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Autonomie oder Automat?

Martin Hubert / Ingun Arnold

Willensbildung ist ein schweres Geschäft: Selbstquälerisch schiebt das Gehirn Argumente hin und her, fragt nach, wägt ab. Da fällt es schwer zu glauben, der menschliche Wille sei nur ein Abfallprodukt des Gehirns.

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Auch Puh der Bär versucht es mit "Denken, denken, denken!"Bild: AP

Immer mehr Neurowissenschaftler attackieren den Kern des menschlichen Selbstverständnisses: Der freie Wille, so sagen sie, entspringt direkt den Aktivitäten der zentralen Nervennetze. Heißt das, wir können unser hochentwickeltes Gehirn also getrost im Automatik-Modus laufen lassen?!

Das Individuum = ein elektrischer Zellautomat?

Hürdenläufer in Kanada, Hüdenlauf
Bild: AP

Es gibt Forschungen, die zeigen, dass im Gehirn ein elektrisches "Bereitschaftssignal" für Bewegungen existiert. Schon eine halbe Sekunde, bevor sich jemand bewusst für eine Bewegung entscheidet, ist also bereits alles dafür in die Wege geleitet. Außerdem haben die Neurowissenschaftler Hirnregionen eingrenzen können, die den Willensentschluss oder die Willensstärke regulieren.

Freiheit ist immer auch die Freiheit zum Denken

Sind also Freiheit und Selbstbestimmung nur eine Illusion? Die Philosophen wehren sich, und zwar mit zwei Argumenten. Erstens: Es gibt zwar ein automatisches Bereitschaftspotential des Gehirns, aber das Bewusstsein kann innerhalb einer bestimmten Zeitspanne ein Veto gegen dieses Nervenprogramm einlegen. Zweitens: Die Neurowissenschaftler gehen von einer 'absoluten' Freiheit der Entscheidungen aus - die es aber gar nicht gibt.

Wille und Psyche

Ein Gehirn
Bild: AP

Menschliche Freiheit hat nur einen Sinn in Bezug auf das innere 'Fundament' einer Person: ihre individuelle psychische Verfassung. Ohne die inneren Überzeugungen und Wünsche eines Menschen als 'Triebfeder' wäre seine Freiheit gleichbedeutend mit Zufall oder Beliebigkeit. Wenn Neurowissenschaftler nachweisen, dass bestimmte Hirnareale oder Hirnsignale ganz bestimmte Entscheidungen vorbereiten, dann ist das nur die halbe Wahrheit.

Die ganze Wahrheit aus Sicht der Philosophen ist: Das Hirn arbeitet immer in Übereinstimmung mit grundlegenden Zielen und Überzeugungen der Person. Denn: Die Nervenmuster des Gehirns an sich sind nichts anderes als das Resultat der Auseinandersetzung dieser Person mit sich und ihrer Umwelt. Kurz: Ohne Bewusstsein keine neuronalen Strukturen. Hirnarbeit und Wille sind zwei Seiten ein und derselben Medaille.

Schlagabtausch der Wissenschaftler

Der Laie staunt und der Fachmann Neurowissenschaftler wundert sich: Woher wollen denn die Kollegen Philosophen so genau wissen, dass alle Entscheidungen letztlich auf die innersten Werte und Überzeugungen eines Menschen zurückgehen? Die Philosophen, auch nicht mundfaul, kontern prompt: Schließlich sei es Sache der Hirnforscher, erst einmal das Gegenteil zu beweisen.