"Sind zu weit gegangen"
3. Juli 2013DW: Ist Edward Snowden ein Verräter, ein Held oder einfach ein Informant?
James Bamford: Das sind untaugliche Bezeichnungen für jemanden wie ihn. Auf jeden Fall hat er dem amerikanischen Volk einen enormen Dienst erwiesen. Denn die Öffentlichkeit wusste ja nichts davon, dass die Regierung Zugang zu ihren Telefongesprächen auf einer täglichen, ja man kann sagen, minütlichen Basis hat. Ich kenne keine Passage in unserer Verfassung, die der Regierung Zugang zu meinen persönlichen Daten erlaubt, ohne hinreichenden Verdacht. Keiner weiß, wo Snowdens Weg enden wird, aber sein Verhalten war nobel und mutig.
Wir haben aus Snowdens Papieren erfahren, dass die National Security Agency (NSA) die Europäische Union und vor allem auch Deutschland ausspioniert hat. Was wissen Sie darüber?
Die USA hat eine zweiseitige Beziehung mit diesen Ländern, vor allem mit Deutschland und Großbritannien. Auf der einen Seite sind sie Partner. Von Deutschland aus hat die NSA während des Kalten Krieges die meisten Abhöraktionen gesteuert. Und es gibt eine sehr enge Partnerschaft zwischen der NSA und den deutschen Geheimdiensten. Sie tauschen viele Informationen aus - über wirtschaftliche Themen, aber auch über terroristische Bedrohungen.
Und da ist die andere Seite: Deutschland ist selbst Ziel der Ausspähungen. Man kann sagen, jeder einzelne deutsche Bürger ist das. Nur wenige Bestimmungen schützen die amerikanischen Bürger vor der NSA. In Deutschland ist da gar nichts, was die Bürger schützt.
Die veröffentlichten NSA-Statistiken zeigen, dass Deutschland im gleichen Ausmaß ausspioniert wird wie China und Irak. Sehen die USA in Deutschland einen Feind?
Die Öffentlichkeit bestimmt nicht. Vielleicht hat die NSA eine andere Sicht der Dinge. Die NSA lebt in einer sehr eigenartigen Welt, die fast niemals mit der realen Welt zu tun hat. Sie leben in einem Kokon. Ich habe drei Bücher darüber geschrieben, mehr als jeder andere. Sie haben eine befremdliche Sicht auf die Welt, und das kann auch sehr gefährlich sein.
Aber warum konzentrieren sie sich so stark auf Deutschland?
Deutschland ist als wirtschaftliches Kraftzentrum Europas sehr interessant für die USA. Außerdem haben sich hier die Terroristen der Anschläge vom 11. September aufgehalten. Und Deutschland hat in Europa auch einen starken politischen Einfluss. Wenn man Deutschland 'zuhört', kriegt man nicht nur viel von der deutschen Regierung mit, sondern auch, was die spanische, niederländische oder griechische Regierung denkt.
Deutschland ist von der NSA als "third class partner" eingestuft. Was hat das zu bedeuten?
Das ist eher ein technischer Begriff, sie meinen damit wohl, dass Deutschland die dritte Partei ist. Die USA selbst sind die erste Partei, die zweite Partei sind Australien, Neuseeland, Kanada und Großbritannien. Die fünf zusammen sind bekannt als die "Fünf Augen". Sie haben sich die Welt nach dem Zweiten Weltkrieg aufgeteilt nach Regionen, in denen sie ihre jeweiligen Abhöraktionen durchführen.
Wir wissen, dass auch die Deutschen und die Europäer ihre jeweiligen Nachbarn und auch die Amerikaner ausspionieren. Ist da überhaupt noch ein Unterschied zu dem, was die Amerikaner tun?
Und ob da ein Unterschied ist! Präsident Barack Obama sagte ja, dass wir uns alle gegenseitig ausspionieren. Der Unterschied ist nur: Die Amerikaner spionieren in einem Ausmaß, vergleichbar mit einer Nuklearwaffe. Das hat mit ihrem Geld, der Technik und ihrer Macht zu tun. Die NSA ist mit 35.000 Mitarbeitern der größte Geheimdienst der Welt. Die anderen Länder spionieren in der Größenordnung einer Kanone. Und ein weiterer Vorteil der Amerikaner ist, dass die großen Internetunternehmen in den Vereinigten Staaten sind. Sie können unter Druck gesetzt werden, um Informationen zu liefern.
Betrachten wir mal das weltweite Telekommunikationsnetz: Fast 100 Prozent der Internetkommunikation führen durch die Vereinigten Staaten. Auch mehr als 80 Prozent der Telefonkommunikation werden hier durchgeleitet. Die USA sind in der einmaligen Situation, ohne große Probleme die Welt abhören zu können.
Sollte der Präsident in dieser Situation korrigierend eingreifen? Was wären aus Ihrer Sicht die nächsten Schritte?
Ich würde nicht gerade dem Präsidenten erlauben, die Veränderungen herbeizuführen. Er war es ja, der die Macht der NSA ausgeweitet hat. Schon in den 70er Jahren hatten wir eine große Untersuchung der Geheimdienstarbeit. Die Ermittlungsmethoden waren sehr aggressiv. Eine unabhängige Kommission stellte die Fragen, keiner ging gerne dorthin. Und das brauchen wir heute auch wieder. Wir sind seit 9/11 viel zu weit gegangen mit den exzessiven Sicherheitsvorkehrungen. Um Korrekturen anzubringen, brauchen wir eine unabhängige Kommission, die die Macht hat, etwas zu verändern.
Das Interview führte Gero Schließ.
James Bamford ist amerikanischer Autor und Journalist und hat mehrere Bücher über die National Security Agency (NSA) geschrieben, darunter den 1982 erschienenen Bestseller "The Puzzle Palace."