Außenpolitik nach Merkel
13. März 2020Auf den ersten Blick haben die drei Hauptkandidaten viel gemeinsam: Alle stammen aus Nordrhein-Westfalen, sind katholische Mittelschichtssöhne, haben Jura studiert, sind aufgewachsen im politisch gemäßigten westdeutschen Konsensmodell. Prägende Jahre waren die unter CDU-Kanzler Helmut Kohl. Radikale Ansichten, gerade in der Außenpolitik, waren der CDU auch dieser Zeit fremd. Die außenpolitischen Konstanten waren die europäische Integration, die Einbindung in die NATO und ein enges transatlantisches Verhältnis.
Die Biographien der drei Kandidaten zeigen die Einbettung in dieses System: Merz und Laschet kennen das Europaparlament als Abgeordnete. Merz war lange Vorsitzender des Vereins Atlantikbrücke, die sich für eine enge Verständigung mit den USA einsetzt. Röttgen war zwar kein Europaabgeordneter. Als langjähriger Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Bundestages hat er aber wohl die breiteste internationale Erfahrung.
Merkels Abgang schafft Unruhe
Was wäre außenpolitisch von einem Kanzler Laschet, Merz oder Röttgen zu erwarten? Und würde sich der Kurs eines solchen Kanzlers von dem Angela Merkels unterscheiden? Dazu muss man zunächst Merkels Linie beschreiben. Der Außenpolitikexperte Stefan Fröhlich, Professor an der Universität Erlangen-Nürnberg, meint: "Das Besondere an ihrer Außenpolitik ist ein unaufgeregter, pragmatischer Stil, der niemals das verlassen hat, was jahrzehntelang die deutsche Außenpolitik ausgemacht hat. Also zum Beispiel gleiche Nähe zu Europa wie zu Amerika, die doppelte Westbindung." Von allen drei Kandidaten erwartet er "weitestgehend Kontinuität" und Änderungen nur "in Nuancen".
Merkel stand immer für Ausgleich, Multilateralismus, das Bewahren der bewährten Strukturen trotz und gerade in einer unruhiger werdenden Zeit: Trump, der Brexit, Putin, Erdogan, ein aufstrebendes China – Merkel hat immer versucht, Dialoge und Bindungen aufrechtzuerhalten, Konflikte zu lösen und Emotionen beiseite zu lassen. Gerade im Ausland hat ihr das große Achtung eingetragen.
Ihr bevorstehender Abgang erzeugt Unruhe. Die französische Politikwissenschaftlerin Esther Luigi hat die vergangenen Monate im Bundestag verbracht. In einem Aufsatz zieht sie aus ihren Beobachtungen den Schluss, das baldige Ende von Merkels Kanzlerschaft stürze Deutschland schon jetzt in eine "Identitätskrise". Im DW-Gespräch sagt Luigi, die Deutschen fragten sich: "Wo gehen wir hin?" Es gehe darum, "die Rolle Deutschlands bezüglich der europäischen und internationalen Politik zu definieren". Viele Themen brauchten "dringend Antwort", sagt Luigi, etwa nach dem Brexit: "Muss jetzt die Europäische Union neu gedacht werden?" Auch in der NATO-Kontroverse -Frankreichs Präsident Macron hat sie als "hirntot" bezeichnet - müsse Deutschland seine Position finden.
Unterscheidungsmerkmal Flüchtlingspolitik
Ein deutlicher Bruch zu Merkel wäre von keinem der drei Kandidaten zu erwarten. Armin Laschet hat Merkels Politik sogar immer wieder ausdrücklich gelobt. "Ich erkenne nicht den Sinn darin, sich von den 15 erfolgreichen Jahren abzugrenzen." Merkel habe die Weltfinanzkrise, die europäische Schuldenkrise und dann die Flüchtlingskrise bewältigt. Vom Coronavirus war bis vor wenigen Wochen noch keine Rede.
Das mit der Flüchtlingskrise hätte er vielleicht besser nicht so gesagt. Denn seit der türkische Präsident Erdogan die Grenze zur EU für offen erklärt hat, haben viele Europäer die Sorge, das Jahr 2015, als Hunderttausende weitgehend unkontrolliert nach Deutschland kamen, könne sich wiederholen. Merz hat den Migranten und Flüchtlingen an der türkisch-griechischen Grenze zugerufen, es habe keinen Sinn, nach Deutschland zu kommen. Und, auf Merkel anspielend: "Wenn eine Regierung die Kontrolle über den Zuzug in das eigene Land verliert, dann darf sie sich nicht darüber wundern, dass sie das Vertrauen der Menschen verliert." Gerade im europäischen Kontext hat sich Merkels Flüchtlingsaufnahme als einer der umstrittensten Punkte ihrer gesamten Politik erwiesen.
Alle wollen mehr deutsche Verantwortung
Auch in anderer Hinsicht will Merz neue Akzente setzen. Deutschland müsse eine stärkere globale Rolle spielen, findet er. "Deutschland muss bereit sein, zu führen. Das wird von uns erwartet." Fröhlich glaubt, sowohl Merz als auch Röttgen hätten wahrscheinlich "mehr Mut, auf die europapolitischen Avancen Frankreichs einzugehen, das heißt, die Stärkung der europäischen Außen- und Sicherheitspolitik konsequenter voranzutreiben". Das gelte etwas weniger für Laschet. Jedoch glaubt Fröhlich: "Alle Kandidaten stehen für eine Stärkung des europäischen Pfeilers." Das habe viel "mit der Verunsicherung zu tun, die von Washington ausgeht".
Und die dürfte anhalten, befürchtet Peter Beyer, der Koordinator der Bundesregierung für die transatlantischen Beziehungen. Selbst wenn Präsident Donald Trump bei der nächsten Wahl durch einen Demokraten ersetzt werde, "sollten wir uns nicht der Illusion hingeben, dass auf einmal alles aus unserer Sicht besser wird", so Beyer im Interview mit der Deutschen Welle. Denn "die geänderten transatlantischen Realitäten werden uns erhalten bleiben, beispielsweise, dass sich die Amerikaner aus vielen Regionen der Welt als Sicherungs- und Sicherheitsmacht zurückziehen werden, dass sie von uns Europäern mehr verlangen werden, dass wir mehr strategisch-militärische Verantwortung übernehmen".
Der Politikwissenschaftler Stefan Fröhlich sieht das Land bereits auf dem Weg dorthin: "Deutsche Außenpolitik hat in den letzten Jahren einen Paradigmenwechsel vollzogen in Richtung einer stärkeren Übernahme von Verantwortung, in Richtung einer wichtigeren Rolle Deutschlands in Europa und eines stärkeren außenpolitischen Profils." Durch drei große Krisen, die Finanzkrise, die Ukraine-Krise und die Flüchtlingskrise, sei "Deutschland unfreiwillig zur zentralen Macht in Europa aufgestiegen".
Der profilierteste Außenpolitiker ist wohl chancenlos
Armin Laschet hat das wohl geringste außenpolitische Profil der drei Aspiranten auf das Kanzleramt und verspricht die größte Kontinuität zu Merkel. Die einen finden das gut, andere schlecht. Friedrich Merz steht wahrscheinlich am meisten für neue Akzente, auch international, er sagt allerdings wenig Konkretes dazu.
Norbert Röttgen gilt als der intellektuellste und der mit den konkretesten Vorstellungen. Vor allem in britischen Medien ist er oft in geschliffenem Englisch präsent. Anfang März hielt er eine außenpolitische Grundsatzrede an einem Oxforder College, in der er vor einem Zerfall des Westens warnte. Dem nachlassenden Führungsanspruch der USA hätte eine "Stunde Europas" folgen müssen. Der europäische Integrationsprozess sei aber erschöpft. Röttgen sieht eher nationalstaatliche Kooperationen als Lösung. Als Keimzelle einer Neuausrichtung Europas nach außen sollen seiner Meinung nach Deutschland, Frankreich und – ungeachtet des Brexit - Großbritannien gemeinsame Initiativen entwickeln. Das Problem für den international respektierten Außenpolitiker Röttgen: Nichts spricht dafür, dass er je als Kanzler seine Vorstellungen umsetzen kann, weil er in den Umfragen deutlich abgeschlagen ist.
Noch ist Angela Merkel Bundeskanzlerin. Sie hat gesagt, sie wolle es bis zum Ende der Legislaturperiode 2021 bleiben. Und alle drei Kandidaten für den CDU-Vorsitz haben versichert, sie würden an ihrer Kanzlerschaft nicht rütteln. Der neue CDU-Vorsitzende und wahrscheinliche Kanzlerkandidat der Union dürfte also genug Zeit haben, Deutschland und der Welt zu erklären, wohin außenpolitisch die Reise mit ihm gehen würde.
Allerdings hat mit dem Coronavirus eine neue Krise begonnen, deren Tragweite noch gar nicht absehbar ist. Sie wirkt sich auf das gesamte gesellschaftliche Leben, auf die Wirtschaft und die Politik aus. Es könnte deshalb sein, dass auch für die deutsche Außenpolitik und die Frage der Kanzlerschaft die Karten durch diese jüngste Krise noch einmal ganz neu gemischt werden.