hunderttausende in der Türkei ihre Jobs, Zehntausende wurden verhaftet. Politische Gegner des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan waren aber zumeist sicher, sobald sie irgendwo nach Europa fliehen konnten. Eine parteiische Justiz und Berichte über Folter in den türkischen Haftanstalten waren Grund genug für viele europäische Staaten, Türken nicht in ihre Heimat auszuliefern, auch wenn sie über Interpol gesucht wurden.
Anscheinend verfolgt EU-Beitrittskandidat Serbien inzwischen eine andere Politik. Wie jetzt bekannt wurde, ist der Kurdenpolitiker Cevdet Ayaz an die Türkei ausgeliefert worden, wo er zu 15 Jahre Haft verurteilt wurde. Die Auslieferung wurde von der serbischen Justizministerin Nela Kuburović noch kurz vor Weihnachten genehmigt und offenbar nun vollzogen. Das bestätigte jetzt die Anwältin von Cevdet Ayaz dem serbischen Nachrichtenportal "Insajder".
Ayaz ist Funktionär der kleinen Freiheitspartei Kurdistans (PAK) aus der osttürkischen Provinz Muş. Schon vor einem Jahr, Ende 2016 wurde er - auf Antrag der türkischen Justiz - in Serbien verhaftet, wo er gleichzeitig Asyl beantragte. Seitdem haben serbische Berufungsgerichte die Entscheidung des zuständigen Amtsgerichts, Ayaz auszuliefern, dreimal aufgehoben. Doch beim vierten Anlauf Mitte Dezember wurde die Entscheidung genehmigt und Ministerin Kuburović - die das letzte Wort in solchen Fällen hat - erlaubte die Auslieferung.
Serbien ignoriert UN
Doch ein großes Fragezeichen bleibt: In einem Brief von 11. Dezember - drei Tage bevor das Berufungsgericht die Überstellung in die Türkei billigte - verlangte der UN-Ausschuss gegen Folter, die Auslieferung vorerst zu stoppen. Ayaz drohe sonst eine unmenschliche Behandlung in der Türkei. Am Montag twitterte Chef des Ausschusses Jens Modvig: "Serbien, seien Sie sich bitte Ihrer Verpflichtungen aus der UN-Antifolterkonvention bewusst."
Merkwürdigerweise behauptet das Justizministerium in Belgrad, der Brief sei erst nach der Entscheidung von Ministerin Kuburović eingetroffen. Das sei eine plumpe Lüge, sagen Ayaz' Anwälte: Der Brief sei Teil der Gerichtsakte gewesen, die die Ministerin zu prüfen hatte.
Demnach sei die rechtliche Lage eindeutig gewesen - Serbien hätte das Votum des UN-Ausschusses nicht ignorieren dürfen, so Nikola Kovačević, Anwalt beim Belgrader Zentrum für Menschenrechte, einer Nichtregierungsorganisation, die Ayaz in Serbien vertreten hat. Serbien sei damit "das einzige europäische Land, das einer Entscheidung des UN-Ausschusses nicht gefolgt ist", sagte Kovačević der Deutschen Welle. Damit breche Serbien die Antifolterkonvention der Vereinten Nationen.
Der Prozess gegen Cevdet Ayaz begann in der Türkei bereits 2001. Damals wurde er beschuldigt, Teil eine Gruppe zu sein, die Terroranschläge plane. Damals habe er unter Folter gestanden, sagte Ayaz später - und bekam in dieser Sache 2006 Recht vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Bis 2016 lebte er in der Türkei auf freiem Fuß, setzte sich aber nach Serbien ab, kurz bevor dort die 15-jährige Haftstrafe gegen ihn verhängt wurde.
Mehmet Ali von der kurdischen PAK vermutet hinter der Verurteilung seines Parteifreundes politische Motive. Er nennt die Anschuldigungen gegen Ayaz "Fantasien" der türkischen Staatsanwaltschaft. "Es ist schlimm in der Türkei. Die Polizei foltert und misshandelt. Wir fürchten sehr um Ayaz' Leben", sagte Ali der DW.
Ein Geschenk für Erdogan?
Es ist unklar, warum serbische Gerichte und Ministerin das Urteil des Europäischen Gerichtshofes im Fall Ayaz ignoriert haben. Denn auch laut serbischen Gesetzen sind unter Folter abgegebene Geständnisse nichtig. Die Entscheidung, den Kurdenpolitiker auszuliefern, sorgte bei Menschenrechtlern für Empörung. Auch internationale Organisationen wie Amnesty International protestierten vergeblich.
"Die Politik spielt in solchen Fällen immer eine Rolle. Die Türkei hat alles Mögliche unternommen, um an diesen Menschen ranzukommen", meint Menschenrechtler Milan Antonijević, Direktor der Belgrader Nichtregierungsorganisation Yucom. "Die Menschenrechte dieses Mannes waren schon in der Türkei gefährdet und könnten wieder gefährdet sein. Dafür wäre Serbien direkt verantwortlich", sagte er der DW.
Das Balkanland Serbien ist zwar ein EU-Beitrittskandidat, bemüht sich aber gleichwohl um gute Verhältnisse zum Osten. Außer Russland und China zählt dazu verstärkt die Türkei, von der man sich in Serbien Investitionen und Zusammenarbeit in Energieversorgung verspricht.
So wurde Anfang Oktober der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan und seine 150-Mann-starke Wirtschaftsdelegation in Belgrad mit allen Ehren feierlich empfangen. Dabei griff der serbische Außenminister Ivica Dačić persönlich zum Mikrofon und sang für Erdogan - auch auf Türkisch.