Autozulieferer blicken nach China
26. September 2017Hat er das jetzt wirklich gesagt? Der Mann auf dem Podium wirkt euphorisch und wiederholt: "Das Auto wird zum Seelenverwandten." Ausgestattet mit Sensoren aller Art, künstlicher Intelligenz und Cloud-Anbindung werde das Fahrzeug merken, wie sich der Fahrer fühlt, wohin er will und auf welchem Weg.
Wobei Fahrer das falsche Wort ist, schließlich werden die Autos der Zukunft selbst fahren, autonom und elektrisch, rollende Wohnzimmer, in denen man arbeiten kann oder auch einfach nur schlafen.
"Wir wollen ein Lebensgefühl verkaufen, nicht nur ein Auto", sagt Zhang Hui, Geschäftsführer des chinesischen Startups Nio, das bisher zwar noch keine Serienwagen produziert, aber immerhin das nach eigenen Angaben schnellste Elektroauto der Welt (Artikelbild).
Hier Blues, da Party
Zhang spricht nur einen Tag nach dem Ende der Internationalen Automobilausstellung (IAA), die in diesem Jahr überschattet war von der bohrenden Frage, ob die deutschen Autobauer - von Volkswagen über Daimler bis zu BMW - die Zukunft verschlafen.
Deren Chefs wirkten in Frankfurt defensiv, mussten sich von der Bundeskanzlerin tadeln lassen und versuchten fast schon verzweifelt, die Aufmerksamkeit umzulenken - weg vom Dieselskandal und den drohenden Fahrverboten, hin zu großen, aber oft noch vagen Plänen für Elektroantriebe und selbstfahrende Autos.
Zhang dagegen spricht mit der Begeisterung, die für Startup-Unternehmer typisch ist, und mit dem Selbstbewußtsein, das bei chinesischen Herstellern von Elektroautos zunehmend zu beobachten ist. Denn China ist nicht nur der größte Automarkt der Welt, sondern gibt auch bei der Elektromobilität den Ton an. Hier wurden im vergangenen Jahr mehr als 40 Prozent aller Elektroautos gebaut, hier wird jeder dritte Elektromotor produziert und jede vierte Batteriezelle.
Doch trotz aller Katerstimmung hat Deutschland in der Autowelt noch Gewicht. Den Geschwindigkeitsrekord für Elektroautos stellte Zhangs Firma Nio nicht irgendwo auf, sondern auf der Nordschleife der deutschen Rennstrecke Nürburgring. Und das Nio-Designzentrum mit inzwischen rund 100 Mitarbeitern befindet sich nicht in Shanghai, sondern in München.
Autonom fahren in Wuppertal
Zhang präsentiert seine Visionen beim "Ersten deutsch-chinesischen Automobilkongress", der ausgerechnet in Wuppertal stattfand, einer Stadt in Nordrhein-Westfalen (NRW). Das Bundesland ist zwar nicht als das deutsche Automekka bekannt, doch hier sind zahlreiche Autozulieferer ansässig.
"Kein Auto in Europa kommt ohne Teile aus NRW aus", sagt Andreas Mucke, der Wuppertaler Oberbürgermeister. "Und in Wuppertal haben wir Deutschlands erste Teststrecke für innerstädtisches autonomes Fahren."
Die wird vom britischen Automobilzulieferer Delphi betrieben, der seine Deutschlandzentrale in Wuppertal hat. Hier wurde etwa das System entwickelt, das den neuen Audi A8 autonom fahren lässt. "Damit wird automatisiertes Fahren bis Level 4 erreicht", sagt Markus Kerkhoff, Geschäftsführer von Delphi Deutschland. "Level 5 können wir rechtlich noch nicht erreichen, technisch schon."
Level 4 gilt als "Vollautomatisierung", bei der das Auto dauerhaft von der Technik gesteuert wird, der Fahrer muss nur im Notfall eingreifen. Bei Level 5 würde der Fahrer dann vollends zum Passagier, nur das Ziel müsste er noch selbst eingeben, dann könnte er sich zurücklehnen. Bis das allerdings Alltag ist, wird noch einige Zeit vergehen. Derzeit sind in Deutschland noch nicht einmal Level-3-Fahrzeuge für den Straßenverkehr zugelassen, die zum Beispiel selbstständig die Spur wechseln und überholen können.
Zwei Revolutionen
Klassische Autohersteller sehen sich also derzeit mit gleich zwei Revolutionen konfrontiert, die ihr bisheriges Geschäftsmodell in Frage stellen: zum einen die Elektromobilität, zum anderen das autonome Fahren. In beiden Feldern sind chinesische Firmen stark.
So ist BYD Auto (BYD = Build Your Dreams) inzwischen nicht nur der größte chinesische Autobauer, sondern auch der weltweit größte Hersteller von Elektrofahrzeugen. Sie sind als Taxis im Einsatz, als Lastwagen oder als Busse. Auch erste Elektrozüge hat BYD gerade ausgeliefert, die in China die Kurzstrecke zwischen Flughäfen und Stadtzentren bedienen. "Wir glauben, dass es dafür auch in Europa einen Markt gibt", sagt Patrick Oosterveld von BYD Europe.
Beim autonomen Fahren wiederum ist die Frage, wie die riesigen Datenmengen verarbeitet werden können, die dabei anfallen. Unter dem Schlagwort V2X (Vehicle to X) kommuniziert jedes Auto mit anderen Verkehrsteilnehmern und der gesamten Infrastruktur, teilt Routen, Distanzen oder Ladestände durch Navigation, Sensoren, Radar, Sonar und diverse Kameras. "All diese Daten machen bis zu vier Terabyte pro Tag aus, die lokal ausgewertet werden müssen und über die Cloud ausgetauscht werden", sagt Michael Lemke von Huawei Deutschland.
Der chinesische Mobilfunkkonzern und Netzwerkausrüster arbeitet mit Hochdruck daran, all diese Möglichkeiten mit dem nächsten Mobilfunkstandard 5G zu nutzen. "Es gibt sehr viele Komponenten, die das Auto der Zukunft auch für Firmen wie Huawei hoch interessant machen", so Lemke.
Wo spielt die Musik?
Wollen deutsche und chinesische Firmen stärker zusammenarbeiten, müssen sie viele Hindernisse überwinden. Das beginnt bei der Analyse von einfachen Verkehrsdaten (Wo sind die Ampeln angebracht, die von Sensoren erfasst werden müssen?) und geht bis zur kulturellen Kompetenz der Mitarbeiter, die in internationalen Teams arbeiten, so Markus Kerkhoff von Delphi.
Der erste deutsch-chinesische Autokongress in Wuppertal will genau das erreichen. "Wir wollen die bestehenden Beziehungen zu China stärken", so der Wuppertaler Oberbürgermeister Mucke. "Und wir wollen weitere Kooperationen zwischen China und Nordrhein-Westfalen aufbauen."
Anders formuliert: Wenn die Musik im Autobau in Zukunft in China spielt, wollen deutsche Zulieferer weiterhin dabei sein. Das Interesse am Autokongress war jedenfalls groß; mit 300 Teilnehmern aus beiden Ländern war die Veranstaltung ausgebucht, eine Neuauflage ist bereits geplant.