Ausschreitungen bei Protesten in Istanbul
1. Mai 2015Die türkische Polizei hat die zentrale 1.-Mai-Demonstration regierungskritischer Gewerkschaften in Istanbul mit Wasserwerfern und Tränengas aufgelöst. Aus den Reihen der Demonstranten wurden die Sicherheitskräfte im Stadtteil Besiktas daraufhin mit Steinen beworfen. Zuvor war die Veranstaltung mit rund 1500 Teilnehmern stundenlang friedlich verlaufen.
Nach offiziellen Angaben wurden mindestens 18 Demonstranten und sechs Polizisten verletzt. 203 Menschen seien festgenommen worden. Die Organisatoren hatten erfolglos mit der Polizei darüber verhandelt, zum abgeriegelten Taksim-Platz marschieren zu dürfen. Wie der Sender CNN Türk unter Berufung auf die Behörden berichtet, sind in Istanbul 21.000 Polizisten im Einsatz.
Reporter zu Boden gerungen
In Besiktas versuchte die Polizei, einen dpa-Reporter festzunehmen, und rang ihn dabei zu Boden. Er wurde nach einigen Minuten freigelassen. Auch außerhalb von Besiktas kam es zu Zusammenstößen. Auf Fotos der Nachrichtenagentur epa waren Randalierer zu sehen, die Steinschleudern und Molotowcocktails gegen die Polizei einsetzten. Sie errichteten Barrikaden und steckten sie in Brand.
Regierungskritische Gruppen und Gewerkschaften hatten dazu aufgerufen, am 1. Mai auf den symbolträchtigen Taksim-Platz im Herzen Istanbuls vorzudringen. Ein Großaufgebot an Sicherheitskräften sollte das verhindern. Der Taksim selbst ist mit Metallgittern abgeriegelt.
Trotz des massiven Polizeiaufgebots konnten einige Regierungsgegner die Absperrungen überwinden. Am Denkmal der Republik schwenkte eine kleine Gruppe rote Flaggen mit Hammer und Sichel, wie auf Fernsehbildern zu sehen war.
Schauplatz von Massenprotesten
Im Jahr 2013 hatten die Behörden die traditionellen 1.-Mai-Kundgebungen auf dem Platz erstmals aus Sicherheitsgründen verboten. Im Vorfeld hatte es Auseinandersetzungen zwischen radikalen Gewerkschaftsvertretern und Sicherheitskräften gegeben.
Einen Monat später wurden der Platz und der angrenzende Gezi-Park zum Schauplatz von Massenprotesten gegen den damaligen Regierungschef und heutigen Staatschef Recep Tayyip Erdogan. Mehr als zwei Wochen lang forderten zehntausende Menschen seinen Rücktritt. Seither lässt Erdogan kategorisch jegliche Proteste auf dem Taksim-Platz verbieten sowie regelmäßig Tränengas und Wasserwerfer gegen Demonstranten einsetzen.
Für die Gewerkschaften ist der freie Zugang zu dem Platz wichtig, um der Opfer vom 1. Mai 1977 zu gedenken. Damals eröffneten Unbekannte das Feuer auf dem Taksim, wo rund eine halbe Million Menschen den Tag der Arbeit feierten. Bei der ausbrechenden Massenpanik gab es 34 Tote.
jj/uh (dpa, afp)