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Politik

Außenpolitik: Schwache Halbzeit Merkels

Fabian von der Mark
29. September 2019

Zwei Jahre nach der Bundestagswahl wirkt die deutsche Außenpolitik lahm und ideenlos. Die Schwäche kommt zu einem denkbar schlechten Zeitpunkt.

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Deutschland Berlin | Angela Merkel, Bundeskanzlerin
Bild: Reuters/H. Hanschke

Kritik von Donald Trump ist man in Berlin schon gewohnt. Meistens beklagt der US-Präsident, dass Deutschland zu wenig Geld fürs Militär ausgebe. Dann hat er sich in einem Telefonat mit dem ukrainischen Präsidenten über Angela Merkels Außenpolitik beklagt: "Deutschland tut fast gar nichts für euch", sagte er laut einer Mitschrift des Gesprächs. Natürlich sieht die deutsche Regierung das ganz anders, aber was Trump sagt und wie, weist auf mehrere Probleme hin.

Die enge Freundschaft Deutschlands mit den Vereinigten Staaten ist seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs eine der beiden Säulen der deutschen Außenpolitik. Seit Trump in den USA regiert, ist diese Säule massiv ins Wanken geraten. Der US-Präsident war immer noch nicht zum Antrittsbesuch in Berlin, stänkert stattdessen offen gegen Deutschland. Was hinter den Kulissen passiert, lässt das Ukraine-Telefonat erahnen. Das transatlantische Verhältnis ist massiv gestört.

G7 Gipfel Kanada Merkel vs Trump
Das Verhältnis von Kanzlerin Angela Merkel und US-Präsident Donald Trump gilt als schlecht Bild: Reuters/Bundesregierung/J. Denzel

Zwar versucht die Bundesregierung, Kanäle jenseits von Trump zu entwickeln, aber an der Spitze hakt es weiter. Auf die deutsche Opposition wirkt Merkels Umgang mit Trump bislang hilflos: "Es fehlen Impulse, das Verhältnis zu den Vereinigten Staaten zu verbessern" bemängelt etwa der Chef der liberalen FDP, Christian Lindner, und stellt überhaupt eine "gewisse Erschöpfung" in der deutschen Außenpolitik fest. 

Angela Merkel wirkt wie eine "lame duck"

Vor zwei Jahren gewann Angela Merkel mit ihrer CDU noch einmal die Bundestagswahl und konnte nach zähen Koalitionsverhandlungen im Februar 2018 eine Regierung mit den Sozialdemokraten bilden. Zwar war von vorneherein klar, dass es Merkels letzte Amtszeit sein würde, aber es war nicht klar, dass sie auf der Weltbühne nach zwei Jahren schon als "lame duck", als lahme Ente gelten würde.

Berlin | Angela Merkel und Ursula von der Leyen
Für Merkel war die Wahl von der Leyens zur EU-Kommissionschefin "eine gute Nachricht für Europa" - viel mehr kam nichtBild: picture-alliance/Photoshot/S. Yuqi

Als "lame duck" werden in den USA Präsidenten genannt, die gegen Ende der zweiten Amtszeit an Bedeutung verlieren. Jana Puglierin von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik glaubt, dass Angela Merkel im Ausland inzwischen so wahrgenommen wird. Puglierin ist enttäuscht, dass sich die Kanzlerin in ihrer letzten Amtszeit nicht gesagt hat: "Innenpolitisch kann ich vielleicht nicht mehr viel erreichen, aber außenpolitisch habe ich noch Gestaltungsspielraum."

Antwort an Macron: EU-Aufbruch abgesagt

Möglichkeiten zur Gestaltung hätte es für Deutschland in der Europäischen Union gegeben. Die EU ist der zweite Pfeiler deutscher Außenpolitik und durch Brexit und andere Nationalismen massiv unter Druck. Angela Merkel ist es gelungen, zum ersten Mal seit über 50 Jahren eine Deutsche an der Spitze der EU-Kommission zu platzieren und damit den Einfluss Berlins in Brüssel zu stärken. Angekündigt war aber eigentlich mehr.

Der Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD hatte noch die Überschrift "Ein neuer Aufbruch für Europa", aber direkt nach der Unterzeichnung habe die Koalition "den Aufbruch abgesagt", sagt Jana Puglierin. Die Antwort auf Emmanuel Macrons Vorschläge für die Reform der EU hat nach langem Warten die CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer und nicht Merkel formuliert. Nicht nur das hat den französischen Präsidenten enttäuscht, auch der Inhalt. Seitdem nimmt Macron das Schicksal Europas selbst in die Hand.

G7-Gipfel in Frankreich Macron und Merkel
Der französische Präsident Emmanuel Macron stiehlt Angela Merkel auf internationaler Bühne die SchauBild: picture-alliance/AP Photo/I. Langsdon

Macron trifft sich mit Putin und berät über die Ukraine-Krise, Macron lädt überraschend den iranischen Außenminister zum G7-Treffen ein, Macron schmiedet Allianzen jenseits der EU. Ein Feuerwerk der Diplomatie aus Paris und "aus Berlin hört man Schweigen", stellt Jana Puglierin fest. Den Mangel an Ideen im europäischen Bereich kann sich Puglierin nur mit Merkels Amtsmüdigkeit erklären.

Auch wenn Angela Merkel bei Auftritten vor Studenten in Harvard oder bei der Münchner Sicherheitskonferenz noch als Anführerin der freien Welt gefeiert wird – in der EU verblasst ihr Stern. "In Europa hat Deutschland die Führungsrolle längst an Frankreich abgegeben" konstatiert Christian Lindner und auch der linke Außenpolitiker de Masi sieht bei Macron momentan "natürlich mehr Showtime".

Schuld ist vor allem die Große Koalition

De Masi glaubt, die Passivität in der deutschen Außenpolitik sei Folge der Großen Koalition (GroKo) in Deutschland: "Die GroKo ist müde, die GroKo ist schlapp". Der Linken-Politiker hat Abgeordnete aus Frankreich bei der ersten gemeinsamen Parlamentarierversammlung in Berlin getroffen. Mit dabei war auch Christoph Arend von Macrons Partei En Marche. Auch Arend macht für das Zögern des Nachbarn die Groko verantwortlich: "Aus Frankreich gesehen, hat man immer Angst, dass die Koalition zusammenkracht."

Dr. Jana Puglierin
Jana Puglierin von der DGAPBild: DGAP/Dirk Enters

Tatsächlich wurde in der Großen Koalition quasi vom ersten Tag an gestritten und gerade die Außen- und Sicherheitspolitik ist zu einem "scharfen, vergifteten Thema" geworden, sagt Jana Puglierin. Sie stellt fest, wie Konservative und Sozialdemokraten etwa mit ihren Positionen zu Militärausgaben (die CDU will höhere) und Rüstungsexporten (die SPD will weniger) versuchen, sich parteipolitisch abzugrenzen.

Zuletzt wurde lange über die Verlängerung des Bundeswehr-Einsatzes im Kampf gegen den "Islamischen Staat" (IS) gerungen. Das Ergebnis: ein lauer Kompromiss. Die Kämpfe innerhalb der große Koalition schränkten den Spielraum der Kanzlerin ein, glaubt Puglierin, die deutsche Führung falle der parteipolitischen Profilierung zum Opfer.

Einig ist sich die GroKo im Bekenntnis zur internationalen Zusammenarbeit, in Institutionen wie EU und NATO, aber auch darüber hinaus. Eine "Allianz der Multilateralisten" hat Außenminister Maas nach langer Vorbereitung in New York bei der UNO präsentiert. Mit Ländern wie Singapur, Ghana und Kanada, aber auch aus Europa will die Gruppe gemeinsam für Regeln, Recht und Frieden eintreten, so das hehre Ziel – Jana Puglierin sieht aber bislang "keine Früchte dieses Zusammenschlusses".

Eigentlich könnte Deutschland gerade außenpolitisch zu Hochform auflaufen. Das Land sitzt für zwei Jahre im UN-Sicherheitsrat und hat ab Mitte 2020 auch noch die Ratspräsidentschaft in der EU inne. Hält die Koalition durch, wird Angela Merkel Deutschland noch bis 2021 führen. Bisher würde die Außenpolitik ihrer letzten Amtszeit in künftigen Geschichtsbüchern wohl keine große Rolle spielen.