Demokratie lernen von der Bundeswehr?
25. Januar 2014"Vertei-digungs-politische Richt-linien" liest Bat Erdene Norov laut vor. Was das bedeutet? Der mongolische Major und seine zehn Mitschüler, ausländische Offiziere wie er, wissen es nicht. Sie sitzen im Deutschunterricht an der Führungsakademie der Bundeswehr im norddeutschen Hamburg und arbeiten sich durch eine Liste komplizierter militärischer Fachbegriffe.
Ihre Regierungen haben die Männer aber nicht nur zum Deutschlernen an die Führungsakademie geschickt. "Die Ziele dieses Lehrgangs bestehen im Wesentlichen darin, Deutschlandexperten auszubilden und zu erziehen, Freunde für Deutschland zu gewinnen, und natürlich auch, auf einer relativ niedrigen Ebene, militärische Professionalität zu vermitteln, auf der Grundlage unseres militärischen Denkens, auf der Grundlage der nationalen und internationalen Rechtsgrundlagen“, sagt Brigadegeneral Karl Schreiner, der Direktor für Lehre.
Seit 1962 hat die Bundeswehr 1800 Offiziere aus Drittländern ausgebildet, also aus Nationen, die weder in der NATO noch der Europäischen Union Mitglied sind. Majore und Oberstleutnante aus 119 verschiedenen Staaten haben teilgenommen - seit 1998 auch aus China. Planung von Operationen am Boden, Luft- und Seekrieg, Lagebeurteilung, Militärtaktik - darum geht es im militärischen Teil des Kurses. Das offizielle Ziel des zehn Monate dauernden Lehrgangs ist es, die Welt demokratischer zu machen.
Kritik an Ausbildung ausländischer Militärs
Mehr Demokratie durch die Ausbildung von Streitkräften? Dieses Konzept sieht Pascal Abb kritisch. Er ist Chinaexperte am Giga-Institut für globale und regionale Studien in Hamburg. "Armeen sind mit ihrer strikten Hierarchie generell mit Demokratie nicht sonderlich kompatibel", sagt Abb. Das treffe besonders auf China zu. Die Armee sei dort ein wichtiges Instrument zum Machterhalt der Kommunistischen Partei, etwa bei politischen Unruhen. "Es ist komplett unrealistisch, dass in China westliches Gedankengut von außen hineingetragen oder von Offizieren in der Gesellschaft verbreitet wird", ist sich der Politikwissenschaftler sicher.
"Menschenrechte sind nur ein vorgeschobenes Argument. Es geht eher darum, wirtschaftliche Beziehungen zu pflegen", sagt Dirk Pleiter, Chinaexperte von Amnesty International. Das heißt, mit der Ausbildung der Offiziere erhofft sich Deutschland, in dem Herkunftsland auch mehr Waren wie Maschinen und Autos verkaufen zu können oder günstiger Rohstoffe wie Gas oder Erdöl zu erhalten. Kritik kommt auch von Katja Keul, die für die Grünen im Verteidigungsausschuss im Bundestag sitzt: "Die Vorstellung, so Rechtsstaatlichkeit zu verbreiten, ist eine Illusion und noch nie nachgewiesen worden." Sie fordert, das Thema Menschenrechte stärker im Lehrplan der Führungsakademie zu verankern.
Für den Direktor für Lehre der Akademie, Schreiner, ist die Kritik unverständlich: "Wir haben doch in Afghanistan gemerkt: Es funktioniert nicht, eine Demokratie nach deutschem Muster etablieren zu wollen."
Lehrgangsteilnehmer aus der ganzen Welt
Im Unterrichtsraum der Führungsakademie unterrichtet Flottillenarzt Joachim Koch. Thema: Sanitätsdienst im Einsatz. "Überlegen Sie, wie Sie Ihre Hubschrauber einsetzen wollen", sagt Koch zu seinen knapp 30 Lehrgangsteilnehmern aus der ganzen Welt. Offiziere aus Russland, Pakistan und Burkina Faso hören konzentriert zu. Derzeit sind auch drei chinesische Offiziere an der Führungsakademie.
Den Schülern gefällt der Unterricht, erzählen sie. Sie lernen Deutsch und genießen das Leben in einem Land, in dem es keinen Krieg gibt und mehr Wohlstand. Der offene Umgang zwischen Lehrern und Schülern überrasche sie, sagen einige der ausländischen Soldaten. Einem Vorgesetzten die Meinung sagen? In vielen Ländern ist das undenkbar.
Regierung führt Schwarze Liste
Das Auswärtige Amt und das Verteidigungsministerium entscheiden, mit welchen Ländern Deutschland zusammenarbeitet. Wenn die Lage irgendwo zu dramatisch wird, nimmt die Bundesrepublik Abstand von einer Kooperation. Diese Schwarze Liste wird jährlich aktualisiert.
Ob der LGAI sein offizielles Ziel, die Welt demokratischer zu machen, erreicht hat - General Schreiner weiß es nicht. Gerade bauen sie eine Alumni-Organisation für frühere Teilnehmer auf. Mehr als 50 Jahre nach Gründung des internationalen Generalstabslehrgangs will die Führungsakademie ihre Kontakte nachhaltiger pflegen. So sollen die geknüpften Bande zu Absolventen wie Major Bat Erdene Norov aus der Mongolei nicht so schnell abreißen. Schließlich hat Deutschland in den Mann investiert. Was diese deutschen "verteidigungspolitischen Richtlinien" bedeuten, vergisst der kräftige Major bestimmt nicht mehr. Er weiß jetzt: Darin sind die Aufgaben der Bundeswehr festgehalten.