Auszug aus dem Dorf
12. November 2012"Warum leben nur 279 Menschen in Eisenschmitt?" Georg Fritzsche empört die Frage nach der Einwohnerzahl, die das statistische Landesamt Rheinland-Pfalz veröffentlichte: "Kann nicht sein, wir haben alle Köpfe gezählt und sind auf 326 gekommen!" Georg Fritzsche ist einer dieser Köpfe. Der ehrenamtliche Bürgermeister kämpft um jeden weiteren. Seit fast 24 Jahren regelt er wie ein Patriarch die Belange des Vulkaneifeldorfes, das immer kleiner zu werden droht. "Wir bieten kein Begrüßungsgeld für Neuankömmlinge, doch Anreize sind gute Luft und erschwingliche Baugrundstücke."
Tief betrübt reagiert Fritzsche auf die Frage nach dem Verhältnis zwischen Geburten und Sterbefällen. "Vier Tote in letzter Zeit, das ist tragisch", sagt er und verzieht sein Gesicht. Er betreibt die letzte mechanische Kokosweberei Deutschlands, und der einzige hohe Schornstein im Ort ist ein Relikt aus vergangenen Zeiten, als noch mit Kohle geheizt wurde. 15 Mitarbeiter verarbeiten Sisal und Jute zu strapazierfähigsten Teppichen, auf denen Staatsoberhäupter schreiten. "Unverwüstlich", wirbt Fritzsche, was er auch auf sich selbst beziehen könnte. So kämpft er "wahnsinnig" gegen den Preisdruck der Import-Ware aus Fernost an und gegen Widrigkeiten im Dorf.
Weiberdorf und Pendlerdorf
Fritzsches Büro ist zugleich Bürgermeisteramt. Seine Tür steht immer offen. Neben Bildern, die Bill Clinton und Königin Elisabeth II. auf roter Auslegeware "Made in Eisenschmitt" zeigen, lehnt eine gerahmte Chronik von Eisenschmitt.
Eisenschmitt war reich an Eisenerz. In den Wäldern wurde Holzkohle zum Heizen gewonnen, am Fluss Salm produzierten zahlreiche Mühlen Wasserkraft. Bis die Industrie ihre Produktion an Rhein und Ruhr und damit näher an die Großstädte verlagerte, zählte Eisenschmitt 1350 Einwohner.
Mitte des 19. Jahrhunderts waren die Männer gezwungen, der Arbeit nachzuziehen. Sie kamen nur zwei Mal pro Jahr heim, während die Frauen die Haus- und Feldarbeiten erledigten. Die Schriftstellerin Clara Viebig beschreibt die Zustände in ihrem Roman "Das Weiberdorf". Ihr ist das gleichnamige Zentrum gewidmet nebst Heimatmuseum, untergebracht im Elternhaus des Bürgermeisters.
Gegenüber befindet sich der Dorfladen. Die Sparkasse hat vor Jahren dicht gemacht, Kindergarten und Schule wurden in die benachbarten Gemeinden verlagert. Ärzte und Apotheken gibt es nicht. Die Schule für Körperbehinderte wurde ebenfalls vor Jahren aus wirtschaftlichen Gründen geschlossen. Auch dadurch gingen Arbeitsplätze verloren, beklagt Bürgermeister Fritzsche. Und das Jagdschloss, das sogar Kaiser Wilhelm II. besuchte, wartet darauf, einer neuen Bestimmung zugeführt zu werden.
Dorfladen als Begegnungsstätte
Den dörflichen Mittelpunkt bildet der kleine Laden hinter der schlichten und geschmackvollen Fassade, der werktags von sieben bis halb zehn Uhr geöffnet hat. "Ich bin meistens schon um sechs hier", sagt Elke Engler mit einem Lächeln. "Die Berufstätigen kaufen Brötchen und müssen früh los in Städte wie Wittlich und Trier, die Schüler holen sich was Süßes auf dem Weg zum Schulbus. Und die Alten stehen auch alle früh auf." Elke Engler führt den Laden mit Herzblut für 400 Euro Lohn im Monat. Wer eine Bestellung aufgeben will, kann sie bis kurz vor Mitternacht zu Hause anrufen.
Die Ware liefert die Geschäftsführerin ihren Kunden am nächsten Tag persönlich frei Haus. Ehrenamtlich. "Ich höre den Alten gerne zu. Die haben so viele Geschichten zu erzählen". Elke Engler nimmt an der Seniorengymnastik teil, weil es ein ähnliches Angebot für Jüngere nicht gibt und schwärmt von der Lesung, die sie mitorganisiert hat, mitten im Wald, um etwas kulturelles Leben nach Eisenschmitt zu bringen. Sie selbst ist der Liebe wegen hierher gezogen. "Die meisten Frauen sind wegen der Männer hier. Insofern ist Eisenschmitt immer noch ein Weiberdorf", lacht sie.
Viel Platz für Individualisten
Einer der wenigen männlichen "Immigranten" ist Ben Czich. Er und seine Frau zogen vor 25 Jahren aus Köln hierher. "Das ist hier wie im Südburgund. Viel Landschaft, wenig Menschen." Fast entschuldigend fügt er hinzu: "Ich habe zwar eine gewisse Bildung, aber hier draußen sind auch noch andere Werte gefragt", sagt der Mann, der eine Galerie für Kolonial-Möbel und Alabasterlampen betreibt: "Aufrichtigkeit, Zuverlässigkeit. Auf die Eifeler können sie sich verlassen. Städter sind vergleichsweise oberflächlich, weil die sich wohl in der Hetze des Lebens befinden. Außerdem liebe ich gute Luft."
Czich gilt als Außenseiter, er selbst bezeichnet sich als Individualist. "Wenn man wirtschaftlich zurechtkommt, braucht man hier nicht viel: keinen Goldschmuck oder ein dolles Auto."
Aber neben der Romantik erlebte Ben Czich auch die raue Mentalität. Ein Hotelier, der mit dem Landrat befreundet war, nutzte seine Beziehungen, so sieht es Czich, um den Umbau des Hauses zu stoppen, dass die Czichs gerade erworben hatten. Der Grund: Angst vor der Konkurrenz eines "Kölner Gastronoms". "Ob ich den Terror nochmals durchstehen würde, bezweifle ich", grübelt Czich, "aber das Leben hat nun einmal seine guten und schlechten Seiten."
Auch Familie Rob kann ein Lied von Widerständen anstimmen. Peter Rob, ein Mann mit vielen Ideen, brauchte Jahre, um seinen Traum vom Blockhaus-Ferienpark im alpenländischen Stil zu verwirklichen. "Die Behörden bemängelten die Nähe zu einem angrenzenden Bauernhof. Immer wieder wurden Baugenehmigungen verweigert, der Prozess um zwei Jahre verzögert", resümiert der Gastronom, der wegen Baustopps und teurer Gerichtsverfahren um seine Existenz bangen musste: "Ich könnte ein Buch über die Schwierigkeiten mit Behörden schreiben, hier etwas auf den Weg zu bringen."
Braucht man Mobilfunk und Windräder?
Nun stehen fünf individuelle Häuser aus einheimischen Hölzern am Hang über Eisenschmitt. Das Projekt wurde 2009 für "Vorbildiches Bauen mit Holz" ausgezeichnet. Gäste, die mit dem Handy telefonieren wollen, müssen sich allerdings auf die Anhöhe begeben und können dann immerhin den Weitblick bis nach Luxemburg genießen. Der Ort ist nicht ans Mobilfunknetz angeschlossen. "Brauchen wir nicht", argumentiert Bürgermeister Fritzsche, "wir sind ein anerkannter Luftkurort, da wollen die Leute doch ihre Ruhe haben."
Die Zahlen für Fremdenverkehr und Einwohner seien rückläufig, bedauert Peter Rob, was auch an der Führung liege, mit einem Seitenhieb auf den Dorfvorstand. "Und wenn die geplante Windkraftanlage gebaut wird, kommen noch weniger Gäste, die Immobilienpreise sinken, befürchtet Rob, da die Natur durch die riesigen Windrotoren kaputt gemacht werde.
"Immerhin gibt es keinen Arbeitslosen hier", versucht Ehefrau Maria Rob das Positive hervorzuheben. Sohn Andreas hilft den Eltern nach der Schule im Betrieb, und Tochter Anne, die Tourismusmanagerin wird, hat schon eine Anstellung in Österreich. Anschließend will sie in den USA arbeiten.