"Empört Euch!" - Kunst in Zeiten des Zorns
29. Oktober 2020Wut, Hass und Zorn gehören zu unseren intensivsten und ältesten Gefühlen. Und doch hat es eine neue Qualität, wie sehr das gesellschaftliche Miteinander aktuell von solchen negativen Emotionen geprägt wird: Menschenfeindliche Verschwörungserzählungen, extremistischer Terror oder aggressive Hate Speech sind alltäglich geworden.
Und auch die internationale Politik schreckt nicht davor zurück, Gewalt und offene Drohungen als gängiges Mittel der Verhandlung einzusetzen. Es ist kein Zufall, dass ein Enthüllungsbuch über US-Präsident Donald Trump ausgerechnet "Rage" (deutsch: "Wut") heißt.
Politische Gegenwartskunst im Düsseldorfer Kunstpalast
Die Ausstellung "Empört Euch! Kunst in Zeiten des Zorns" im Düsseldorfer Kunstpalast verstehe sich explizit als Antwort auf diese "gesellschaftlichen Verwerfungen unserer Zeit", so Felix Krämer, Generaldirektor des Kunstpalastes.
Konkret heißt das: Die rund 700 Quadratmeter Ausstellungsfläche wurden von 35 dezidiert politischen Künstlern und Kunstaktivisten mit Werken gefüllt, die gesellschaftliche Ungerechtigkeiten und diskursive Verschiebungen verhandeln.
"Alle in der Ausstellung versammelten Positionen begreifen Kunst als politischen Raum", sagt die Kuratorin Linda Peitz. Ausgewählt worden seien Künstler, die für "Solidarität, Empathie und Humanismus plädieren, die Ungerechtigkeiten in unserer Gesellschaft aufzeigen, sie analysieren oder ironisch brechen."
Empörung ist nicht gleich Hass
Damit wird auch eine implizite, aber für die Ausstellung wichtige Unterscheidung deutlich: der zwischen Hass und Wut auf der einen, Empörung und Zorn auf der anderen Seite. Während Wut diffus und ungerichtet ist, beziehen sich Empörung und Zorn auf konkrete Ereignisse. In dieser semantischen Differenz liegt die besondere Spannung der Ausstellung.
Ein besonders eindrückliches Beispiel dafür ist ein ursprünglich als Poster konzipiertes Werk der bosnischen Künstlerin Šejla Kamerić, das in Düsseldorf auf eine zwölf Meter hohe Wand tapeziert wurde. Darauf zu sehen ist die Künstlerin selbst, dazu die Worte eines niederländischen NATO-Soldaten. Auf eine Kasernenwand in dem Dorf Potočar bei Srebenica hatte er 1994 oder 1995 geschrieben: "Keine Zähne? Ein Schnurrbart? Riecht widerwärtig? Bosnisches Mädchen!"
Damit erinnert Kamerić nicht nur an den Krieg im ehemaligen Jugoslawien und den Genozid an Tausenden von Bosniern in Srebenica. Die Künstlerin verknüpft das menschenverachtende Graffito des Soldaten mit ihrem Porträt und personalisiert es so. Gleichzeitig blickt sie den Betrachter eindringlich an und zwingt so ihn zu einer Einordnung.
Betrachter können sich Bewertung nicht entziehen
Diese Strategie verfolgen viele der ausgestellten Werke. Es sind vor allem Fotografien, Videoinstallationen und Filme zu sehen. Die zunächst eher dokumentarische Form hilft dabei, die beiden bestimmenden Ebenen der Ausstellung - Hass und, daraus folgend, Empörung - einander gegenüberzustellen. Das Publikum ist gefordert, selbst seine Schlüsse aus diesen Gegenüberstellungen zu ziehen.
Die aktive Rolle des Zuschauers wird manchmal nur durch die Perspektive forciert, zum Beispiel in den sozialen Versuchsanordnungen von Signe Pierce und Alli Coates, bisweilen aber auch aktiv beworben.
Was ist privat, was politisch?
So hat der japanische Konzeptkünstler Yoshinori Niwa vor dem Kunstpalast einen Container aufgestellt, in den man nationalsozialistische Relikte entsorgen kann. In Anzeigen in der Lokalzeitung werden die Bürger dazu aufgerufen, solche Memorabilia mitzubringen, damit sie am Ende der Ausstellung gemeinsam und vollständig vernichtet werden können. "Withdrawing Hitler from a private space" ("Hitler aus dem Privaten verbannen") nennt Niwa dieses Projekt.
Um das Private geht es auch in der Videoarbeit des französischen Künstlers Kader Attia. Denn das Private ist eben doch politisch - zumindest, wenn man die "falsche'"Herkunft hat. In "The Body’s Legacies Pt. 2: The Post-Colonial Body" ("Die Vermächtnisse des Körpers Teil 2: Der postkoloniale Körper") führt er Interviews mit Nachfahren von Kolonisierten und Sklaven und zeigt so, wie koloniale Gewalt und Rassismus die Wahrnehmung des Körpers und das Verhalten von Menschen im öffentlichen Raum bis heute beeinflussen.
Zurückeroberung der Empörung
Nicht von ungefähr greift der Ausstellungstitel "Empört euch!"den bekannten Essay von Stéphane Hessel auf, den der ehemalige Widerstandskämpfer der Résistance 2010 im hohen Alter veröffentlichte: Die schon vor zehn Jahren drängenden Fragen, etwa zur Bedeutung der Menschenrechte, zum Umgang mit Migranten oder zur sozialen Ungleichheit finden sich alle in der Ausstellung wieder.
Sie ist damit, obwohl schon seit anderthalb Jahren geplant, erstaunlich aktuell: Nicht nur verschärft die Corona-Pandemie viele der gezeigten, globalen Ungerechtigkeiten. Die Ausstellung besorgt gewissermaßen auch eine Diskurskorrektur. Indem sie auf übergreifende und schon lange virulente Themen eingeht, erobert sie sich auch Hessels Grundgedanken hinter seinem Aufruf zur Empörung zurück. Besonders in den letzten Monaten ist er gefährlich häufig von Verschwörungstheoretikern zweckentfremdet worden.