Bagdad leidet unter Folgen der Kämpfe
20. Juni 2014"Amerikanische Truppen werden nicht in den Kampf im Irak zurückkehren": Mit diesen Worten erteilte US-Präsident Barack Obama der Anfrage der irakischen Regierung eine Absage. Premierminister Nuri al-Maliki hatte Washington gebeten, ihm beim Kampf gegen die islamistische Terrororganisation ISIS zu helfen, die im Norden des Landes mehrere Gebiete unter ihre Kontrolle bringen konnte und jetzt die Hauptstadt Bagdad erobern will. Die irakische Armee hatte den Terroristen zeitweise das Feld kampflos überlassen.
Maliki will nun die ISIS-Kämpfer verstärkt aus der Luft angreifen und braucht dazu die Technologie und das Know-How der Amerikaner. Die USA hätten nicht die Fähigkeit, die Probleme des Landes durch die Entsendung von "Zehntausenden Truppen" zu lösen, stellte Obama klar. "Letztlich ist dies etwas, das die Iraker lösen müssen." Damit sprach er aus, was immer deutlicher wird: Die Eroberungen von ISIS sind nicht allein das Machwerk der rund 10.000 Kämpfer. Bei den dramatischen Ereignissen im Irak handelt es sich auch um einen Aufstand der Sunniten gegen die schiitische Regierung.
Allerdings erklärte Obama auch: "Wir sind bereit, gezielte und präzise militärische Schritte zu unternehmen, wenn wir feststellen, dass die Situation vor Ort es erfordert." Damit sind gezielte Luftschläge nicht ausgeschlossen. Außerdem will Washington 300 Militärberater nach Bagdad entsenden, die der irakischen Regierung strategische Hilfestellung bieten können. Angesichts der Schwäche der irakischen Armee ist eine bessere Einsatzplanung dringend geboten. Einige Tage zuvor hatte Obama bereits erklärt, 275 Soldaten zur Verstärkung der US-Botschaft in Bagdad entsenden zu wollen. Teile des Botschaftspersonals wurden schon evakuiert. Die Nachricht über die 300 amerikanischen Militärberater könnte für den irakischen Premier einen bitteren Beigeschmack haben: Denn um solche Experten tobte 2010 ein heftiger Streit zwischen den USA und dem Irak. Washington hatte schon damals Bagdad angeboten, amerikanische Militärberater und Ausbilder weiterhin im Irak einzusetzen - trotz des Abzugs eines Großteils der Truppen Ende 2011.
Gemischte Gefühle nach Absage der USA
Bedingung war die Garantie der Immunität für die Vertreter der US-Armee, damit sie bei eventuellen Fehlleistungen nicht vor ein irakisches Gericht gestellt werden können. Doch Maliki wies dies kategorisch zurück. Als der letzte GI den Irak verließ, ordnete der Premier sogar einen "Feiertag der nationalen Unabhängigkeit" an. Danach begann er, die Nation zu spalten wie kein anderer vor ihm. Er diskriminierte die Sunniten, zerstritt sich mit den Kurden und stieß selbst seine schiitischen Koalitionspartner immer wieder vor den Kopf. Sogar Schiitenführer Moktada al-Sadr, der Maliki zu einer zweiten Amtszeit verhalf, bezeichnete ihn als "den neuen Diktator in Bagdad".
Die Entscheidung der Amerikaner, nicht direkt ins Kampfgeschehen eingreifen zu wollen, ist in Bagdad mit gemischten Gefühlen aufgenommen worden. Einige sind froh, dass sie nicht zurückkommen, weil sie ursprünglich für das Chaos im Irak verantwortlich seien. Die Präsenz der US-Truppen hätte damals Terrororganisationen wie Al-Kaida erst zum Kampf herausgefordert, meinen einige Iraker. Andere haben Angst, dass sich der Konflikt ohne die professionelle Unterstützung Washingtons in die Länge ziehen und früher oder später auch Bagdad erreichen wird.
Kampf um größte Raffinerie des Irak
Die Auswirkungen des Aufstandes sind bereits in der Hauptstadt angekommen. Die Preise der importierten Lebensmittel erreichen bisher unbekannte Ausmaße. Da der Irak außer Öl so gut wie gar nichts produziert, betrifft dies alle Bereiche des täglichen Bedarfs. Die Versorgungsrouten aus der Türkei und Jordanien sind kaum mehr befahrbar. Die Provinz Ninewa an der Grenze zur Türkei und Anbar an der zu Jordanien sind in der Hand der Aufständischen. Noch ist kein Versorgungsnotstand zu verzeichnen. Dauern die Kämpfe jedoch an, werden die Vorräte bald nicht mehr reichen für die sechs Millionen Menschen in Bagdad.
In Baidschi, in der Provinz Salahuddin, wird seit Tagen erbittert um die größte Ölverarbeitungsanlage des Irak gekämpft. Mal melden die Rebellen die Einnahme der Raffinerie, mal meldet die irakische Armee deren Rückeroberung. In der Raffinerie wird zurzeit kein Rohöl mehr verarbeitet. Dabei werden in Baidschi normalerweise rund ein Viertel aller für den Binnenmarkt benötigten Treibstoffe für Fahrzeuge, Kraftwerke, Generatoren, Petroleumlampen und Kochgeräte produziert. Schon jetzt gibt es Schlangen an den Tankstellen. Die Menschen horten, was sie können. Die Erinnerung an die Jahre 2006/07 und 2008 sind noch sehr präsent: Damals wurde die Raffinerie zum Ziel von Sabotageaktionen durch damalige Widerstandskämpfer. Arbeiter wurden entführt und umgebracht, wenn kein Lösegeld gezahlt wurde, Reparateure eingeschüchtert und bedroht. Monatelang stand die Raffinerie still - und in Bagdad ging das Licht aus.