Wie nachhaltig sind unsere Balkonpflanzen?
14. Mai 2021Ob Veilchen, Stiefmütterchen oder Küchenkräuter - je weiter der Frühling auf der Nordhalbkugel voranschreitet, desto vielfältiger das Angebot an Blumen und Pflanzen für draußen. Rund eine Milliarde Beet- und Balkonpflanzen werden laut der Umweltschutzorganisation BUND pro Jahr allein in Deutschland verkauft.
Dabei wird für blühende Balkone und Gärten in Europa anderswo viel Umweltzerstörung in Kauf genommen. Gerade günstige Pflanzen, die viele beim Einkauf im Supermarkt oder Baumarkt mal eben schnell mitnehmen, werden oft nicht nachhaltig produziert.
"Die meisten von ihnen kommen aus Ländern wie Äthiopien, Kenia oder Costa Rica", erklärt Corinna Hölzel, Pestizidexpertin beim BUND. In diesen Regionen eigne sich das Klima besonders gut für den Pflanzenanbau. Von dort werden Jungpflanzen oder Stecklinge eingeflogen und in den Verkaufsländern weiter großgezogen. Durch den Transport per Flugzeug wird das Treibhausgas CO2 freigesetzt - schlecht für das Klima. Und das ist nicht das einzige Problem, sagt Hölzel.
Mit viel Chemie zu "perfekten" Pflanzen
"In den Herkunftsländern kommen viele Pestizide zum Einsatz, teilweise auch solche, die in der EU verboten sind, weil sie so gesundheitsgefährlich sind", sagt Hölzel. "In vielen Betrieben gibt es kaum Schutzkleidung. Die Arbeiterinnen haben oft lange Arbeitstage, keine festen Verträge, keine Gewerkschaften und wissen oft nicht, mit welchen Mitteln sie da Kontakt haben."
Beim Zierpflanzenanbau kommen laut BUND außerdem auch sogenannte Stauchungsmittel zum Einsatz. Diese chemischen Wirkstoffe reduzieren das Triebwachstum, damit die Pflanzen für den Verkauf nicht zu groß und dennoch blatt- und blütenreich sind. Chemie-Einsatz allein für die Ästhetik.
In einer Stichprobe fand die Umweltorganisation in Deutschland und Österreich sogar Rückstände von Pestiziden auf Pflanzen, die als "bienenfreundlich" beworben worden waren.
Pflanzen-Zertifikate für mehr Nachhaltigkeit
Für mehr Nachhaltigkeit im Zierpflanzenanbau sollen verschiedene Siegel und Zertifizierungssysteme sorgen. Die Zertifizierungsstelle MPS etwa arbeitet mit mehr als 3000 Produzenten in 50 Ländern zusammen. Die Betriebe melden an MPS, wie viele und welche Pestizide sie verbrauchen, wie viel Energie sie benötigen oder wie viel Dünger sie einsetzen. Überschreiten Produzenten die regionalen Vergleichszahlen stark, gibt es keine Zertifizierung .
Ziel dabei ist, in allen Bereichen möglichst wenig Energie zu verbrauchen. Die Gartenbetriebe bekommen regelmäßig Nachhaltigkeitsberichte, die den Vergleich zu anderen Züchtern in ihrer Region zeigen. "Wenn Produzenten sehen, dass andere sparsamer sind als sie, spornt sie das an, ebenfalls weniger zu verbrauchen", sagt Karin Spengemann, zuständig für MPS in Deutschland. Und das komme nicht nur dem betrieblichen Gewinn zugute sondern auch dem Klima und der Umwelt.
Laut Spengemann gibt es bei MPS eine "schwarze Liste" mit besonders gefährlichen Chemikalien, deren Einsatz weltweit verboten ist. Ansonsten können alle Mittel eingesetzt werden, die nach Landesgesetzen erlaubt sind.
Ähnlich arbeitet das Zertifizierungssystem GlobalG.A.P. Gärtnerbetriebe in 138 Ländern lassen sich auf diese Weise zertifizieren. Für das sogenannte GGN Label müssen Züchter entsprechend dem GlobalG.A.P.-Standard anbauen.
Zusätzlich müssen sie die Standards der Internationalen Arbeitsorganisation ILO einhalten, nationale Mindestlöhne zahlen und weitere soziale Verpflichtungen eingehen. Pflanzen mit dem GGN-Label werden vor allem in Deutschland verkauft. Sowohl bei MPS als auch beim GlobalG.A.P werden die Produzenten unangekündigt kontrolliert.
Kritik an Umweltstandards ohne Biosiegel
BUND-Pestizidexpertin Hölzel sieht diese beiden Zertifizierungssysteme jedoch kritisch. "Beide Zertifizierungen stellen in erster Linie die Rückverfolgbarkeit sicher, es wird die gesamte Lieferkette dokumentiert. Strenge ökologische Richtlinien fehlen aber, es werden weder Vorgaben zu Pestiziden, Dünger oder dem Einsatz von Torf gemacht. Aus ökologischer Sicht sind sie daher nicht zu empfehlen."
Wer sicherstellen möchte, dass seine Balkon- oder Gartenpflanzen ohne Pestizideinsatz gewachsen sind, sollte laut Hölzel stattdessen auf das Bio-Siegel achten. Hier ist der Einsatz von Gentechnik, Stauchungsmitteln und synthetischem Dünger verboten.
Auch das Fairtrade-Siegel sei empfehlenswert, sagt Hölzel. Es verbiete zwar nicht alle, aber immerhin die besonders schädlichen Pestizide sowie auch Gentechnik. Fairtrade-Betriebe punkten vor allem mit guten Bedingungen für ihre Beschäftigten.
Öko-Wende in Gärtnereien?
Klaus Bongartz von der Fördergemeinschaft ökologische Zier- & Gartenpflanzen (FÖGA) sieht die Zertifizierungssysteme MPS und GlobalG.A.P. weniger kritisch. Sie könnten für Betriebe der erste Schritt in Richtung umweltschonender Anbau sein. Bongartz berät deutsche Gärtnereien bei ihrer Umstellung zu Biobetrieben .
Auch in den Gärtnereien sei ein Umdenken in Gange, erzählt er. Gerade Familienbetriebe wollten nicht, dass Kinder oder Enkel mit gefährlichen Chemikalien in Berührung kämen, und auch Berichte über das Insektensterben hätten die Gärtner aufgeschreckt. "Schon jetzt verzichten viele Gartenbaubetriebe auf Pestizide, einige nutzen 70 bis 80 Prozent weniger Chemie als früher", erzählt Bongartz.
Der letzte Schritt, der Antrag auf eine Bio-Zertifizierung, sei für die meisten Gärtnereien mental der schwierigste, sagt er. "Denn dann müssen sie den Schlüssel zum Giftschrank wirklich für immer wegwerfen."
Klimakiller Torferde - Alternativen gesucht
Ein Problem, das auch in der Bio-Gärtnerei noch nicht gelöst ist, bleibt der Einsatz von Torf. Diese sehr nährstoffreiche Erde hat perfekte Eigenschaften für die Pflanzenzucht: Sie speichert Feuchtigkeit sehr lange und kann, je nach Zugabe von weiteren Komponenten, perfekt auf unterschiedliche Bedürfnisse von Pflanzen angepasst werden.
Doch für den Torfabbau werden Moore trockengelegt und dabei wird der in ihnen gespeicherte Kohlenstoff als klimaschädliches CO2 freigesetzt. Moore speichern weltweit etwa doppelt so viel CO2 wie alle Wälder zusammen. Und sie sind wertvolle und artenreiche Ökosysteme. Allein in Deutschland werden laut BUND rund zehn Millionen Kubikmeter Torferde verwendet. Das ist umgerechnet so viel wie 4000 Olympische Schwimmbecken.
An private Gärtner appelliert Bongartz, nur torffreie Erde zu kaufen. Sie reiche fürs Einpflanzen völlig aus, sagt er. In der Pflanzenzucht aber sei Torf bisher noch nicht komplett ersetzbar. Seit Oktober leitet der Bio-Gärtner deswegen ein staatlich gefördertes Modellprojekt, um einen Ersatz für Torf zu entwickeln. Guter Kompost gemischt mit harten Pflanzenfasern ist die Hoffnung. Doch auch hier steckt Teufel im Detail. So werden etwa Kokosfasern mit Salzlösung ausgewaschen und müssen von weit her importiert werden. Man dürfe nicht in bester Absicht möglicherweise wieder neue Probleme schaffen, so Bongartz.
Regionale Pflanzen im Sommer kaufen
Und noch ein Problem kann auch der Bio-Anbau nicht lösen: Wenn wir im Frühling mit dem Balkonkasten oder im Garten loslegen wollen, müssen die Pflanzen bis dahin gewachsen sein und dazu brauchen sie ausreichend Wärme. Doch die gibt es im Winter im Norden meist nur in beheizten Gewächshäusern oder in den warmen Ländern des Südens – und von dort müssen die Pflanzen dann eingeflogen werden. In beiden Fällen wird CO2 freigesetzt, durch das Heizen sogar oft mehr als durch Fliegen, wie Studien zeigen. Diese Rechnung ändert sich erst dann, wenn ausschließlich erneuerbare Energie genutzt wird.
Den besten CO2-Fußabdruck haben regional gezüchtete Pflanzen, die im Sommer verkauft werden. Sie werden in der Regel ohne Heizung gezüchtet. Wer dann mehrjährige Stauden kauft, kann sich im kommenden Frühling mit gutem Klimagewissen an ihnen erfreuen.