Baba Zula rocken das Beethovenfest
24. September 2012Die Stimmung ist ausgelassen. Jung und alt, Deutsche, Türken und noch ein paar andere Nationen tanzen mit erhobenen Armen im Kreis, während Murat Ertel mit seiner elektronisch verstärkten Saz durchs Publikum wandert.
Baba Zula sind Musiker zum Anfassen, und sie scheren sich nicht um Normen. Murat trägt ein Fantasie-Sultansgewand, Percussionist Levent Akman sieht mit wilder Mähne, einem giftgrün gemusterten Hemd und orangefarbener Hose aus, als sei er direkt den 70er Jahren entsprungen, und Dabukaspieler Cosar Kamci gibt sich mit Schlägermütze und Jeans recht zeitgenössisch.
Das Trio macht eine Musik, die irgendwo zwischen elektronischem Clubsound, den drogengeschwängerten psychedelischen Klangexkursionen der 60er Jahre, schamanischen Ritualen und dem Orient anzusiedeln ist. Und da diese Mischung in keine vorgefertigte Schublade passt, haben Baba Zula einfach einen Namen für ihren Stil erfunden. Oriental Dub heißt er, klärt Murat Ertel auf: "Wir sind sowohl ein wenig Avantgarde als auch ein wenig traditionell", sagt er. "Wir schaffen Neues aus der Tradition. Dafür testen wir die Grenzen aus und spielen mit den Möglichkeiten."
Ein bisschen fühlen sich Baba Zula als Wegbereiter der Avantgarde-Bewegung, sie wollen in deren Windschatten aber keinesfalls als wenig tanzbar und massenkompatibel eingestuft werden. Und da müssen sie sich wohl auch keine Sorgen machen. Ihre Stücke sind eingängig, hypnotisch und gehen direkt in die Beine.
Der Sound Istanbuls
Angefangen hat die Erfolgsstory von Baba Zula 1996, als sie ihren ersten Song für einen türkischen Spielfilm einspielten. 2005 sorgte Fatih Akins gefeierter Film "Crossing the Bridge" über den Sound Istanbuls dafür, dass Baba Zula fortan als Vorzeigeband moderner türkischer Musik auch im Ausland populär wurde. Seitdem finden sich auf ihren Alben immer öfter Gastmusiker ein, Alexander Hacke von den Einstürzenden Neubauten etwa oder der Franzose Titi Robin.
Doch eines ist immer gleich geblieben: Wenn Baba Zula auf der Bühne stehen, dann groovt und rockt es so richtig à la Orient, Bauchtänzerin inklusive. Genau das sei der Sound Istanbuls, sagt Murat Ertel. Nur an wenigen Orten auf diesem Globus gebe es so viele Musikstile wie dort. "Man hört traditionelle Musik, man hört arabische Musik, die E-Saz, Techno, Rock'n' Roll, Latin, 50er Jahre-Style – all das hört man, wenn man sich einen Tag umschaut."
Doch damit ist es nicht getan, dieser spezielle Sound habe noch viel mehr zu bieten, verrät er. Auch die Laute der Straßentiere gehörten dazu, Seemöwen, Katzen und Hunde. Sehr kosmopolit und gleichzeitig sehr chaotisch sei das: "Und das ist ungewöhnlich für den Rest der Welt. Im Westen wird überall amerikanische Musik gespielt, im Osten die eigene Musik. In Istanbul jedoch verschmelzen der Osten und der Westen. Man spürt das, und es passiert auf eine sehr natürliche Art. Das ist die Stärke Istanbuls."
Die "Zwischen-Menschen"
Istanbul, die 20-Millionen Metropole am Bosporus: Zwar musste die pulsierende Stadt an der Grenze von Europa zu Asien den Hauptstadttitel schon vor Jahrzehnten an Ankara abgeben, doch sie ist immer die heimliche Königin geblieben. Aus dem ganzen Land kommen Menschen nach Istanbul und suchen hier ihr Glück; im Gepäck bringen sie ihre Kultur, ihre Musik und ihre Gewohnheiten mit. In Istanbul lebt die künstlerische Avantgarde, nirgendwo werden so viele Trends und Moden geschaffen, und doch prallen nirgendwo Tradition und 21. Jahrhundert so krass aufeinander wie hier.
Man fühle sich weder dem Osten noch dem Westen so richtig zugehörig, meint Murat Ertel: "Baba Zula ist eine Band Istanbuls, die die Musik Istanbuls macht. Und das sehr bewusst. Wir sind weder noch. Wie in Deutschland lebende Türken, die von den Deutschen als Türken wahrgenommen, in der Türkei wiederum als Deutsche gesehen werden. Wir Istanbuler sind die Zwischen-Menschen. Ich nenne uns die Bosporus-Leute – wir bewegen uns zwischen Asien und Europa."
Trancemusik mit Botschaft
Nur Musik zu machen und ihr Publikum mit tranceartigen Klängen zum Tanzen zu bringen, genügt Baba Zula allerdings nicht. Sie haben auch eine Botschaft – und die handelt meistens davon, den Armen zu helfen und die Staatsgewalt zu bekämpfen. So wie auf ihrem letzten Album "Gecekondu" – das bedeutet soviel wie "über Nacht hingestellt" und erzählt von den im Schutz der Dunkelheit gebauten illegalen Häusern, die ohne Genehmigung hochgezogen werden.
Ganze Siedlungen sind so in Istanbul entstanden, in denen Millionen von Menschen leben, geduldet am Rande der Metropole. "Wir finden diese Form des Lebens sehr gut", betont Murat Ertel. "Eine sehr indigene Art des Lebens mitten im städtischen Chaos. Aber in Istanbul werden ganze Areale durch die Regierung niedergerissen, um neue Hochhäuser zu errichten. Wir mögen das nicht, das ist unmenschlich."
Baba Zula gehen sogar noch weiter. An Orten wie den "Gecekondus" lasse es sich inmitten von Nachbarn und Tieren sehr gut wohnen, finden sie; in solchen Vierteln pulsiere das Leben. Und sowohl aus architektonischer als auch kultureller Sicht seien sie interessante Zeugnisse der Lebensumstände eines Volkes.
Volkes Stimme
Volkes Stimme ist für Baba Zula Inspiration und Hoffnung zugleich, schließlich schöpfen sie mit ihrer Musik aus traditionellen Quellen. Wobei es ihnen wichtig ist, sich von der klassischen türkischen Musik abzugrenzen. "Da geht es meist nur um die Liebe", meint Murat Ertel. "In den Volksliedern aber rebellieren die einfachen Leute nicht selten gegen den Sultan. Daher lieben wir die Volksmusik."
Dass es dort viele Inspirationsquellen gibt, bewies die Band auch bei ihrem umjubelten Auftritt beim Beethovenfest. Das steht in diesem Jahr unter dem Motto "Eigensinn" und passt auch auf die türkische Band. Denn wie einst der große Komponist gehen auch Baba Zula ihren ganz eigenen Weg.