Anne-Frank-Zug kommt doch nicht
1. März 2018Die Idee hatte Empörung ausgelöst: Die Deutsche Bahn wollte ihren neuen Schnellzügen ICE4 die Namen historischer Persönlichkeiten geben, darunter des jüdischen Mädchens Anne Frank. Nun macht der Konzern einen Rückzieher. "Wir haben das ursprüngliche Namenskonzept überarbeitet, weil wir die Kritik nachvollziehen konnten", sagte ein Bahn-Sprecher dem Evangelischen Pressedienst. Er bestätigte damit einen Bericht der "Bild"-Zeitung. Anne Frank war 1944 mit einem Zug in das Konzentrationslager Auschwitz deportiert worden.
Die 25 vorgesehenen Namenspaten für die neuen Züge hatte die Bahn im Oktober vergangenen Jahres bekanntgegeben. Unter anderen bei jüdischen Organisationen hatte der geplante Anne-Frank-Zug Kritik hervorgerufen. Ein Bahn-Sprecher sagte der "Bild": "Wir müssen einräumen, dass wir das Thema leider falsch eingeschätzt und damit Gefühle verletzt haben". Die Verstrickung von Reichsbahn und NS-Staat sei ein "dunkles Kapitel in der Geschichte der Eisenbahn".
Anstatt der Benennung nach Personen wolle die Bahn ihre neuen ICE4 nun zu Botschaftern für die "schönsten Seiten Deutschlands" machen, sie also nach Regionen, Flüssen oder Bergen benennen, sagte der Sprecher. Geplant seien etwa die Bezeichnungen "Bodensee", "Bayerischer Wald", "Eifel" und "Spree".
Der bereits im Herbst 2016 nach dem Reformator Martin Luther benannte ICE werde aber seinen Namen behalten, erklärte der Sprecher. Die Entscheidung sei damals "aufgrund der überragenden Bedeutung des 500. Reformationsjubiläums getroffen" worden. Martin Luther (1483-1546) hatte am 31. Oktober 1517 seine 95 Thesen gegen die Missstände der Kirche seiner Zeit veröffentlicht. Der legendäre Thesenanschlag gilt als Ausgangspunkt der weltweiten Reformation, die die Spaltung in evangelische und katholische Kirche zur Folge hatte. Der ICE "Martin Luther" war der erste Zug der Deutschen Bahn, der nach einer Persönlichkeit benannt wurde.
Auch Luther ist allerdings wegen seiner antisemitschen Ausfälle umstritten. So warnten die jüdischen Gemeinden in Niedersachsen gerade unter Verweis auf Luther davor, den Reformationstag zu einem neuen Feiertag zu machen. "Das wird nicht dazu führen, dass ich meine Freundschaften zu Protestanten und Katholiken aufkündige, aber es wird zu einer Belastung des öffentlichen Verhältnisses führen", sagte der Vorsitzende des Landesverbandes, Michael Fürst, der "Hannoverschen Allgemeinen Zeitung".
"Wer den 31. Oktober zum Feiertag erklärt, feiert eben auch einen großen Antisemiten - und muss mit unserem Protest rechnen", kündigte Fürst an. "Wir werden aber weiterhin dafür kämpfen, dass dieser Tag nicht so ein schöner Tag wird, wie sich die Regierung das vorstellt." Die schwarz-rote Landesregierung in Niedersachsen hat zuletzt immer wieder Sympathie für den Reformationstag als zusätzlichen Feiertag bekundet und sich für eine norddeutsche Lösung ausgesprochen.
stu/pg (dpa, epd)