Bachfest: Familientreffen in Leipzig
10. Juni 2022Facettenreicher hätte der Auftakt für das Bachfest in der Leipziger Thomaskirche kaum sein können. Zunächst gab der neue Thomaskantor Andreas Reize seinen Einstand beim Bachfest mit dem Thomanerchor und dem Gewandhausorchester. Auf dem Programm standen Werke von Johann Sebastian Bach und seinem Sohn Carl Philipp Emanuel. Am Abend war dann das Jugendsinfonieorchester der Ukraine zu Gast und musizierte gemeinsam mit dem Gewandhausjugendchor Bachwerke und die bewegende Suite auf ukrainische Themen, op. 2, des ukrainischen Komponisten Mykola Lyssenko.
Das Konzert wurde gestreamt und ist auch auf dem DW-YouTube-Kanal "DW Classical Music" alsVideo on demand abrufbar. "Es ist uns eine Freude, als internationaler Medienpartner des Bachfestes die Musik und die Botschaft von Johann Sebastian Bach in die Welt zu tragen", sagt Rolf Rische, DW-Hauptabteilungsleiter Culture and Documentary, zur neuen Medienpartnerschaft der Deutschen Welle mit dem Bachfest. "Bach ist eine internationale Marke, die nicht nur Besucher aus aller Welt anzieht, sondern auch Nutzer der Deutschen Welle auf allen Kontinenten fasziniert." In diesem Jahr werden beim Bachfest vom 9. bis zum 19. Juni Besucher aus über 50 Ländern in rund 150 Veranstaltungen erwartet.
Bach und sein berühmter Sohn Carl Philipp Emanuel
Das Motto "Bach - We are Family" des diesjährigen Bachfestes bezieht sich zum einen auf Werke von Bach und seiner großen Musikerfamilie, zum anderen aber auch auf die internationale Bach-Community. 20 internationale Bach-Chöre hat das Bachfest nach Leipzig eingeladen. Familie, das sei der Kern unseres Daseins, das sei Heimat und Geborgenheit, sagte der Leipziger Oberbürgermeister Burkhard Jung bei der Eröffnung und spielte damit auf den Krieg Russlands gegen die Ukraine an. "Wir sehen das Bachfest als Zeichen des Friedens in einer Zeit des Unfriedens."
Im Eröffnungskonzert mit den Thomanern ging es thematisch um die Leidensgeschichte Christi. Zum Einstieg erklang Johann Sebastian Bachs festliche Toccata und Fuge d-Moll, die in ihrer Klangdichte die Zuhörer in den Bann zog, virtuos dargeboten vom neuen Thomasorganisten Johannes Lang. Mit gewaltigen Pauken und Trompeten setzte das Leipziger Gewandhausorchester einen Akzent bei Carl Philipp Emanuel Bachs Ostermusik zur Auferstehung "Gott hat den Herrn auferwecket". "Das ist ein toller, sehr schneller Eingangschor, wo es so richtig ans Eingemachte geht", sagte Thomaskantor Andreas Reize im Gespräch mit der DW.
Den Herausforderungen waren die Thomaner gewachsen. Im legendären Himmelfahrtsoratorium von Johann Sebastian Bach "Lobet Gott in seinen Reichen" konnte der Jungenchor auch mit zarten Tönen glänzen. Reize ist es wichtig, den weichen und hellen Klang in den Stimmen der Jungen zu suchen: "Eine Knabenstimme hat von Natur aus viele Obertöne, das versuchen wir zu fördern." Der besondere Applaus des Publikums für die Thomaner gab ihm Recht.
Die Ukraine zu Gast in Leipzig
Dass Bachs Musik nicht nur begeistert, sondern auch Trost, Halt und Zuversicht gibt, betonte Bachfestintendant Michael Maul im Hinblick auf das Konzert mit dem ukrainischen Jugendsinfonieorchester, YSOU, das 2016 von der bekannten ukrainischen Dirigentin Oksana Lyniv gegründet wurde.
"Ihr alle gehört jetzt auch zu unserer großen Bachfamilie" sagte Michael Maul zur Begrüßung der jungen Musikerinnen und Musiker, die zusammen mit den stimmlich ausdrucksvollen Solisten des Ensembles "amarcord" und dem Gewandhausjugendchor auftraten. Die 40 Musiker und Musikerinnen des YSOU sind in Leipziger Gastfamilien untergebracht. "Wir haben von Schicksalen gehört, die man sich nicht vorstellen kann", erzählte Maul vor Journalisten. Der letzte Bus aus Lwiw sei noch unter Raketenalarm losgefahren.
Überschrieben war das Konzert mit dem Titel "Verleih uns Frieden", nach Martin Luthers gleichnamigen Lied. Gleich zweimal erklang es im Konzert des YSOU, einmal in der Fassung von Johann Sebastian Bach und dann in einer Bearbeitung von Felix Mendelssohn Bartholdy. Die Liedzeile spricht ebenso für sich wie Johann Sebastian Bachs Kantate "Ich hatte viel Bekümmernis". Letztere handelt von größter Trauer und Schmerz, die sich in Zuversicht und Trost verwandeln. "Das ist etwas, das wir der Ukraine wünschen: Trost und Zuversicht und vielleicht auch wieder Freude zu haben", sagte Intendant Michael Maul.
Heimatklänge aus der Ukraine für die Bachfamilie
Wo sich das ukrainische Orchester zu Hause fühlt, konnte man ganz deutlich bei Mykola Lyssenkos Suite auf ukrainische Themen, op. 2, spüren, was vom Publikum mit eben so frenetischem Applaus bedacht wurde wie Bachs Kantate. Das Stück, ursprünglich für Klavier gedacht, hatte Lyssenko während seines Musikstudiums in Leipzig in den 1860er Jahren geschrieben.
Von einem australischen Musikbibliothekar namens Glynn Davies fand das Bacharchiv eine Fassung für Streicher. Davies erklärte sich bereit, zusätzlich ein passgenaues Arrangement für das ukrainische Orchester mit Bläsern und Streichern zu schreiben. Ein ukrainisches Stück, in Leipzig komponiert, und von einem Australier arrangiert: Auch das stehe so für den weltumspannenden Ansatz des Mottos "Bach - We are Family", sagte Maul.
"Mit dem ukrainischen Jugendorchester sind wir schon lange in guter Zusammenarbeit", sagte Rolf Rische. 2017 stand das damals neu gegründete Orchester im Zentrum des "Campus-Projekts" der Deutschen Welle. "Es ist für uns eine wichtige Aufgabe, als Stimme der freien Welt auch über die Aktivitäten gerade dieses Orchesters zu berichten."
Mehr Nachhaltigkeit: Samen statt Blumenstrauß
Verwundert dürften die Solisten und Dirigierenden aus den beiden Konzerten gewesen sein, als sie am Ende statt der erwarteten Blumensträuße eingerollte Urkunden erhielten. Weil die starke Internationalität des Leipziger Bachfestes mit vielen Flugreisen verbunden ist, versuchen die Veranstalter den CO2-Fußabdruck zu minimieren. Ein Projekt ist dabei die Pflanzung eines "Bachwaldes" mit Hilfe von Spendengeldern. Darüber hinaus sollen bei diesem Bachfest statt abgepflückten Blumen neu gesäte Blumen der Natur zu Gute kommen. Im Papier der Urkunde verbergen sich nämlich Samenkörner. "Auf diese Weise wächst dann bei jedem der eigene Blumenstrauß und man hat etwas für die Natur getan", erklärt Michael Maul den nachwachsenden Blumenstrauß als Dank für die Musizierenden.