Klimagipfel COP29 in Baku: Aserbaidschan verfolgt Kritiker
8. November 2024Im August 2014 fürchtete der Investigativ-Journalist und Menschenrechtsaktivist Emin Huseynov um seine Freiheit und sein Leben. "Damals begannen die Repressionen und die meisten meiner Kollegen wurden festgenommen,” erzählt der heute 44-jährige. Er ist ein prominenter Kritiker von Ilham Aliyev, dem autokratischen Staatschef Aserbaidschans. Huseynov hatte in seinem Heimatland das Institut für die Freiheit und Sicherheit von Reportern mitbegründet, der Sitz ist heute aus Sicherheitsgründen in der Schweiz.
Von der Polizei misshandelt, suchte Huseynov 2014 Schutz in der Schweizer Botschaft in Baku, der Hauptstadt der ehemaligen Sowjetrepublik zwischen dem Kaspischen Meer und dem Kaukasus. Heute lebt er im Exil. In seine Heimat kann Huseynow nicht zurück. Dutzende weitere Regierungskritiker und Umweltaktivisten sitzen derzeit nach Angaben der Nichtregierungsorganisation Human Rights Watch in Aserbeidschan in Haft.
Ausgerechnet dort kommt ab dem 11. November die internationale Gemeinschaft zur Klimakonferenz COP29 zusammen, um über die Klimakrise und Menschenrechte zu sprechen und eine faire Finanzierung des weltweiten Klimaschutzes auszuhandeln.
Als Gastgeber und Verhandlungsführer wolle sich Aserbaidschan für die Ziele des Pariser Klimaabkommens einsetzen: für die Einhaltung des 1.5 Grad-Ziels, mehr Klimaschutz, Transparenz, finanzielle Unterstützung für Entwicklungsländer und Klimagerechtigkeit, heißt es in offiziellen Dokumenten an die teilnehmenden Länder.
Öl und Gas? "Ein Geschenk Gottes"
Traditionell nimmt der Gastgeber eine Vermittlerrolle unter den 196 teilnehmenden Ländern bei der Klimakonferenz ein. Doch Aserbaidschans Staatschef Aliyev macht bereits vorher deutlich, wo seine Prioritäten am Verhandlungstisch der Klimakonferenz liegen könnten.
"Dass wir Öl- und Gasvorkommen haben, ist nicht unsere Schuld. Es ist ein Geschenk Gottes," so Aliyev auf dem Berliner Petersberger Klimadialog im April vor Außenministerin Annalena Baerbock und Bundeskanzler Olaf Scholz.
Er werde das Recht der Länder verteidigen, in fossile Brennstoffe zu investieren und sie zu fördern, um den Wohlstand seines Landes voranzutreiben und die Armut zu bekämpfen, so Aliyev weiter. Der Strommix des COP-Gastgebers besteht zu 93 Prozent aus fossilen Brennstoffen. In der Analyse von Climate Action Tracker, einem Bündnis aus diversen Nichtregierungsorganisationen, wird Aserbaidschan die schlechteste Bewertung für Klimaschutz gegeben – auf einer Stufe mit Öl-Land Saudi-Arabien, Russland oder dem Iran. "Man investiert enorm in fossile Brennstoffe und Klimaschutzmaßnahmen sind minimal," so Niklas Höhne von der Nichtregierungsorganisation New Climate Institute aus Köln. Auch ein Null-Emissionsziel hat das Land bisher nicht.
Von Klimaschutz keine Spur
"Aliyev schert sich nicht um das Klima," sagt Huseynov. Ihm gehe es in erster Linie um die Legitimierung seiner Präsidentschaft. Aliyev hat das Amt als Staatschef Aserbaidschans 2003 von seinem Vater übernommen. Noch dieses Jahr ließ er sich in Blitzwahlen, die OCDE- Beobachter als unregelmäßig und undemokratisch kritisierten, als Präsident bestätigen. "Die Menschen sind immer noch arm, obwohl wir mit dem Export von Öl und Gas Milliarden einnehmen," so Huseynov.
Dabei ist das Potenzial von Solar- und Windenergie und der Produktion von grünem Wasserstoff für den Export laut Climate Action Tracker groß. Trotz einiger Investitionen wird es jedoch kaum genutzt. In einer Analyse geht die Organisation davon aus, dass die Emissionen des Landes in den kommenden Jahren sogar um 20 Prozent steigen werden.
Die Auswahl der Gastgeberländer erfolgt nach einem regionalen Rotationssystem der UN-Klimarahmenkonvention (UNFCCC). Die fünf Regionalgruppen - Lateinamerika/Karibik, Afrika, Asien/ Pazifik, Osteuropa, sowie Westeuropa und andere Staaten - sind abwechselnd für die Auswahl eines Gastgeberlandes zuständig.
"Die Klimaverhandlungen werden nur gelingen, wenn man eine starke und sehr glaubwürdige Präsidentschaft hat," so Höhne. Aserbaidschan stelle sich beim Klimaschutz aber bisher besser dar als es wirklich ist, so Höhne. "Das ist kein guter Anfang."
Gasrausch und einflussreiche Öl-Manager
Präsident der diesjährigen Klimakonferenz - und damit Verhandlungsvorsteher - wird Mukhtar Babayev, der Umweltminister Aserbaidschans und ehemaliger Beauftragter für Nachhaltigkeit beim staatlichen Öl-Konzern SOCAR.
Dass mächtige Figuren der Öl- und Gasindustrie Klimakonferenzen leiten, ist nicht neu. Die Konferenz 2023 in Dubai wurde vom Sultan Ahmad al-Dschaber geleitet, einem Topmanager des staatlichen Öl- und Gaskonzern der Vereinigten Arabischen Emirate ADNOC. Der französische Energiekonzern TotalEnergies sowie ADNOC haben kürzlich durch Anteilskäufe massiv in den Ausbau der Gasförderung in Aserbaidschan investiert. Öl und Gas machen 90 Prozent der Exporte Aserbaidschans aus. Hauptabnehmer ist die EU.
Die Geschäftsbeziehungen mit Europa haben sich seit dem Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine intensiviert. Das änderte sich auch nicht nach der Eroberung der Region Bergkarabach durch das aserbaidschanische Militär und der Vertreibung von über 100.000 Armeniern im vergangenen Jahr, die auch die EU kritisiert hatte. Aserbaidschan bleibt weiter ein wichtiger Gaslieferant für Europa, auch wenn es nicht zu den weltweit größten Öl- und Gasproduzenten wie Saudi-Arabien, China, USA oder Russland gehört.
Umweltschützer und Journalisten in Gefahr
Abseits der Verhandlungen auf dem Klimagipfel in Baku über Emissionen und Klimafinanzierung ist die Situation für Kritiker und Umweltschützer vor Ort dramatisch schlecht. Umweltproteste werden gewaltsam niedergeschlagen, Aktivisten laut Human Rights Watch (HRW) unter frei erfunden Vorwänden verhaftet. So wurde im April der Menschenrechtler und Klimaaktivist Anar Mammadli vor einem Kindergarten von der Polizei festgenommen, seitdem sitzt er im Gefängnis. Laut HRW hatte er vor seiner Festnahme eine Initiative für Klimagerechtigkeit mitbegründet, die sich für Bürgerrechte und Klimagerechtigkeit in Aserbaidschan einsetzte. Grund der Festnahme, so die Behörden: angeblicher Falschgeldschmuggel.
Vor der Klimakonferenz haben Repressalien gegen Kritiker laut der Nichtregierungsorganisation weiter zugenommen. Ebenso die Brutalität des Vorgehens, so Huseynov. "Einige der Kollegen werden in Haft nicht nur gefoltert, sondern im Gefängnis umgebracht." Bereits 2018 erklärte der Europarat (COE), die europäische Organisation für Menschenrechte, Folter und Polizeigewalt in Aserbaidschan sei systemisch und weit verbreitet. Auch Aserbaidschan ist COE-Mitglied.
Staatschef Aliyev wolle nicht, dass unabhängige Stimmen mit internationalen Medien sprechen, das sei ganz klar, so Huseynov weiter. "Die Regierung versucht die für den Planeten so wichtigen Klimaverhandlungen zu nutzen, um das das schlechte Image des Machthabers aufzupolieren," sagt der Menschenrechtsaktivist. Das müsse verhindert werden.
Neben Umweltaktivisten sind auch unabhängige Nachrichtenportale Zielscheibe gezielter staatlicher Repression. So wurden laut HRW kürzlich die Redaktionen von zwei TV-Sendern durchsucht, Mitarbeiter verhaftet und Webseiten unabhängiger Medien blockiert. Im Ranking von Reporter ohne Grenzen belegt Aserbaidschan Platz 164 von 180 Ländern, noch hinter Somalia oder Russland.
Wegen Kritik an Menschenrechtsverletzungen verhängte Aserbaidschan auch Einreiseverbote gegen vier Bundestagsabgeordnete. Huseynov fordert von den Staatschefs, vor ihrem Besuch der Klimakonferenz im Land Druck auf Aliyev auszuüben und ihr Kommen an die Freilassung politischer Gefangener zu knüpfen. Erst durch politischen Druck aus dem Ausland war er selbst damals freigekommen. Die Schweizer Regierung forderte vor den Europaspielen 2015 für ihr Kommen Huseynovs Freiheit. Nach vielen Monaten in der Schweizer Botschaft konnte er daraufhin das Land verlassen. Viele andere Regierungskritiker sitzen in Baku weiter in Haft.