Australien im Flughund-Stress
11. Januar 2021Der Begriff "Flughund-Tornados" tauchte Anfang des Jahres erstmals in einem BBC-Bericht aus Australien auf. Andere Medien übernahmen die Wortschöpfung. Denn in der Kleinstadt Ingham im nordöstlichen Bundesstaat Queensland ist die Population der Flughunde in den vergangenen beiden Jahren regelrecht explodiert. Die Anwohner sind zunehmend genervt vom Lärm und Gestank der Tiere.
Nicht nur Ingham ist betroffen. Klagen kommen auch aus anderen australischen Gemeinden, in denen es seit langem große Camps von Flughunden gibt. Mit "Camps" sind die Ruheplätze der Tiere gemeint, wo sie sich tagsüber dicht an dicht von der Nahrungssuche der Nacht erholen.
"Wenn sie vorbeifliegen sieht es aus, als würde plötzlich ein Gewitter aufziehen. Einer nach dem anderen, und sobald die Abenddämmerung beginnt, sind es plötzlich Tausende", erzählt Justine Taylor. Sie arbeitet als Verkäuferin in der Nähe von Grafton, einer Stadt im Bundesstaat New South Wales. Mehr als 100.000 Flughunde leben hier manchmal gleichzeitig.
Flughunde als Virusträger
Die Geräusche der vielen Tiere sind ohrenbetäubend. Es stinkt überall nach Urin. Außerdem gelten Flughunde als Überträger verschiedener Krankheitserreger: So verbreiten sie etwa das Lyssa-Virus, das Tollwut auslösen kann, oder das Hendra-Virus, das bei Menschen zu schweren Krankheitsverläufen führt.
Das australische Gesundheitsministerium betont zwar, dass von den Flughunden nur ein geringes Gesundheitsrisiko für den Menschen ausgeht. Aber die Vorstellung, dass die Tiere Krankheiten übertragen, hat ihrem Image nicht gut getan.
"Ich habe schon immer Angst vor ihnen gehabt und hoffe jedes Mal, dass sie sich im Garten von jemand anderem niederlassen", sagt Taylor. "Sie kreischen und machen diese Klappergeräusche, man kann einfach nicht schlafen. Selbst tagsüber, wenn man am Fluss ist, kann man sie hören."
Bäume und Wasser: Suchende auf der Durchreise
Auf dem australischen Festland leben vier Arten von Flughunden, zwei von ihnen stehen unter Naturschutz. Sie ernähren sich hauptsächlich von Nektar, Pollen oder Früchten. Ihre Flügel können Spannweiten von bis zu 1,50 Metern erreichen.
Die Camps der Flughunde werden gern mit Bahnhöfen verglichen, in denen tagtäglich Scharen von Tieren ein- und ausfliegen. In einer einzigen Nacht legen die Tiere auf der Suche nach Nahrung bis zu 50 Kilometer zurück. In einer Saison schaffen sie so 1000 Kilometer.
Um nicht zu dehydrieren, müssen Flughunde regelmäßig trinken. Dabei nehmen sie immer nur kleine Mengen Flüssigkeit zu sich, um ihren Flug nicht durch zusätzliches Gewicht zu erschweren. Susan Islands, eine Insel im Fluss Clarence River, ganz in der Nähe der Stadt Grafton, ist zu einem Treffpunkt für die Tiere geworden.
Natürlicher Lebensraum schwindet
Aber der Klimawandel und die Abholzungen machen die Routen der Flughunde immer unberechenbarer. Da ihr Lebensraum schwindet und Wasserquellen versiegen, suchen sie Zuflucht in den Städten und deren Randgebieten. "Sie werden in Gegenden gedrängt, wo sie sich normalerweise nicht aufhalten würden", sagt Tim Pearson, Naturschützer der Umweltorganisation Sydney Bats, die sich für den Schutz der Flughunde engagiert.
Im ganzen Land ist die Zahl der Flughunde insgesamt zwar zurückgegangen, einige Städte jedoch erleben einen regelrechten Zustrom der Tiere.
Erst Verdrängung, dann Hitzetod
Extrem heiße Temperaturen haben in den vergangenen Jahren Tausende, manchmal sogar Zehntausende von Flughunden auf einmal getötet. Dehydrierte Tiere fielen einfach tot von den Bäumen.
In diesem Jahr erlebte Australien den heißesten November seit Beginn der Wetteraufzeichnungen. Bis zu 40 Grad Celsius kletterten die Temperaturen in einigen Regionen. Dabei sind die Flughunde in den Städten und Vorstädten, wo sie nicht von dichtem Wald geschützt werden, der Hitze völlig ausgeliefert.
"Die jüngste Katastrophe, unter der die Tiere leiden, ist die massive Abholzung", erzählt Matt Brennan, Leiter der in Tasmanien ansässigen Umweltorganisation Wilderness Society. "Der Osten Australiens ist zu einem globalen Abholzungs-Hotspot geworden, neben Orten wie dem Amazonas, dem Kongo und Borneo."
Nothilfen für Flughunde
Einige Städte versuchen den Flughunden zu helfen. Die Stadtverwaltung von Yarra in Melbourne hat dort, wo die Flughunde in riesigen Kolonien am Fluss Yarra River leben, Sprinkleranlagen installiert. Das Wasser soll die Tiere abkühlen.
Am Fluss Parramatta in Sydney werden mit Unterstützung der Behörden des Bundesstaates New South Wales Bäume gepflanzt. Diese sollen den Flughunden neuer Lebensraum und Schattenspender zugleich sein.
Aber nicht immer sind die Ideen wirklich gut. So kann das Wasser der Sprinkleranlagen die hitzeerschöpften Tiere aufschrecken und ihren Stresspegel noch mehr erhöhen, so Pearson. Letztendlich sei es auch kein Ersatz für den Erhalt der Wälder, in denen die Flughunde von Natur aus zu Hause sind, wenn man nun die städtische Umgebung für sie anpasse. "Man kann zwar Bäume pflanzen, um den Flughunden wieder mehr Lebensraum zu schaffen, aber die eigentlichen Probleme sind der Klimawandel und die fortschreitende Abholzung", so Pearson.
Flughunde und Wälder brauchen einander
Einerseits leiden die Flughunde unter der Abholzung. Andererseits leiden Bäume und Pflanzen darunter, dass die Flughunde in manchen Gegenden nicht mehr auftauchen. Denn Flughunde sind wichtig für die Bestäubung. Sie stecken ihre Köpfe in Blüten, um sich vom Nektar zu ernähren. Sie fressen Früchte und scheiden die Samen wieder aus. Auf diese Weise helfen sie bei der Vermehrung von Eukalyptus, Teebaum, Banksia und vielen anderen Bäumen und Sträuchern des Regenwaldes.
Pearson warnt: Wenn nicht gegen den Klimawandel vorgegangen und die Abholzung der Wälder gestoppt werde, werde die Zahl der australischen Flughunde innerhalb der nächsten Jahrzehnte so weit zurückgehen, dass sie diese lebenswichtige Aufgabe nicht mehr erfüllen könnten.
"Ich denke, in einigen Gebieten entlang der Küste werden sie überleben, dort wo es Nahrung und Wasser gibt", sagt er. "Aber sie werden dann nicht mehr Bestäuber und Samenverbreiter sein, die für das Überleben unserer Wälder so wichtig sind."
Lieben lernen
Wo er nur kann, setzt sich Pearson für die Flughunde ein. Ihre Laute hat er genau studiert. Der Naturschützer sagt, das Getöse, über das sich die Menschen beschwerten, sei in Wahrheit die hoch entwickelte Kommunikation einer intelligenten und sehr sozialen Spezies.
Pearson will, dass die Öffentlichkeit die Flughunde nicht länger nur als Eindringlinge wahrnimmt, die Krankheiten übertragen. Er möchte, dass sie vielmehr als die außergewöhnlichen Tiere gesehen werden, die sie sind. "Nur wenn wir die Menschen aufklären und ihnen bewusst machen, wie wichtig die Flughunde für die Gesundheit des Ökosystems sind, können wir die Tiere vielleicht retten."
Nach Grafton reisen nun manchmal sogar Interessierte, um die Flughunde bei ihrer nächtlichen Suche nach Nahrung zu beobachten.
"Seit ich mitbekommen habe, dass Leute aus ganz Australien hierherkommen, um aus reiner Neugier die Flughunde zu sehen, sehe auch ich sie mit anderen Augen", sagt Justine Taylor. "Die Leute rudern sogar zu der Insel, um sie zu sehen - ich glaube, die Flughunde sind doch irgendwie süß", gibt sie zu.